Das gelang nur ansatzweise: Immerhin stieg in der Woche nach Pfingsten die Zahl der im Agentenzentrum vermieteten Tische von 110 auf jetzt 180. Aber wer sich erinnert an die Dimension, die die Veranstaltung noch zur Jahrtausendwende hatte, als sie neben Frankfurt als weltweit wichtigstes Branchen-Event galt, konnte angesichts dessen, was sich hier in New York bot, nur Trübsal blasen. Zwischen 1.400 und 1.500 betrug die Zahl der Aussteller nach Veranstalterangaben, aus rund 40 Ländern. Davon nahmen 28 am deutschen Gemeinschaftsstand teil, der wie üblich von der Frankfurter Buchmesse ausgerichtet wurde – auch diese Zahl verdeutlicht die schwindende Bedeutung der BookExpo.
Dabei hatten die Veranstalter sich bemüht, dem Trend entgegenzuwirken: Die Messe wurde vom Wochenende in die Arbeitswoche verlegt; die Ausstellungsdauer wurde auf zwei Tage verkürzt; ein auf eineinhalb Tage angelegtes Konferenzprogramm wurde vorgeschaltet; gemeinsam mit Partnern wie der New York Public Library, dem Verband der unabhängigen Buchhändler sowie den Großfilialisten Barnes & Noble und Borders wurde eine „New York Book Week“ aus der Taufe gehoben. Die wies insgesamt 49 Veranstaltungen auf – Leipzig grüßt kühl lächelnd von der Pleiße an den Hudson. Und statt der erwarteten 35.000 „Teilnehmer“ trudelten nur etwas mehr als 21.000 in das Javits Center im Westen Manhattans. Jeder Neubeginn ist schwer.
Überhaupt hatten die Veranstalter bei der Neukonzeption der Messe auf Marketing und Prominenz gesetzt: Barbra Streisand – für ihre literarischen Qualitäten eher weniger berühmt – hielt die Eröffnungs-Show. Und auch die unglückselige britische Ex-Prinzessin Sarah Ferguson kam nach New York – obwohl sie just am Wochenende vor der BEA bei dem Versuch aufgeflogen war, einem als Geschäftsmann getarnten Journalisten Kontakte zu ihrem Ex-Gemahl Prinz Andrew zu verschaffen. Gegen die bescheidenen Summe von 500.000 Pfund. Immerhin hatte sie die Größe, bei ihrer Veranstaltung ein paar Witze zu reißen über die eigenen Unzulänglichkeiten. Eine Woche später gab Sie zu wissen, dass Sie beim Gespräch mit dem bösen Mann besoffen gewesen sei. Ach, Ihr Edlen dieser Welt, was soll man von Euch halten? Zum ersten Mal fanden Book-Signings im Ausstellungsbereich statt, was bei Autoren wie Carl Hiaassen zu enormen Schlangen und bei den benachbarten Ständen für berechtigten Zorn sorgte.
Das eigentliche Thema der Messe aber waren die Ebooks, die – im Gegensatz zu Deutschland – bei den Publikumsverlagen in Nordamerika eine durchaus beachtliche Umsatzgröße darstellen. Bei Hachette, dem größten englischsprachigen Publikumserlag, lag der Anteil im vergangenen Jahr bereits bei 8 Prozent, und ähnliche Tendenzmeldungen waren allenthalben zu hören während der Fachseminare. Dabei ging es naturgemäß um Abrechnungsmodelle und technische Standards, aber auch um ganz handfeste Formen der Zementierung von Marktanteilen zugunsten der großen Anbieter, dem auch die Arbeit von Zwischenbuchhändlern wie Ingrams oder OverDrive, die Modelle für unabhängige Sortimenter entwickeln, nicht viel entgegen zu setzen hat. Immerhin gibt es in den USA diese Bemühungen, alldieweil in Deutschland weder Sortimenter noch Zwischenbuchhandel aus dem Quark zu kommen scheinen. Libreka! kann es nicht allein richten, wenn der Handel nicht entschieden mitzieht. Aber Libreka! muss ja wohl auch erstmal entscheiden, was es eigentlich sein will. Also ist der Handel derzeit noch entschuldigt.
