Zehn Thesen

Das iPad - nicht unbedingt ein Selbstläufer

27. Mai 2010
Redaktion Börsenblatt
Ab morgen werden die ersten iPads in Deutschland ausgeliefert. Die Erwartungen der Buchbranche sind hoch – aber werden sie sich auch erfüllen? Zehn Thesen.
Alles fiebert dem iPad entgegen – doch der auch von Verlegern gespeiste Hype um das ultimative Gerät lässt in den Hintergrund treten, zu welchem Zweck und für welche Zielgruppe Apple das schicke "Device" produziert hat: für Menschen, die damit komfortabel kommunizieren und das iPad als mobile Entertainment­einheit nutzen wollen. Die Vertriebs- und Erlöserwartungen, die vor allem aus der Zeitungs- und Magazinbranche auf das iPad projiziert werden, verraten manchmal mehr über die Not der Inhalteproduzenten mit den bisherigen Geschäftsmodellen, als dass sie einer Analyse standhalten. Zudem wird – wie schon bei der Einführung des Kindle in den USA – der Fehler begangen, amerikanische Verhältnis­se auf Deutschland zu übertragen.
Die kleinteilige deutsche Buchhandelslandschaft, die hohe herstellerische Qualität gedruckter Bücher in Deutschland, die weniger ausgeprägte Neigung, digitale Lesetechnologien zu nutzen und zu kaufen – und nicht zuletzt das gänzlich fehlende oder wesentlich kleinere Angebot an elektronischen Büchern in den deutschen Online-Shops; all ­dies hat bisher eine Entwicklung wie in den USA verhindert.
Weshalb gerade das iPad die Dynamik des E-Book-Geschäfts der Buchverlage exponentiell steigern sollte, ist nicht eindeutig zu erkennen.

Thesen zum iPad

  1. Steve Jobs’ Liebling etabliert eine neue Geräteklasse zwischen Smartphone, Netbook und E-Reader. Langfristig könnte es den heimischen PC und das Netbook zumindest teilweise sub­stituieren.
  2. Das iPad ist ein multimedia-taugliches Tablet für das mobile Internet, wird aber wegen seines hohen Gewichts (rund 700 Gramm) nicht zum »Unterwegs«-Gerät.
  3. Es ist Begleiter im täglichen ­Leben, ein Freizeit- und Wohnzimmergerät – stark unterhaltungsbetont, aber auch als Infor­mationsmedium, Organisator und Dateimanager (zum Beispiel Fotoalbum) sinnvoll.
  4. Nur in zweiter Linie ist es als E-Reader gedacht: Die E-Book-Applikationen sind eine verschwindende Größe im Vergleich zu allen anderen Apps (rund 185 000), die es derzeit gibt. Studien, die den prozentualen Anteil der App-Nutzung messen, werden zeigen, dass E-Book-Lektüre nur einen Bruchteil der Gerätenutzung ausmacht.
  5. Für die Lektüre umfangreicher Belletristiktitel (vor allem Unter­haltungsliteratur) ist das iPad ungeeignet (siehe Test auf boersenblatt.net/383192). Reiseführer, Koch­­bücher, Bildbände, Special-Interest-Titel und Fachbücher mit ­Grafiken und Tabellen werden die bevorzugten Genres sein.
  6. Das iPad fördert die Entwicklung neuer Buchtypen oder ­Medienformate: Es wird mehr Grenzgänger zwischen Buch, Multi­media und Website geben. Schon heute sind buchbasierte Apps auf dem Markt, die die Struktur des Mediums Buch aufbrechen.
  7. Die Inhaltskontrolle durch Apple schreckt Verlage ab. Direkte Eingriffe oder automatische Wortfilter, die anstößige Inhalte blockieren, erzeugen Misstrauen. Beispiel: Ein Klappentext zu Moby Dick und ein Eintrag zum Sperm Whale (dt. Pottwal) wurden teilweise gesperrt (***** whale).
  8. Der iPad-Hype blendet die Fortschritte bei E-Readern (beispielsweise Farbdisplays) aus. Spezielle Lesegeräte sind zudem wesentlich preisgünstiger (teils unter 200 Euro) als das Einstiegsmodell des iPad (499 Euro).
  9. Noch ist unklar, welche Schnittmenge zwischen PC-, Netbook-, iPhone- und E-Reader-Lesern die Käufergruppe bildet, die auf dem iPad lesen will.
  10. Als E-Book-Reader ist das iPad kein Selbstläufer. Es könnte ein Markterfolg für die Gerätebranche sein, aber Buchhandel und Buchverlage werden davon vermutlich weniger profitieren, als sie es sich derzeit erhoffen; die Chancen für Zeitungs- und Magazinverlage, die das Gerät auf Abonnementbasis subventioniert bereitstellen, scheinen wesentlich größer zu sein.