Meinung: Das Buch

Lob der Langsamkeit

10. Juni 2010
Redaktion Börsenblatt
Warum gerade jetzt die Stunde des Buchs schlägt. Von Benedikt Köhler, Soziologe und Medienberater.

Das Ende des Gutenbergzeitalters wird schon seit einigen Jahrzehnten angekündigt. Vielleicht vollendet nun das iPad als Prototyp einer digitalen Druck- und Vertriebsform diese Entwicklung. Was mit dem Online-Buchshop und den ersten eBook-Readern begonnen hat, soll nun von Steve Jobs’ Meisterwerk mit einem Schlussstrich versehen werden.

Als wir Anfang 2010 unser Slow Media Manifest skizziert haben, spürten wir vor allem, dass gerade eine Ära aufhört – und womöglich eine neue beginnt. Denn dieser Wandel zu einer digitalen Gesellschaft bedeutet, so unser Manifest, nicht, dass fortan alle Medienproduktion und -rezeption nur mehr online und in Echtzeit ablaufen wird.

Genau das Gegenteil scheint der Fall. Allerorten wird immer intensiver und ernsthafter über die Qualität von Zeit diskutiert – gerade weil das Thema der Beschleunigung nun nach dem Erreichen der Echtzeit als abgehakt gelten muss. Viel wichtiger als die Frage einer möglichst schnellen Distribution von Medien und Meldungen wird die Frage ihrer nachhaltigen Produktion und Nutzung. Slow is beautiful.
McLuhan hat einmal festgestellt, dass mit jedem neuen Medium nicht nur neue Möglichkeiten und Nutzungsformen in die Welt kommen und alte verdrängt werden, sondern gleichzeitig auch – dies die Slow-Media-Lesart von McLuhan, die wir wagen – alte, zum Teil längst vergessene Eigenschaften und Vorzüge wiederbelebt werden können.

Genau das passiert gerade mit und durch das iPad: Gegenüber dem rigiden Kontrollwahn der Apple Corp. wird die in den letzten 100 Jahren erfolgreich verdrängte widerständige, antihegemoniale Macht des Buchs wieder spürbar. Neben der makellosen und keimfreien Oberfläche des iPad-Betriebssystems sticht das kratzige Profil guter Verlagsprogramme lustvoll hervor.

Vor dem Hintergrund der ständigen All-Verfügbarkeit des Welt-Halbwissens erfahren vergängliche Sortimente und die Arbeitsteilung zwischen Neubuchhändlern und Antiquariaten eine ungeahnte Wertsteigerung. Wer sich an die Beliebigkeit von Download- und Löschbutton gewöhnt hat, wird die andere Qualität eines slowen Mediums wie des Buchs stärker zu schätzen lernen.

Was durch das Digitale ersetzbar ist, wird durch das Digitale ersetzt werden. Durch die digitale Konkurrenz wird das Buch sich dorthin orientieren müssen, wo es mehr ist als Altpapier. Es wird sich auf Tugenden besinnen, die es auszeichnen und nicht kompensierbar machen.

Wer in diesem Wandel bereits heute verloren hat, sind die Anbieter und Produzenten von kurzlebiger Literatur. Denn das nur einmal konsumierbare Buch oder Bücher, die nur über reine lieferbare Information funktionieren, werden zu Recht durch ihre digitalen Äquivalente ersetzt werden. Die Bücher, die heute die modernen Antiquariate und Flohmärkte überschwemmen, werden auf Geräte wie das iPad abwandern und nach Gebrauch rückstandslos entsorgt.

Das Buch aber, zu dem man gern zurückkehrt, das zu lesen oder durchzublättern über die Jahre hinweg immer wieder Freude macht oder uns zu irritieren vermag und das mit jedem Gebrauch an Patina und Körper dazugewinnt, das also, ja, nachhaltig ist, das wird nach wie vor in den Regalen der Menschen seinen Platz haben