Buchtage Berlin 2010

Auf der Schwelle zu den (Buch-) Märkten von morgen

10. Juni 2010
Redaktion Börsenblatt
"Märkte von morgen haben dann eine Chance, wenn wir zuvor die gedankliche Trennung in unseren Köpfen beseitigen zwischen alter und neuer Buchwelt", sagte Börsenvereinsvorsteher Gottfried Honnefelder zur Eröffnung der Buchtage in Berlin. Wir veröffentlichen die Rede im Wortlaut:
Meine sehr geehrten Damen, meine Herren,

ich begrüße Sie sehr herzlich zu den Buchtagen Berlin 2010. Thema dieser Buchtage sind – wie soll es anders sein - die Märkte von morgen. Verbrauchertrends, Geschäftsmodellen, Marketing-strategien soll in den heute folgenden Vorträgen und Gesprächen nachgegangen werden.

Die Verlags- und Buchhandelslandschaft sieht sich auf der Schwelle von alter und neuer Buchwelt. Schwellen sind Orte und Zeitpunkte von entscheidender Bedeutung, Walter Benjamin hat ihnen eine eigene Schwellenkunde gewidmet. Über Schwellen tritt man nicht, ohne zurück zu schauen und nicht, ohne die neuen Schritte über die Schwelle hinaus mit Vorsicht zu bedenken, ehe man sie geht.

Hinter uns liegen oft gegangene und gesicherte Distributionswege für unsere besondere Ware. Die Wettbewerber kennen sich als Kollegen, ihre Wege haben Verkehrsgeltung, die sich über Jahrhunderte entwickelt hat. Regeln des Verkehrs miteinander haben sich historisch ergeben, sie schützen das Gelände. Vor uns jedoch  liegt  unbekanntes Gebiet, neue Wettbewerber sind im Geschäft, die - so weit wir sie schon kennen - bisher noch wenig mit uns gemein zu haben scheinen. Bei allen stimulierenden Chancen des neuen Landes  und seiner Marktplätze ist also Vorsicht geboten.

Vor einigen Tagen beschrieb Alan Posener in der Welt am Sonntag den Zustand des Buchhandels. Er tat dies mit dem Blick des Wirtschaftsredakteurs, der weniger über den Untergang des Abendlandes spricht, als konstatiert: „Jammern gehörte früher zur Buchbranche wie die Kulturkritik zum Intellektuellen. Heute reden deutsche Buchhändler vor allem von neuen Chancen.“

Die Märkte von Morgen sind das Thema von heute. Märkte von morgen haben dann eine Chance, wenn wir zuvor die gedankliche Trennung in unseren Köpfen beseitigen zwischen alter und neuer Buchwelt. Wenn wir gleichzeitig auf unsere bewährten und immer neuen Inhalte setzen und neue Formen und Formate entwickeln, uns darin aber nicht verlieren. Inhalte stets neu zu inszenieren, für Inhalte stets neue Formen zu finden, für jedes einzelne Buch, das ist unser Gegenstand, das ist unsere Profession und das ist unser Geschäft.

Dafür brauchen wir Rahmenbedingungen, die die Politik uns zu geben hat. Wir haben aus diesem Grunde die Bundesministerin der Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, eingeladen, zur Eröffnung zu sprechen. Sie musste leider kurzfristig wegen unaufschiebbarer Termine absagen. Deshalb begrüße ich in ihrer Stellvertretung  herzlich Frau Staatssekretärin Dr. Birgit Grundmann.

Die Verbindung zur Politik, insbesondere zu dem für Verlag und Buchhandel zuständigen Fachministerium, sehr geehrte Frau Grundmann, ist dem Börsenverein wichtig, gerade wenn es um die schwierigen Fragen der Transformation unseres Rechtsverständnisses von der physischen in eine digitale Welt geht. Wir brauchen Antworten auf diese Fragen und wir brauchen sie bald. Zuviel Zeit ist  nutzlos verstrichen. Wir brauchen Sicherheit für die Inhalte, die uns anvertraut sind, die wir publizieren und vertreiben, und für die kulturellen Werte, die sie repräsentieren - in der alten wie in der neuen Buchwelt.

Meine Damen und Herren, ich freue mich, Ihnen zu Beginn der Buchtage den Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels für das Jahr 2010 bekannt geben zu können. Der Stiftungsrat für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels - das wird in wenigen Minuten gemeldet werden - hat entschieden, dass zum diesjährigen Friedenspreisträger der israelische Schriftsteller David Grossman gewählt ist.

Er ehrt damit – und jetzt zitiere ich die Begründung – „den israelischen Schriftsteller, der sich aktiv für die Aussöhnung zwischen Israelis und Palästinensern einsetzt. In seinen Romanen, Essays und Erzählungen versucht er, nicht nur die eigene, sondern immer auch die Haltung der jeweils Andersdenkenden zu verstehen und zu beschreiben.

David Grossman gibt dem schwierigen Zusammenleben eine literarische Stimme, die in der Welt gehört wird. Seine Bücher zeigen, dass die Spirale von Gewalt, Hass und Vertreibung im Nahen Osten nur durch Zuhören, Zurückhaltung und die Kraft des Wortes beendet werden kann.

In seinem Hauptwerk „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“ zeigt David Grossman die Bedeutung der Sprache für die Suche nach Identität und warnt vor ihrer zunehmenden Militarisierung. So bietet er inmitten einer Realität von Willkür, Zwang und Entfremdung
Auswege aus dem jetzigen Zustand der Gesellschaft, die sich zwischen Krieg und Frieden befindet.“

Verliehen wird der Friedenspreis in der Frankfurter Paulskirche zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse am Sonntag, dem 10. Oktober.

Märkte von Morgen sind das Thema von heute. Im Anschluss an die Ausführungen von Frau Grundmann werden unser Kollege Dr. Sven Fund, der den de Gruyter Verlag führt, und Frau Dr. Dorothee Ritz, die bei Microsoft für das Endkundengeschäft verantwortlich ist, sprechen. Sven Fund möchte mit dem Vorurteil aufräumen, Digitalisierung sei eine erst kommende Entwicklung, und Dorothee Ritz wird unter anderem die Zukunft der Suchmaschine BING erläutern. Ich begrüße Herrn Fund und Frau Ritz herzlich.

Den  Buchtagen 2010 wünsche ich einen guten, anregenden, vielleicht auch ein wenig aufregenden Verlauf und bitte Frau Grundmann ums Wort.