Kommentar

Haus der Tugend

12. Mai 2010
Redaktion Börsenblatt
Sicher durch Krisengewässer zu manövrieren ist für ein Dickschiff wie die Ernst Klett AG keine kleine Angelegenheit. Umso erfreulicher klingt die Botschaft aus Stuttgart, dass man "gestärkt aus dem Krisenjahr 2009" hervorgegangen sei. Ein Kommentar von Börsenblatt-Redakteur Michael Roesler-Graichen.
Zur überwiegend positiven Bilanz haben mindestens drei Tugenden beigetragen, die in gewisser Weise landes­typisch sind: die sprichwörtliche schwäbische Sparsamkeit, die finanzpolitische Cleverness und die unternehmerische Weitsicht – die allemal unverfänglicher klingt als jede "Mission" oder gar "Vision". Als sich abzeichnete, dass Finanzmärkte und ganze Volkswirtschaf­ten einbrechen könnten, verordnete die Hausspitze dem Unternehmen einen Sparkurs (Tugend 1), dem ohne großes öffentliches Aufheben die ein oder andere Position zum Opfer fiel.

Im Krisenjahr selbst wusste man sich die Kreditklemme der Geld-institute zunutze zu machen und begab die zweite Privatanleihe in Höhe von 50 Millionen Euro (Tugend 2), um genau in den Geschäftsbereich zu investieren, mit dem sich die tendenziell schrumpfenden Schulbuchumsätze zumindest teilweise kompensieren lassen: Erwachsenen- und Weiterbildung, die inzwischen fast ein Drittel des Gesamtumsatzes ausmachen. Wie es scheint, ist dieses Rezept aufgegangen (Tugend 3): Etwa die Hälfte des Umsatzzuwachses geht auf das Konto der Neuerwerbung Forum Institut für Management. Das Beispiel zeigt, wie der Umbau eines ehemaligen Schulbuchverlags durch Diversifikation gelingen kann. Eine Strategie, die natürlich auch den Mitbewerbern in Berlin und anderswo geläufig ist.