Das Ende des Buchzeitalters, der Gutenberg-Galaxis, wurde bereits in den Sechzigern von dem bekannten Medientheoretiker Marshall McLuhan, damals noch im Zusammenhang mit einer Theorie des Fernsehens, vorausgesagt. Längst spricht man von der „Gates-Galaxis“, in der vor allem elektronische Medien dominieren. Entsprechend wird seit Jahren der Untergang des gedruckten Buches diskursiv vorausgesagt, da es sich gegenüber anderen, inhaltlich äquivalenten medialen Formen behaupten muss. Es stellt sich unter anderem die Frage nach deren Substitutionspotenzial, die auch eng mit der jeweiligen Leistungsspezifik und dem Mehrwert der unterschiedlichen medialen Formen für den Kunden zusammenhängt. In meiner Bachelorarbeit versuche ich die allgemeine Fragestellung nach der Zukunft des gedruckten Buches mit der konkreten Frage nach unternehmerischen Strategien von Buchhandlungen zu verbinden.
Das E-Book ist dabei einer der größten Kontrahenten des materiellen Buches: auf Inhaltsebene bereits identisch, versucht es auch die Ästhetik eines gedruckten Buches zu imitieren. Doch trotz allem unterscheidet sich die Medienspezifik von der des materiellen Trägers von Schrift. Eine wichtige Frage im Zusammenhang mit der Rolle des gedruckten Buches ist also, welche Funktionen an seine physische Erscheinungsform gebunden sind und welche beispielsweise auch von E-Books übernommen werden können.
Im Zusammenhang mit der Medienkonkurrenz steht auch die Konkurrenz der Vertriebskanäle. Buchhandlungen sehen sich mit steigenden Umsatzzahlen des Online-Buchhandels konfrontiert und versuchen sich selbst am E-Commerce zu beteiligen. Multi-Channel scheint in diesem Zusammenhang das Zauberwort oder zumindest eine zukunftsrelevante Unternehmensstrategie zu sein, glaubt man den Experten Marion Sollfrank (Filialleiterin bei Thalia), Heinrich Riethmüller (Vorstandsvorsitzender des Sortimenterausschusses des Börsenvereins und Geschäftsführer der Osiander'schen Buchhandlung) sowie Michael Roesler-Graichen (Börsenblatt-Redakteur), die im Rahmen meiner Bachelorarbeit zu Wort kamen.
Die Auseinandersetzung mit der Zukunft des gedruckten Buches und den damit in Zusammenhang stehenden unternehmerischen Konzepten des Bucheinzelhandels findet bereits seit mehreren Jahrzehnten statt. Eine historische Diskursanalyse, für die ausgewählte Börsenblätter aus den Jahren 1990, 2000 und 2010 die Quellenbasis waren, ergab, dass über Themen wie die Funktionen des Buches oder dem Buch in der Medienkonkurrenz von Anfang der Digitalisierung bis heute zwar in den verschiedenen zeitgenössischen gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Zusammenhängen diskutiert wurde, dies aber immer in differenzierter Art und Weise geschah. Nicht nur das Branchenblatt, sondern auch der allgemeine Pressediskurs machen dies ganz deutlich und beide kommen letztlich, nach Abwägen der Vor- und Nachteile von gedrucktem und elektronischem Buch, zu einem Schluss: die parallele Existenz beider medialer Formen ist die wahrscheinlichste Zukunftsaussicht. Auch hier stimmen die Experten zu.
Eine Kundenumfrage ermöglicht es in der Arbeit, neben Studienergebnissen auch die Verbrauchersicht in die Themenstellung mit einfließen zu lassen. Sie bestätigt die Tendenz zum multioptionalen Kundenverhalten, das durch die Nutzung verschiedener Vertriebskanäle wie Internet und Buchhandlung charakterisiert werden kann. Substitutionspotenzial wird auf Branchen- wie auf Kundenseite vor allem in den Bereichen Fach-, Sach- und Lehrbuch gesehen, zudem in den Bereichen Lexika und Reiseliteratur. Belletristik und Kinder- und Jugendbücher belegen hier sowohl in Studien wie auch bei der Umfrage die hinteren Plätze.
Die Charakterisierung des Buches als Kulturgut scheint aus Kundensicht unweigerlich an seine gedruckte Form gebunden zu sein. E-Books dagegen scheinen bis jetzt vor allem als Informationsmedium definiert zu werden. Das gedruckte Buch übernimmt für die Kunden tendenziell vielfältigere Funktionen, was es als unvergänglich und gegenüber dem E-Book als gehalt- und wertvoller erscheinen lässt. Alle Befragten wollen auch in Zukunft gedruckte Bücher kaufen. Eine sehr positive Grundeinstellung gegenüber dem Medium Buch, die sicherlich auch aus der Tradition heraus gewachsen ist, wird insgesamt deutlich.
Auch wenn die Kunden noch keinen Mehrwert beim Lesen von elektronischen anstatt physischen Büchern wahrnehmen und daher das Interesse noch gering ist, wird bei der zukünftigen Wahl des für die Zwecke des Kunden geeigneten Mediums künftig vor allem eine primäre Bedürfnisorientierung und Inhaltsausrichtung erwartet. Dieses Argument spricht für das E-Book, das dann seine strategischen Vorteile wie die Aktualität der Informationen in einigen Bereichen ausspielen könnte.
Da der E-Book-Verkauf über das Sortiment noch problematisch ist und eigentlich auch einen Umweg darstellt, steht der Bucheinzelhandel nun vor einem Problem: Neben dem Online-Angebot muss dem Kunden auch ein Zusatznutzen angeboten werden, der die Buchhandlung unterscheidbar macht, auch vom virtuellen Marktplatz Internet. Hier werden Tendenzen wie Erlebniseinkauf, verstärkte Service- und Kundenorientierung, Visual Merchandising und Spezialisierung des Sortiments genannt.
Das vorläufige Fazit ist jedoch (die Arbeit ist noch nicht fertig gestellt): Kunde und Branche scheinen sich darauf geeinigt zu haben, dass es das gedruckte Buch, zumindest mittelfristig, weiterhin im Sortimentsbuchhandel geben wird, aber auch die Integration neuer Medien wichtig ist. Dies hat auch der Bucheinzelhandel erkannt, der nun vor einigen Herausforderungen steht, was die Anpassung der Unternehmensaktivitäten an die Marktentwicklung und die Kundenwünsche angeht. Letztlich erscheint mir persönlich die Prognose einer Parallelexistenz von analogem und elektronischem Buch nicht nur als wünschenswert, sondern auch als wahrscheinlich. Und die Stimmen, die den Tod des gedruckten Buches vorausgesagt haben, sind seit einiger Zeit verstummt.