Klammer auf: Die Lesegeräte, die in New York gezeigt wurden, waren allenthalben Gegenstand milden Lächelns. „Elektroschrott“ sei das bereits jetzt, hieß es unumwunden, die nächste Generation stehe vor der Tür und werde auch den iPad betagt wirken lassen. Klammer zu.
Für das traditionelle Geschäftsmodell der Verlage offenbarte sich während der BookExpo allerdings eine weitere Gefahr, die in Deutschland und Europa bislang noch weitgehend ignoriert wird: Selbstverleger. Diese Spezies von ehrgeizigen Autoren wird bei uns bislang belächelt. Das dürfte sich bald ändern. Schauen Sie einmal eine Plattform wie
www.xinxii.com für elektronische Bücher an – sicher, da tummelt sich kein BöllGrassWalser der neuen Generation, aber so schlecht ist das nicht, was dort geboten wird.
Auch ich zähle mich zu denjenigen, die vollmundig die Wächter- und Kontrollfunktion des Verlags betonen. Ich zähle darauf, dass Verlage mich vor der Flut des unausgegoren zu Papier gebrachten beschützen (nun ja, die heilige Trias Bohlen, Naddel, Küblböck, die 2003 die Buchmesse erfreute, lässt grüßen …). Und der wenig Mitleid hat mit denjenigen, die durch ihr unbändiges Verlangen, endlich den eigenen Namen gedruckt zu sehen, in die Arme der mildtätigen Freunde aus den Dienstleisterverlagen getrieben werden. Wo aber in Deutschland vor allem jene Dienstleisterverlage dieses merkwürdige Phänomen zum eigenen Frommen ausnutzen, haben in den USA die großen Handelsformationen das geschäftliche Potential erkannt: Amazon und Google bieten Selbstverlegern mit ihren Ebooks genauso eine Handelsplattform wie Barnes & Noble. Und hier verschwindet dann der Startvorteil, den Verlage ihren Autoren bieten können, ganz schnell: Die elektronischen Handelsplattformen sind erbarmungslos demokratisch und kennen inhaltliche Qualität nicht als Kategorie.
Wie kräftig diese Szene sich entwickelt, ist an den Zahlen abzulesen: zwischen 300.000 und 400.000 Titel erscheinen in den USA pro Jahr im Selbstverlag – in Deutschland wird dieses Segment statistisch nicht erfasst. Das kann man als Verstopfung des Marktes und der Kanäle abtun. Das nützt aber nichts: Wer dieses Thema jetzt nicht ernst nimmt, wird es demnächst bereuen.
Zurück zur Situation der Messe: Die BookExpo America hat viel Arbeit vor sich in den kommenden Jahren, in denen Sie sich strategisch für eine Rolle entscheiden muss. Das enorme Buchhandelssterben, das in den vergangenen Jahren die unabhängigen Sortimenter in den USA getroffen hat, hat ihre Funktion als Buchhandelsveranstaltung beinahe obsolet werden lassen. Seit dem misslungenen Versuch der Frankfurter Buchmesse, eine Konkurrenz in London auf die Beine zu stellen, ist die Londoner Buchmesse so nahe an den Termin der BookExpo herangerutscht, dass eine echte Kannibalisierung im Lizenzgeschäft stattgefunden hat. Hier finden jetzt Gespräche zwischen den beiden Messen statt – die immerhin Stallgefährten sind bei Reed Exhibitions, dem größten Messeveranstalter der Welt – mit dem Ziel einer Entzerrung. Zwar laufen immer noch ganze Hundertschaften von Lektoren und Agenten im Vorfeld der BookExpo durch New York – diese fallen aber bislang als Messekunden wenig ins Gewicht. Auch hier gäbe es wohl Möglichkeiten, diese Klientel in die Messe einzubinden. Und die Messedauer soll wieder von zwei auf drei Tage erweitert werden, was vor allem den Ausländern gefällt.
Vor allem aber muss die BookExpo die Frage beantworten, inwieweit sie sich dem allgemeinen Publikum öffnen will. Dies wäre im Sinne des Gedankens, die Messe als Marketinginstrument für Bücher zu machen, wohl sinnvoll. Ob aber ein halbes Leipzig (und das ist die BookExpo derzeit) am Hudson sinnvoll wäre, ist wieder eine andere Frage.