Buchtage Berlin

Spannende erste vier Tage im Börsenverein

14. Juni 2010
von Börsenblatt
Den ersten Eindruck als neues Mitglied hat man nur einmal. Daher erlaube ich mir zur AKEP Jahrestagung und zu den Berliner Buchtagen 2010 ein erstes Feedback, über dessen vielfältige Unzulänglichkeiten ich den geneigten Leser hinwegzulesen bitte. Vielleicht kann der Blick eines Neuankömmlings aber Verbesserungspotenziale aufdecken, mit denen man sich bei wachsender Kenntnis der Hintergründe ansonsten allzu schnell abfindet. Ein Beitrag von Michael Dreusicke (PAUX Technologies).

AKEP-Jahrestagung

 

Website für Historiker

Ein erstes Abenteuer zu bestehen hat derjenige, der auf der Website des Börsenvereins den Veranstaltungsort für die AKEP-Jahrestagung am Mittwoch sucht. Die Website hat offensichtlich eher historischen als Nutz-Wert.

Einleitung statt Durchführung

Gemessen daran, dass die aktuelle Situation der Verlage und Buchhändler weniger zur Kontemplation als vielmehr zu sofortigem Handeln einlädt, waren die Einstimmungsreden von Herrn Huck und Dr. Schmolze, wenn auch gleichermaßen eloquent wie unterhaltsam, vielleicht etwas üppig?

iPad ja oder nein?

Eine erste Herausforderung für die Sitz- und Schweigemuskeln war der Vortrag von Prof. Dr. Schlüter, der zunächst die Ergebnisse einer Studie anbot, deren Fragestellungen so unglücklich formuliert waren, dass deren Ergebnisse meines Erachtens als tendenziös einzuschätzen sind. Die Schlussfolgerungen des Referenten aus diesen insofern fehlerhaften Studienergebnissen schienen mir aber mindestens ebenso unpräzise. Besonders prekär schien mir, dass die Studienergebnisse bis zum Jahr 2009 vorlagen, der Referent aber daraus Aussagen über die Zukunft mit dem iPad (et. al.) ableitete. Ähm, hallo? Aufgrund der geschlossenen (und erstmals vollständigen!) Wertschöpfungskette hat Apple 2010 erstmals eine Infrastruktur geschaffen, die digitales Lesen mit so viel Mehrwerten ermöglicht, dass eine großflächige Ablösung des Papiers nur noch eine Frage der Zeit sein dürfte. Das ist systemisch etwas Neues, was vom Referenten aber unberücksichtigt blieb, so dass mir der Vortrag insgesamt eher realitätsfern schien. Schauen Sie in einem Apple-Shop in die leuchtenden Augen der iPad-Kunden und fragen Sie sich dann noch einmal, was das für Verlage und Handel bedeutet.

De Gruyter mit großem Vorsprung

Vollumfänglich gelungen fand ich den Vortrag von Fr. Siems, bei der sich in den folgenden Tagen alle Teilnehmer einzeln bedanken zu wollen schienen. Hier wurde der Digitalisierung mit einer komplett neuen Workflow-Architektur rund um den Kunden Rechnung getragen. Das könnte anderen als Vorbild dienen. 

Menü light

Dann war die Einstimmung mit Schulbank-Charakter zuende und es ging auf zur Mittagspause, wo es Mini-Salate und Kartoffelsüppchen gab. Eben, eigentlich braucht man auch nicht mehr, wenn man abnehmen möchte.

