VLB

Viele Kritikpunkte – und ein Traum

19. August 2010
von Börsenblatt
Seit Jahren gibt das Verzeichnis lieferbarer Bücher Titeldaten an Amazon weiter. Kannibalisiert sich die Branche damit selbst? Ja: Meint Peter Grosshaus von der Majuskel Medienproduktion in Wetzlar. Und hofft auf eine Debatte im Branchenparlament des Börsenvereins. Seine Argumente – und erste Reaktionen.

Online-Plattformen für Preisvergleiche, große Spielwarenhändler auf der grünen Wiese: Weil das Verzeichnis lieferbarer Bücher zur Referenzdatenbank für den gebundenen Ladenpreis ausgebaut wird, klopfen im Moment immer neue Interessenten bei der MVB an, die sich für den Bezug der VLB-Daten interessieren – nicht zuletzt deshalb, weil sie mit den Titelangaben künftig endlich Preissicherheit rund ums Buch haben. Aber auch: Um die Bild- und Textdaten des VLB direkt in ihre eigenen Datenbanken einzubinden.

Das Geschäft mit dem Datenverkauf wächst also, ist aber keineswegs neu: Schon seit Jahren verkauft die Wirtschaftstochter des Börsenvereins Titelinformationen aus dem VLB an externe Abnehmer. Schließlich, so MVB-Geschäftsführer Ronald Schild, sei genau das auch die Aufgabe der brancheneigenen Großdatenbank: "Das VLB ist die ideale Plattform für die Vermarktung von Büchern – das macht ihren Stellenwert aus." Die Preismodelle sind ganz unterschiedlich und individuell: Abnehmer aus den Nebenmärkten beispielsweise interessieren sich oft nur für einzelne Warengruppen wie Kinderbücher oder Hörbücher, andere Kunden beziehen die kompletten Rohdaten vom VLB (1,2 Millionen Titel von 20 000 Verlagen.)

Auch Amazon gehört zum Kundenstamm, und zwar bereits seit 2002. Seit 2009 werden die Rohdaten in "Echtzeit" online auf einen Amazon-Server überspielt. Kannibalisiert sich die Branche selbst, indem sie den marktführenden Online-Buchhändler mit den begehrten Titeldaten beliefert – und das ohne Quellenverweis? Diese branchenpolitische Frage stellt Peter Grosshaus, Geschäftsführer der Majuskel Medienproduktion in Wetzlar, zu der unter anderem die Verlage Büchse der Pandora, Anabas und Alpheus gehören. Grosshaus würde das Thema gern auf der Tagesordnung des nächsten Branchenparlaments im November sehen.

Sein Eindruck: Die Branche, der Börsenverein schaue »machtlos« zu, wie das stationäre Sortiment durch das Internet geschwächt werde. "Wenn ich aber Bücher auf breiter Basis verkaufen will, dann brauche ich den flächendeckenden Buchhandel". Einige seiner Kritikpunkte an der Zusammenarbeit mit Amazon drehen sich aber auch um das Binnenverhältnis zwischen Verlagen und Online-Buchhändlern:

Bücher aus dem VLB-Titelkatalog, die angekündigt sind, aber weder von den Barsortimenten noch von Amazon ins Sortiment genommen werden, tauchen in der Abfrage von Amazon oft als "derzeit nicht verfügbar" auf – während bei anderen Novitäten der Hinweis erscheint: "Dieser Artikel ist noch nicht erschienen", mit Reservierungsoption. Die Crux: Da sowohl Kunden als auch immer mehr Buchhändler via Amazon recherchieren, wird aus "Nicht verfügbar" bei Amazon schnell ein "Überhaupt nicht zu haben".Kleinverlage haben zwar die Möglichkeit, ihre Bücher über das Programm Amazon Advantage beim Online-Händler zu platzieren. Mit den Konditionen allerdings (50 Prozent Rabatt, weitere 5 Prozent für Lagerhaltung / Vermarktung) könnten Verlage ihre Programme nicht finanzieren, so Grosshaus.Dass die VLB-Daten allen Unternehmen "informationshalber" zugänglich sein sollten, zweifelt er nicht an. Aus seiner Perspektive ist es aber "mindestens unrichtig", die VLB-Daten anderen Unternehmen zu überlassen – und dabei hinzunehmen, dass in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehe, es handele sich um eigenständige, redaktionelle Leistungen der Lizenznehmer.

