Der wahrscheinlich beste Buchtitel der letzten Jahre war ein Bestseller. Das Cover für Stephenie Meyers "Twilight" ist gleichermaßen raffiniert, sinnlich und plakativ. Zwei zerbrechlich-blasse Hände halten uns einen strahlend roten Apfel entgegen. Schönste Klarheit, klügste Poesie. Offen gestanden ist Vampirromantik kein von mir bevorzugtes Lesegenre, aber hier flehte mich die blanke Unschuld an zuzubeißen. Wie eine (vermutlich) jungfräuliche Protagonistin einem blutfixierten Liebhaber gibt sich mir ein ganzer Roman hin. Das Versprechen, das Lesen dieses Textes sei wie der erste Sex, hätte mich zum ersten Mal All-Age probieren lassen.
Meine Begeisterung hielt sich nicht bis zur deutschen Ausgabe. Die gab dem Buch nämlich eine neue, konventionelle Hülle: Wir sehen einen hübschen Teenager, bewachsen mit femininer Ornamentik, ergänzt um verklärte Typografie, und wir lesen einen Titel, der jede Interpretation ausschließt: "Bis(s) zum Morgengrauen." Gute Nacht!
Trotz der Absatzgewissheit, mit der Carlsen die Lizenzveröffentlichung der in den USA spektakulär erfolgreichen Meyer-Bände übernahm, hielt es das Marketing für angebracht, den Auftritt abzusichern, dem Leser keine Interpretation abzuverlangen.
Das Cover, digital oder haptisch, verkauft das Buch. Es schafft Orientierung, leitet zunächst ins Genre, dann in den Text, schließlich zu der Besonderheit und damit zu dem Grund, das Buch überhaupt zu kaufen. Es ist Aufgabe der Buchgestalter, das individuell zu bedienen. Die Marketingabteilungen, verantwortlich für den Erfolg des Entwurfs, versuchen dabei eventuelle Geschmackshindernisse oder Verständnishürden zu umgehen. Folglich entstehen Cover oft nach Grundrezepten: Man nehme einen blauen Himmel (Leichtigkeit?) oder einen gelben Strand (Freiheit?), wahlweise einen weißen Flügel (Sehnsucht?), einen schwarzen (Bedrohung?) oder bunten (Exotik?), alternativ ein Gesicht (Schicksal?), eine Hand (Verzweiflung?) oder Füße (Humor?), kombiniere das mit geschwungener Handschrift (lebenslustig?), riesigen Lettern (wichtig?) oder zerstörter Typografie (morbid?), garniere mit Patina (für Männer?), Floralornamentik (für Frauen?), Blutspritzer (für Ehefrauen?).
Eine funktionierende Gestaltungsmechanik wird schnell kopiert, um ebenso erfolgreich zu sein. Der Markt sieht derzeit auf manchen Tischen gleichgestaltet /gleichgeschaltet aus.
Als im vergangenen Jahr, beispielsweise, erstmals Krimis bei Suhrkamp herauskamen, machte die Gestaltung der Cover deutlich, dass sie auch bei Heyne oder anderswo hätten erscheinen können. Suhrkamp verzichtete darauf, optisch eine eigene Krimikompetenz herauszustellen, sondern bewies Anpassungs-fähigkeit an den Markt und signalisierte nur, ebenso gut wie die anderen zu sein. Suhrkamp!
Die präsenten optischen Mittel der Buchtitel haben mittlerweile eine breitenwirksame Langeweile erschaffen, die zwangsläufig Lust auf anderes macht. Die durch gelungene Kreation herausragenden Titel haben damit mehr Erfolgschancen als bisher. Warum sollten auch Leser, die bereit sind, sich mit Texten auseinanderzusetzen, sich vor einer ungewöhnlichen Cover-Idee fürchten? Verlage brauchen nur den Mut, bei den Lesern wieder ein eigenes Bild im Kopf zuzulassen, statt es ihnen vorzugeben.