Work?shops nur für Lauscher

Nachmittags war ich im Workshop „Marketing und Vertrieb von nicht physischen Gütern“. Ja, in einem Work-Shop, also was mit Arbeiten und Mitmachen, dachte ich. Aber schon meine Frage, ob es sich bei den nicht physischen Gütern um klassische PDFs, angereicherte eBooks oder sogar Apps handeln solle, wurde als „zu akademisch“ zurückgestellt. Wow, ich konnte also auf ein integratives Konzept hoffen, das die ansonsten vollkommen unterschiedlichen Marketing- und Vertriebsworkflows zu vereinigen geschafft hatte. Von den veranschlagten 45 Minuten dauerte der Vortragsteil zur Darstellung eines Projekts, das noch vor 8 Jahren als innovativ hätte bezeichnet werden müssen, dann aber satte 40 Minuten. Und erst mit Blick auf das nahende Ende der Veranstaltung kam die obligatorische Aufforderung Fragen zu stellen. Hm, hatte ich Format und Thema irgendwie falsch verstanden?

Im nächsten Workshop „Online Produktmanagement“ kam zwar gleich zu Beginn die Ankündigung, dem Workshop-Charakter durch frühzeitiges Einbeziehen der Teilnehmer gerecht werden zu wollen. Nach 50 (!) von 45 veranschlagten Minuten ununterbrochenen Vortrags musste ich aber auch hier meinen Traum vom Mitmachen als geplatzt betrachten.

Ein Abend wie aus dem Bilderbuch

Die Abendveranstaltung war wirklich großartig: Leckerstes Essen mit tollen Leuten und wertvollen Gesprächen.

Buchtage

Grundmann als Zeitfresser

Mit welcher Perfektion Politiker die Kunst des Sprechens ohne Aussage beherrschen, ist hinlänglich bekannt. Diese Meisterschaft zeigte sich denn auch bei Frau Grundmann in Form groß klingender Phrasen, etwa mit dem notwendigen Mut die erforderlichen Schritte zur Innovation zu beschreiten. Dass eine gehaltsbeziehende Politikerin gestandenen Unternehmern dadurch die Zeit stiehlt, dass sie sich ihnen durch Textbausteine etwas von Mut zu erzählen berechtigt wähnt, hatte schon etwas Groteskes. Im Übrigen hätte man denselben Vortrag mangels Aussage sowohl vor als auch in 10 Jahren halten können (vermutlich tat und tut sie das auch). Dennoch wurde höflich geklatscht und zur Rache später heimlich gelästert.

Microsoft schmerzfrei

Dr. Ritz stand vor der schwierigen Aufgabe, politikergleich mit Worthülsen davon ablenken zu müssen, dass sowohl Google als auch Apple für die Verlagswirtschaft mächtige Produkte und Services entwickelt hat, Microsoft jedoch nicht einmal schlüssige Konzepte. Sahnehäubchen ihrer Argumentation war dann die Einladung zum Hause Microsoft, also eines vielfach verurteilten Monopolisten, mit der Begründung, dadurch die Monopolstellung von Google und Apple zu schwächen. Habe ich da vielleicht eine geheime Logik übersehen?

Fund zu gut

Mit Herrn Funds Vortrag wurde es dann endlich konkret und sehr fundiert. So fundiert allerdings, dass ich aufgrund der Gespräche vom Vortag sicher zu wissen glaubte, dass im Auditorium noch viel grundsätzlichere Fragen unbeantwortet waren.

Dreusicke: Neu und schon Querulant

Als ich mich daher mit dem Vorschlag zu Wort meldete, Rückkanäle für die Teilnehmer einzurichten, um deren Fragen und Bedürfnisse besser kennenzulernen, ging es mir darum, statt Frontalvortragsberieselung besser mit den Teilnehmern in den Dialog zu kommen und dadurch die vorhandenen (Wissens-) Ressourcen der Teilnehmer optimal zu nutzen. Die Antwort, dass der geeignete Ort hierfür die Workshops seien, schien mir aufgrund der Erfahrungen vom Vortag (Workshops, die keine waren) kaum beruhigend. Aber vielleicht würde es heute Nachmittag ja besser werden?

Work?shop

Ganz in der Tradition des Vortags war auch der Workshop „Digital content = Paid content?!“ ausschließlich eine die Gesamtzeit überziehende Aneinanderreihung von (wenn auch guten) Vorträgen, nach der erst in der für die Kaffeepause veranschlagten Zeit eine Fragerunde zugelassen wurde. Vielleicht heißt „Workshop“ beim Börsenverein ja auch, dass die Vorträge zumindest schon mal nicht mehr abgelesen werden, so wie es im großen Saal die schmerzhafte Regel war?

