Meinung

Übersetzungen: Dramatischer Verlust

19. August 2010
Redaktion Börsenblatt
Warum immer weniger Bücher aus "kleineren" Sprachen zu uns kommen. Von Thomas Wörtche.
Wenn es zurzeit ein Buhwort der Branche gibt, dann ­"Risiko". Irgendwann hat sich in den Köpfen der Macher und Vertreiber festgesetzt, dass »die Leute« das Immergleiche wollen. Jeder Bestseller wird auf Erfolgsfaktoren abgeklopft, um daraus eine Welle ähnlicher Titel zu generieren. Die Dinger sehen dann alle irgendwie gleich aus, wagen thematisch, geschweige denn formal oder sonstwie ästhetisch wenig bis gar nichts, was die gedachte Käuferschaft abschrecken könnte, und bedienen einen geschmacklichen Mainstream, was immer der auch sein mag. Denn wir bewegen uns ja bei Trends und Tendenzen immer in den Bezirken des Glaskugelschauens, der Beschwörungsrhetorik und der Chuzpe, jeden Zufallserfolg als Ergebnis brillanter Strategie auszugeben.
Wie gut, dass man alle die abgebrochenen, an die Wand gefahrenen und versenkten Projekte nicht sieht, all die guten Bücher nicht kennt, die zwecks glatter Konsumierbarkeit umgeschrieben, verhunzt und verdödelt wurden – und dann prompt floppten. Das gilt natürlich für die Belletristik, über die ich hier vornehmlich rede.
All das hat oft auch mit den Sprachen zu tun, aus denen die Bücher übersetzt werden. Falls sie überhaupt übersetzt werden, denn dass der deutschsprachige Anteil (der ohne Übersetzungskosten) im Lauf der letzten Jahre stetig zunimmt, belegt die Statistik.  
Die beeindruckende Zunahme der Titel aus dem Anglo-amerikanischen scheint den Trend der Risikovermeidung zu bestätigen. Die angloamerikanischen Märkte mit ihrem mörderischen Verkaufsdruck dienen sozusagen als "Härtetest". Wer es dort geschafft hat, wird es auch bei uns schaffen; wer es dort schaffen könnte, weil er von den umsatzstärksten Verlagen gemacht wird, könnte es mit einiger Wahrscheinlichkeit auch bei uns schaffen.
Das erspart uns Experimente. Dass es auf den anderen Rängen leichte Verschiebungen gegeben hat – die Frankofonen nach wie vor auf Platz 2, die Italiener für einmal von den Japanern überholt, die Ibero­fonen, die Nordischen etc. wie immer dahinter –, scheint mir nicht so bemerkenswert zu sein.
Spannend wird es bei dem dramatischen Verlust der "sons­tigen" Sprachen. Der ist erschreckend, obwohl trotz Institutionen wie dem "Weltempfänger" der LitProm, der Übersetzungsförderung, internationaler Literaturfestivals und anderer infrastruktureller Maßnahmen es mit der Literatur aus kleinen Sprachen immer schlechter wird. Am Angebot kann’s nicht liegen, denn keinesfalls sind alle kreativen Ecken dieser Welt hinlänglich ausgelotet. Man kennt das Argument vom "Krimi"-Segment, dessen internationale Quellen angeblich aus- und abgeschöpft seien. Das ist aber barer Unfug.
Genauso scheint es mir mit einer angeblichen Unverkäuflichkeit "kleiner Sprachen" zu stehen. Sie machen – zugegebenermaßen – mehr Arbeit: Übersetzung, Lektorat, Akquisition etc. verlangen nach Know-how, das selbstausbeuterische kleine Verlage durchaus haben. Die größeren Häuser, deren Engagement auf diesem Sektor sich auch statis­tisch bemerkbar machen könnte, scheuen sich allerdings oft, in kostenintensivere Kompetenz zu investieren. Das wäre nämlich, siehe oben, ein Risiko. Kein Risiko ist das Kalkül, dass diese fatale Tendenz zunächst nur von einer quantitativ unerheblichen Minderheit bemerkt wird.