Eine "unbesehene Veröffentlichung" seiner angereicherten Titeldaten via Amazon würde der examinierte Grafikdesigner aus all den genannten Gründen am liebsten stoppen – auch wenn die Verträge mit der MVB rechtlich nach Einschätzung der Börsenvereins-Juristen einwandfrei formuliert sind und die Weitergabe dieser Daten ausdrücklich ermöglichen. Das Argument von Grosshaus: Cover und die Informationen zum Inhalt seien urheberrechtlich geschützt. Seine Forderung: Bild- und Textdaten des VLB sollten von den Lizenznehmern in ihren Online- und Offline-Publikationen mit einem Quellenverweis auf das VLB gekennzeichnet werden. Vorstellen könnte sich Grosshaus auch eine Filterfunktion, mit der die Verlage selbst vorgeben können, an wen ihre Daten geliefert werden – und an wen nicht. "Ich will das VLB nicht schwächen. Im Gegenteil, es sollte noch deutlich stärker und besser werden", stellt Grosshaus klar, der auch beklagt, dass die Titeleingabe derzeit sehr aufwendig sei und viel Zeit koste.

Auch der Börsenvereins-Arbeitskreis unabhängiger Sortimente (AkS) hatte jüngst einmal mehr Nachbesserungen am VLB gefordert, vor allem beim Bibliografiertool Bibwin. Auf der Buchmesse soll mit der MVB über konkrete Buchhändler-Wünsche gesprochen werden. Mit der Weitergabe der VLB-Daten an Amazon allerdings hat Annemarie Schneider, Buchhändlerin in Hochheim und Mitglied im AkS-Sprecherkreis, keine grundsätzlichen Probleme: "Wenn sich die MVB dazu entschieden hat, die Daten weiterzukaufen, dürfte es schwer möglich sein, Amazon davon auszunehmen", meint Schneider.

Ähnlich sieht es ihre Schweinfurter Kollegin Franziska Bickel, stellvertretende Vorsitzende des Sortimenter-Ausschusses im Börsenverein (Buchhandlung Vogel): "Mir macht im Alltag viel eher zu schaffen, dass mein Warenwirtschaftssystem all die Zusatzinformationen nicht anzeigt, die im VLB und bei Amazon zu finden sind."

Daten sammeln, Daten abgleichen, Daten weitergeben – das ist auch für den Stuttgarter Verleger Matthias Ulmer (Eugen Ulmer Verlag) letztlich die Kernaufgabe des VLB: "Dass wir als Verlag unsere Titelinformationen nicht parallel in mehreren Datenbanken pflegen müssen, ist ja gerade der Riesenvorteil dieses Geschäftsmodells. Und es wäre absurd, das zu unterbinden." Gleichzeitig beobachtet Ulmer bei kleineren Verlagen einen Teufelskreis: "Wegen extrem schlechter Konditionen können sie bei den Barsortimenten nicht vertreten sein – und sind deshalb auch bei Amazon nicht lieferbar."

"Wenn Amazon ein Buch nicht hat, scheint es heute gar nicht mehr zu existieren": So bringt Ludger Claßen, Verleger des Essener Klartexts Verlags, das Problem auf den Punkt. Das beginne bereits mit Stichwort-Suchanfragen bei Google – Bücher, die bei Amazon gelistet sind, werden hier bereits angezeigt, andere oft nicht.