Fachgruppenversammlung „Verlage“

Hier drehte sich alles um Libreka. Den Namen hatte ich vorher schonmal gehört und lernte jetzt recht schnell, dass sich dahinter eine hübsche Plattform versteckt, die aber weder technisch noch konzeptionell eine Überlebenschance hat, von der sich zu trennen aber manchen Mitgliedern angesichts der versenkten Gelder und des umsonst mit Herzblut der jeweiligen Verlage angereicherten, im Ergebnis aber unverkauften Contents schwer fiel. Interessanterweise wurde trotz lauter Proteste der Teilnehmer nicht über die Gretchen-Frage abgestimmt, ob die sofortige Beendigung von Libreka die einzig wirtschaftlich sinnvolle Entscheidung ist. Ich bin gespannt, ob ich das eines Tages verstehe.

Kulturbrauerei: Zweite Bilderbuch-Abendveranstaltung

Das Essen, die Veranstaltungen, die Leute, alles war unglaublich schön und liebevoll vorbereitet. Großartig! Ich habe mir sagen lassen, dass ein kleines Kern-Team bis in den Morgen hineintanzte.

Vollversammlung mit Entertainmentfaktor

Auch ohne Stimmrecht war die Vollversammlung der reinste Genuss. Prof. Dr. Honnefelder leitete die Veranstaltung mit der sprachlichen und dirigentischen Präzision einer Atomuhr, schlafwandlerischer Sicherheit und schelmischem Wortwitz. Auch wenn ich aus den Reihen mal ein „Ganz der Oberlehrer. Aber dafür lieben wir ihn ja.“ aufschnappte, ermöglichte sein konsequentes Regiment eine Umsetzungsgeschwindigkeit kollaborativer Entscheidungsfindung, wie ich sie mir für unseren Bundestag wünschen würde. Chapeau bas!

Fazit

Bzgl. der Offline-Welt habe ich den Börsenverein als eine der professionellsten Vereinigungen überhaupt kennengelernt. So viele Mitglieder haben hier eine beeindruckende fachliche Kompetenz, in deren Nähe ich nur lernen und wachsen kann. Deswegen fühle ich mich durch meine Aufnahme zum korrespondierenden Mitglied sehr geehrt und bin schon jetzt ein bisschen stolz dazuzugehören.

Die Modernisierung hinsichtlich 1. der Veranstaltungsformate (aktive Teilnahme statt Frontalunterricht) und 2. der Wissensvermittlung zur Digitalisierung der Produktion, Distribution, Verwertung und Rezeption von Content scheint mir noch jede Menge Entwicklungspotenzial zu haben.

Dorothee Werner und ihre Kollegen haben mit dem diesjährigen Frankfurter BuchCamp bewiesen, wie gut das funktionieren kann. Wenn das BuchCamp nicht als vom Börsenverein zeitlich und räumlich losgelöste Veranstaltung etabliert, sondern künftig in die BuchTage integriert würde, ließe sich damit vielleicht ein weiterer Beitrag zur Entwicklung des digitalen Verständnisses der Mitglieder leisten.

Für die unterschiedlichen Bereiche des Börsenvereins würde ich mir Facebook-Fanseiten, XING-Gruppen und mixxt-Seiten wünschen, auf denen auch die Veranstaltungen mit den wichtigsten Metadaten gepostet werden. Ebenso wie persönlich twitternde Mitarbeiter und nicht nur Festnetz-, sondern auch Mobil-Nummern der Organisatoren. Und ein Videocast der hilfreichsten Fragen und Antworten während der Veranstaltungen würde mit wenig Aufwand deren Nachhaltigkeit verbessern.

Ich freue mich auf die Möglichkeiten, kommende Entwicklungen durch meinen Beitrag zu unterstützen.