Der Plagiator als Förderer

19. Mai 2010
Redaktion Börsenblatt
"Das alles scheint mir für E. Poe ganz allerliebst zu sein. Dank der Bemühungen von Monsieur Forgues wird die ganze Welt wissen, dass Monsieur E. Poe in Amerika Geschichten schreibt." Diesen Satz ließ der Anwalt des französischen Autors Emile Daurand Forgues verlautbaren, nachdem dieser E.A. Poes "Die Morde in der Rue Morgue" ohne Nennung des Namens und ohne weitere Hinweise auf den Amerikaner in einem Pariser Blatt übersetzt veröffentlicht hatte.
Ein Kulturkampf französischer Zeitungen brach aus, deren genauen Ablauf der interessierte leser hier  nachvollziehen kann. Charles Baudelaire wiederum strich im Nachhinein die Lorbeeren für die Verbreitung von Poes Ruhm in Frankreich und ganz Europa ein.

Die Anekdote ist ein interessantes Lehrstück über den Umgang des 19. Jahrhunderts mit dem, was wir heute "Persönlichkeits-" oder "Urheberrechte" nennen könnten. Damals, im Jahre 1846, waren diese Begriffe noch unbekannt und wurden - vor allem von Verwertern und ihren Verbänden - im Laufe des Jahrhunderts erstritten. Heute geraten sie wieder zunehmend in die Diskussion, da sich Kopien digitaler und digitalisierter Werke leicht anfertigen und - durch die Entwicklung der Internet-Technologie - auch leicht verbreiten lassen. Die Piratenpartei und Filesharing-Dienste wie Bittorrent oder Rapidshare sind nur die Spitze eines Eisberges, den wir kaum übersehen. Was im Deep Web an Dateiaustausch geschieht, weiß niemand.

Das Zitat lässt aber aufmerken, bevor man eine vorschnell negative Beurteilung dessen gewinnt. Denn hat der Anwalt Forgues nicht recht? Wäre Poes Ruhm ohne die „Plagiate“ auch in der Welt verbreitet und wäre Baudelaire auch ohne sie auf Poe aufmerksam geworden? Wie sehr hat es dem amerikanischen Autor wirklich geschadet, dass sein Name nicht über dem Zeitungsartikel stand? Die aktuelle Situation lässt sich – jedenfalls teilweise – analog deuten: Einerseits befördern sogenannte "Raubkopien" den Ruhm von Autoren in aller Welt, machen Musiker bekannt und sorgen dafür, dass Filme gesehen werden. Daraus resultieren Einnahmen aus Lesungen, Konzerten, Kinovorführungen.

Aber der Bekanntheitsgrad, welcher im "Web 2.0" und unserer heutigen Konsum-Umwelt als eine eigene Form von Währung gilt, ist natürlich nicht für jeden der „Heilige Gral“, als der er häufig dargestellt wird. Soziale Netzwerke fordern viel Zeit, Selbstmarketing und Eigenintiative, die nicht jeder Autor aufbringen möchte oder kann. Und auch dann gibt es noch keine Garantie, dass der Autor daraus Profit schlagen kann. Es ist unvermeidbar, dass (nach geltendem Recht unberechtigte) Kopien und Plagiate heute genauso leicht und unkontrollierbar herzustellen sind wie im 19. Jahrhundert. Eine Umkehrung dieser Entwicklung ist nicht möglich, und der Versuch führt oftmals zur Kriminalisierung von Konsumenten, statt zu ihrer Motivation, Geld für Inhalte und deren Form zu bezahlen. Man darf gespannt sein, ob sich die kulturschaffende Welt in den kommenden Jahren mit Hilfe kreativer Konzepte einigen oder ob es immer zwei unversöhnliche Fronten zwischen Urheberrechtsunterstützern und -gegnern geben wird.