Die Buchbranche verändert sich in hohem Tempo – die Themen der Buchtage haben das gerade erst widergespiegelt. Was bedeutet dieser Wandel für einen Verband, der beansprucht, die gesamte Branche zu repräsentieren?
Der Veränderungsprozess, den unsere Branche durchlebt, den sie zugleich aber selbst gestaltet, ist der Digitalisierung geschuldet. Er wird auch den Verband verändern. Wir wissen allerdings noch nicht, in welchem Umfang die Digitalisierung in unseren Handelsstufen marktgängig nutzbar gemacht werden kann. Sicher ist: Es wird neue Player geben. Die Wertschöpfungskette wird sich verändern. Völlig neue Produkte werden wir ebenso sehen wie Bücher mit neuen digitalen Möglichkeiten des Gebrauchs. Auch die Bedürfnisse der Endkunden werden sich weiterentwickeln. Wir werden mit Nachfragen zu tun bekommen, die wir noch gar nicht kennen. Und die politische Arbeit wird uns mehr als bisher herausfordern.
Was verstehen Sie unter neuen Playern?
Wir haben heute schon Dienstleister, die näher an uns heranrücken, ich denke an Adobe, Microsoft, Apple. Die Außengrenze der Branche wird durchlässiger. Amazon hat gezeigt, wie das geht: ein Unternehmen, das quasi über Nacht zum größten Buchhändler am Markt heranwuchs. Der nächste könnte Apple werden, der das auf dem Gebiet der Musik schon üben konnte. Wir werden uns auf erhöhte Artenvielfalt einstellen müssen.
Die "Fremden" kommen womöglich nicht alle in freundlicher Absicht.
Darum geht es nicht. Der Leser entscheidet, welches Angebot er annimmt. Hier punktet der Bessere. Auch wenn es sich bei den neuen Playern also um Konkurrenten der bestehenden Marktteilnehmer handelt, werden wir als Verband auf sie zugehen.
Warum?
Die Konkurrenzsituation wird so oder so entstehen. Wir haben aber die Chance, die neuen Player in die Pflicht zu nehmen für den Buchmarkt. Das stärkt uns auch in der politischen Arbeit immens; man kann das am Beispiel Microsoft und Adobe in Urheberrechtsfragen bereits sehen. Wir sind doch als Börsenverein eine große Clearing-Plattform für zunehmend unterschiedliche Interessen. Unsere Aufgabe wird es bleiben, diese Interessen auch in Zukunft so zusammenzuführen, dass es bei optimalen Rahmenbedingungen den Buchmarkt für alle Beteiligten sichert, ihn erweitert, die Partizipation aller ermöglicht und damit auch die einzigartige Vielfalt des Verlags- und Buchhandelswesens schützt.
Aber hat der Drei-Sparten-Verband nicht schon genug damit zu tun, seine Zentrifugalkräfte zu beherrschen?
Wir haben unsere Stärke dadurch bekommen, dass wir die drei Sparten bei uns haben. Nur deshalb sind wir der eine, kompetente Ansprechpartner in der Gesellschaft für das Buch. Wir stehen also vor der Wahl, entweder unsere immer noch sehr übersichtliche innere Ordnung zum Teil preiszugeben zugunsten einer bleibenden Relevanz oder diese politische und gesellschaftliche Relevanz einzubüßen. Man würde sich dann weiter der vertrauten – freilich zunehmend irrelevanten – inneren Ordnung erfreuen können. Für mich gibt es aber keinen Zweifel: Um auch künftig mit einer Stimme für die Buchbranche sprechen zu können, müssen wir die neue Vielfalt auch in unserer Mitgliedschaft abbilden.
Welches sind in Zukunft die zentralen Themen der Verbandsarbeit?
Wir werden vor großen politischen Herausforderungen stehen, was die Bewahrung von Rahmenbedingungen angeht, aber auch im Blick auf ihre künftigen Entwicklungen. Am Beispiel des Urheberrechts für eine digitale Mediengesellschaft sehen wir das aktuell am deutlichsten. Und wir werden, zweitens, die Dienstleistungen für unsere Mitglieder weiterentwickeln. Das bedeutet vor allen Dingen, für die mittleren und kleinen Unternehmen geeignete Angebote bereitzustellen, die sie dabei unterstützen, am Markt erfolgreich zu agieren.