Bei den Sorgen, die Peter Grosshaus vorträgt, ist Claßen deshalb durchaus "zwiegespalten", wie er selbst sagt. Am Datenfluss zwischen VLB und Amazon führt allerdings auch aus seiner Sicht kein Weg vorbei: "Ich sehe einfach den Marketingnutzen für unser Programm". Durch eine Verlagssoftware mit Onix-Schnittstelle sei das Handling der Titeleingaben für seinen Verlag unkompliziert; überhaupt habe er wenig am VLB zu bemängeln: "Das Verzeichnis hat sich in den vergangenen Jahren sehr modernisiert, ist viel besser geworden."

Seine Anregung: Ein Tool, das auch kleineren Verlagen eine schnelle Exportfunktion via Onix-Schnittstelle ermöglichen und die Titelmeldung damit vereinfachen könnte. Und im Umgang mit Amazon Advantage und den Konditionen rät Claßen den Kollegen, "nicht gleich die Hacken zusammenzuschlagen, sondern erst mal zu verhandeln." Amazon zeige sich seiner Erfahrung nach durchaus gesprächsbereit, wenn es um die Rabattpolitik gehe.

Sich von Feindbildern zu verabschieden, dafür plädiert Wolfgang Hertling vom Darmstädter pala-verlag, für den Arbeitskreis kleinerer unabhängiger Verlage (AkV) im VLB-Beirat vertreten. "Dass die VLB-Daten weitergegeben werden, das ist eine Dienstleistung, die ich sogar ganz dringend von der MVB erwarte. Es war immer eine Forderung des AkV im Fachbeirat, dass das VLB als Daten-Clearingstelle für alle Marktteilnehmer fungiert", macht er deutlich. Das VLB sei die perfekte Plattform dafür, gerade weil die Verlage die gewünschten Informationen hier selbst zuliefern könnten. Auch wenn das VLB aus der Branche gerne mal kritisiert wird: Für Hertling gehört die Titeldatenbank zu den Feldern, "in denen die MVB ihre Hausaufgaben gemacht hat". Dem VLB seien, was die Möglichkeiten der Titelerfassung und der Titelpflege durch die Verlage angehe, in den vergangenen Jahren "Quantensprünge" nach vorn geglückt.

Wäre nur zu wünschen, dass das auch jene Buchhändler und Buchkäufer erkennen, die sich beim Bibliografieren und Recherchieren von Titeln auf die Suche bei Amazon beschränken – statt auf das VLB oder die Endkundenplattform buchhandel.de zuzugreifen. Denn damit würde ein Kritikpunkt von Peter Grosshaus schon mal hinfällig – dass Bücher nur dann als lieferbar gelten, wenn der größte Online-Händler es anzeigt.

Und die Idee mit dem Quellennachweis? Verleger Ulmer ist skeptisch: "Es ist ja gerade in unserem Interesse, dass die bibliografischene Angaben, Cover und Werbetexte maximal verbreitet werden. Da ist alles schädlich, was die Verbreitung erschwert." Michael Vogelbacher, bei der MVB Leiter der Informationsdienste, kann sich gut vorstellen, den Datenabnehmern eine solche Referenz auf das VLB zu empfehlen. Ein verpflichtender Quellennachweis allerdings sei schon deshalb schwierig, weil Unternehmen nicht nur mit den Rohdaten des VLB, sondern oft mit einem Mix ganz unterschiedlicher Datensätze arbeiten würden.

Peter Grosshaus hat übrigens nicht nur Kritik zu üben, sondern auch einen Traum: Ein Verzeichnis lieferbarer europäischer Bücher. Den träumt der Rest der Branche sicher gerne mit.

 

Kurzinfo zum VLB:

Das hat sich in den vergangenen Monaten getan:

Integration der Datenbanken Libri und KNV in den VLB-TitelkatalogNeuer VLB-WebserviceErster Schritt zum automatischen Preisabgleich mit FremddatenUmsetzung erster Anforderungen "VLB als Referenzdatenbank"

Das ist in der nächsten Zeit geplant:

Bereitstellung von Exporten der referenzierten Preiseständiger, automatischer Preisabgleich mit FremddatenAufnahme der ISBN-A(ktion) ins VLB