Meinung

Der Buchhändler als leuchtende Marke

12. August 2010
von Börsenblatt
Empathie, Dialogkompetenz, kulturelle Neugier - wie aus Buchkäufern Freunde werden können erklärt Rainer Groothuis, Buchgestalter und Verleger.

»Das ist vielleicht ’ne Marke«, hieß es bei uns zu Haus’ gelegentlich über Dritte. Gemeint war damit eine wie auch immer geartete individuelle Auffälligkeit, die dazu führte, dass die betreffende Person in besonderer Weise im Gedächtnis blieb, das eine oder andere Wort über sie lohnenswert war.

Ich hatte Glück im ersten Leben und lernte bei einem Buchhändler, der genau das war: ein Typ, ein Charakter, ein älterer Herr zwischen Anarchie und Religion, ein Büro-Chaot, ein Choleriker, der ein großes handgeschriebenes Schild an seine Ladentür hängte (und unermüdlich erneuerte): »Hier gibt es keine ›Bild‹-Zeitung!« Wehe dem, der das Schild übersah und nach »Bild« fragte … solche potenziellen Neu-
kunden kamen zumeist nur einmal.

Burkhart Krebs (der von Wolke neun, dort wo die guten Buchhändler vergangener Zeiten wohnen, auf unser Branchentreiben schaut) war in seinen menschlichen und kulturellen Polaritäten eine Marke, eine Marke mit begrenzter Bindungskraft. Viele Kunden liebten ihn gerad’ dafür, dass er sein Herz in der Hand und oft deutliche Worte auf den Lippen trug. So oder so: »Krebs« war ein Begriff, eine stadtbekannte Marke, geliebt oder nicht; man kannte ihn, wenn er im Sommer die Bibliotheksbestellungen auf seinem Rad selbst zustellte.
Hier zeigen sich die Grundzüge von »Marke«. Marke ist Charakter: selbstidentisch, unverwechselbar, kontinuierlich und sich selbst treu. Marke ist Haltung: Sie steht für etwas, für Themen, Klima, Atmosphäre. Marke ist immer mehr als ein konkretes Produktangebot: Ob sie »Vorsprung durch Technik« verspricht oder »Ich liebe es« – Marke ist ein emotionaler Raum, in dem mehr wohnt als ein Auto oder ein Hamburger.
Nun ist eine Buchhandlung nicht irgendein »Laden«, der Handel mit Büchern etwas anderes als das Anpreisen von Autos oder Hamburgern. Nicht nur weil die Buchpreisbindung Preiskonkurrenz unter den Händlern verhindert, sondern weil das Produkt eine »heilige Hure« ist, wie Brecht den Doppelcharakter aus Ware hier und Kulturgut dort nannte.

Die Buchhandlung, die ja nicht Produktmarke sein kann (machen doch die Verlage die Bücher), gewinnt ihren erfolgreichen Markenkern vor allem durch ihre kulturelle Positionierung, ihre kulturelle Verortung. Stationärer Buchhandel bedeutet: Die Marke entsteht durch Erlebnis im Raum, beispielsweise die Art, wie die Chefin / der Chef und die Mitarbeiter auftreten und gekleidet sind, die Art der Präsentation, die Ideenvielfalt oder Langeweile der Schau­fenster – und, nicht zu vergessen: durch das Programm, das Titel­angebot, die Bücher, die man für die Kunden sortiert hat.

Erlebt der Kunde Empathie, Dialogkompetenz und kulturelle Neugier? Findet er in der Buchhandlung Gesprächspartner für seine Themen und Interessen? Findet er ein, wenigstens in Teilen, eigenwilliges, besonderes Angebot? Gibt ihm diese Buchhandlung Gründe, nicht zur nächsten zu gehen, sondern ein Treuekunde, ja ein Freund zu werden? Ist die Buchhandlung eine kulturelle Plattform, die so attraktiv ist, dass der Kunde ihren Besuch und Vor-Ort-Kauf vermisst, wenn er im Internet bestellt?

Ein »Irgendwer« ist man immer irgendwann, man wird so oder so zur Marke. Aber wenn man’s gut gemacht hat, dann leuchtet diese Marke – und macht allen Freude. Dem Händler, dem Kunden, den Autoren und Verlagen. Und ihrer Hausbank.