Manche Mitglieder haben den Eindruck, alle Welt redet nur noch von Digitalisierung, und jetzt auch ihr Börsenverein. Dabei werden immer noch ein paar physische Bücher verkauft ...
Ja, hier äußert sich zu Recht ein gewisses Unbehagen. Bei aller Beschäftigung mit diesem zentralen Zukunftsthema: Wir müssen Augenmaß bewahren. Keiner kann heute sagen, wie sich der Markt in den nächsten Jahren entwickeln wird. Da ist viel Übertreibung, überzogene Geschwindigkeit und zum Teil auch Hysterie im Spiel.
Auch mangelndes Selbstbewusstsein einer Branche, die gelegentlich als traditionsverhaftet kritisiert wird?
Es handelt sich bei der Digitalisierung um einen technischen Fortschritt, nicht um einen inhaltlichen. Das muss man sich zwischendurch mal klarmachen. Wir sind Inhalts- und Vertriebsspezialisten, davon verstehen wir etwas. Das heißt: Unsere Kompetenzen und Stärken werden nun nicht obsolet, sondern im Gegenteil, sie werden mehr denn je gefordert und nachgefragt.
Woran stellen Sie das fest?
Große Player wie Microsoft sprechen bereits vom "Hunger nach Content". Content fällt aber nicht aus Wolken und Schwärmen, auch nicht aus intelligenten. Sondern er muss kreativ und professionell erarbeitet werden. Die Addition von Tausenden Kreativdilettanten führt doch nicht dazu, dass die Qualität des von den Vielen Geschriebenen gehoben wird. Sie bleibt allenfalls Mittelmaß. Gerade in einer Branche, die für das Buch als Leitmedium steht, müssen wir andere Qualität liefern können. Das wird von uns erwartet. Und darin liegt unsere Chance.
Das Buch sehen Sie also im Mix der Medien eher wichtiger werden?
Unbedingt. Jetzt ist die Zeit der Entscheidung gekommen: dass wir herkunftsbewusst, branchenbewusst und selbstbewusst die neuen technischen Möglichkeiten nutzen, unser Kulturgut Buch ins 21. Jahr-hundert zu bringen. Wir sollten das herkömmliche, mit dem einzigartigen Profil seiner Eigenschaften auch heute noch großartige Medium Buch nicht vorschnell in die Museumsvitrine stellen. Wir sollten der Suggestion nicht erliegen, dass mit der Digitalisierung unsere Tradition der Buchkultur hinfällig würde. Das wäre grundfalsch. Mehr Gelassenheit im Umgang mit den Marktveränderungen stünde unserer Branche gut an.
Wie begründen Sie Ihren Optimismus?
Gerade die traditionellen Eigenschaften des Buches machen es zu dem überlegenen Medium für die Aneignung von Langtexten. Als solches wird es in der wachsenden Vielfalt der Medien zunehmend geschätzt und nachgefragt sein. Das »Prinzip Buch« – damit meine ich das Bedürfnis nach längeren, vertiefenden, nachhaltigen, zuverlässigen, relevanten Texten –: Dieses Prinzip hängt nicht an der Frage analog oder digital. Sondern es ist die perfekte Antwort auf ein Bedürfnis des Lesers, der, selbst wenn er auf einem Monitor im Buch läse, auch als User ein Leser bliebe. Das scheint eine anthropologische Konstante zu sein.
Gibt es messbare Anzeichen dafür?
Wir können nicht dauerhaft entgegen menschlichen Grundbedürfnissen Märkte machen. Neben dem Schnellen, Flüchtigen, für den Tag Gemachten der Internetwelt wird immer Platz sein für die Intensivmediennutzung. Das können wir auch mit Marktzahlen belegen. Nichts deutet heute darauf hin, dass der Handel mit physischen Büchern aufgrund wachsender digitaler Marktanteile in näherer Zukunft großen Schaden nehmen würde. Und auch das abgeschlossene Wirtschaftsjahr hat uns – zum wiederholten Mal – gegen den allgemeinen Trend im Einzelhandel ein Wachstum im Geschäft mit physischen Büchern beschert.