Das Buch- und Pressewesen in Tunesien

17. September 2010
Redaktion Börsenblatt
Wie stellt man sich die tunesische Buchbranche vor? Arabisch beziehungsweise muslimisch dominiert? Oder vielleicht schon von der E-Book-Welle überrollt? Untersuchungsobjekte für diesen Artikel waren zum einen die an der Küste gelegene Kleinstadt Mahares, die keine Touristen kennt und zum anderen S´Faxe, die zweitgrößte Stadt in Tunesien. In einem einwöchigen Kurzurlaub sollte also neben Sonne Strand und Meer auch die tunesische Bücherwelt unter die Lupe genommen werden.

Mahares

Mahares ist eine Kleinstadt mit geschätzten 5000 Einwohnern. Bücher konnten leider nicht entdeckt werden, da der einzige Buchladen während der Sommerferien und dem Fastenmonat Ramadan geschlossen ist, bzw. verkürzte Öffnungszeiten hat. Im Supermarkt und den vielen kioskähnlichen Miniläden gab es neben Lebensmitteln und Haushaltswaren nur Zigaretten, aber keinerlei Bücher oder Informationsmedien. Auch die zahlreichen Shishacafés dienen eher dem Genuss einer guten Wasserpfeife als sich die Zeit mit dem neusten tunesischen Bestseller zu vertreiben. Mahares brachte also keinerlei Hinweise was die tunesische Buchbranche anbelangt.

Die einmalige Schaufenstergestaltung von S´faxe

Meine Hoffnungen setzte ich also auf S´faxe. Immerhin ungefähr 265.000 Einwohner in einer Mischung aus traditioneller Altstadt und westlich imitierter Großstadtatmosphäre. Ich hoffte auf Buchläden, Antiquariate, Bücher auf Arabisch, auf Französisch (Tunesien war bis 1956 Französische Kolonie) und – wegen der vielen Touristen – vielleicht auch auf Deutsch… weit gefehlt. Wegen eines kleinen Organisationsproblems wurde die Buchshoppingtour auf Sonntag verschoben, was an sich kein Problem ist, weil in Tunesien auch Sonntags eingekauft werden kann. Mit einer kleinen Ausnahme wie sich herausstellen sollte, als ich an der verschlossenen Tür des Buchladens rüttelte. Dennoch gewann ich einen minimalen Einblick in die tunesische Schaufenstergestaltung. Es gab viele verschiedene Arten von Bücherstapeln die bewundert werden konnten, man unterschied sogar in der Stapelgestaltung an sich. Das Schaufenster war also mehr als unspektakulär. Keinerlei Reklame zeigte an, dass hier Bücher gekauft werden können. Um einen Buchladen als solchen erkennen zu können, muss man also die Augen offen halten und die Merkmale von europäischen Buchladenketten vergessen

Hierzu ein kleines Zitat: „In Tunesien spielt sich das Literaturleben in zwei Sprachen ab: in arabisch und französisch. Die arabische Literatur existiert seit dem 7. Jahrhundert, als die arabische Zivilisation sich auf das Gebiet Tunesiens ausbreitete; französischsprachige Literatur gibt es erst seit 1881. Heute hat die arabischsprachige Literatur ein höheres Gewicht als die französischsprachige: Von den 1249 literarischen Neuerscheinungen des Jahres 2002 waren 885 in arabisch; mehr als ein Drittel der Neuerscheinungen waren Kinderbücher. Alles in allem ist das literarische Schaffen in Tunesien also, trotz seiner langen Geschichte, heute sehr überschaubar.“ eingesehen am 22.08.2010)

Dieses Zitat deckt sich mit den von mir gemachten Erfahrungen. Die einzigen Bücher, die ich im zweiten Einkaufszentrum letztendlich zu Gesicht bekam, waren für Kinder und Jugendliche gedacht, ansonsten gab es Korane, aber keine Romane, Krimis oder gar Sachbücher.

Die moderne Informationsversorgung

In puncto moderne Informationsversorgung steht Tunesien dann schon besser da. Die Tageszeitung „La Presse de Tunisie“ versorgt den eifrigen Leser mit täglichen Newslettern über die aktuellsten Schlagzeilen, es gibt ein kostenloses Internetportal in dem die gesamte Zeitung kostenlos eingesehen werden kann, was für viele Tunesier im Ausland ein besonderer Service ist. Orientierung am westlichen Vorbild oder Eigeninitiative durch entstandenen Bedarf?

Zensur

Die zweite Leserevolution samt Romanboom ist wohl gänzlich ausgeblieben, was auch an religiösen und staatlichen Zensurmaßnahmen liegen könnte. Tunesien ist offiziell eine Demokratie, aber als Mitglied der Opposition, quasi der Linken, wird man heutzutage dank eines kürzlich verabschiedeten Gesetzes zu mindestens 5 Jahren Haft verurteilt, sollte man etwas „dem Staat Schadendes“ in der Öffentlichkeit von sich geben. Auch die oppositionellen Publikationsorgane werden an der Auslieferung ihrer Sicht der Dinge sehr stark beeinträchtigt. In Tunesien muss jede Tageszeitung eine staatliche Zensurinstanz durchlaufen. Und auch wenn es grünes Licht für die Auslieferung gibt, kommt es nicht selten vor, dass die Zeitungen der Opposition, nachdem sie offiziell kontrolliert und für ungefährlich befunden wurden, auf dem Weg in die Läden einen Abstecher zur Müllkippe machen. Offiziell werden solche Geschichten natürlich nicht bestätigt. Tunesien ist wie gesagt eine Demokratie. Ein Interview wurde mir allerdings mit eben dieser Angst vor 5 Jahren Gefängnis leider verwehrt. Nicht umsonst bemüht sich Amnesty International schon seit Jahren um die Aufmerksamkeit der Welt auf die Beschneidung der Menschenrechte in Tunesien. Eine von einem zweischneidigen Schwert geteilte Welt also, die einerseits von Kultur und Religion dominiert wird, andererseits aber auch die westlichen Länder, v.a. Frankreich, in Bezug auf Modernität und Wirtschaftsentwicklung zum Vorbild hat.

Positive staatliche Interventionen

Ein positiver Faktor in der tunesischen Buchbranche ist die staatliche Subvention von Papier für sämtliche (arabische bzw. für Tunesien) produzierte Verlagserzeugnisse. Das Papier zum Drucken von Zeitungen, Zeitschriften und Büchern wird staatlich subventioniert bzw. der Staat kauft das verhältnismäßig teure Papier ein und verkauft es an die Verlage billiger weiter. Einerseits zeigt der tunesische Staat so Interesse an der Buchbranche, indem Bildung und Informationsversorgung direkt unterstützt werden, leider wird gleichzeitig aber auch der Druck des Staates auf die Verlage erhöht, „das Richtige zu drucken“. Die Buchbranche ist demnach eher traditionell und überschaubar gestaltet.

Die Entdeckung des Kaufhauses und der Religion

In einem der vielen Kaufhäuser in S´faxe wurde ich doch fündig. Neben gefälschten Handtaschen, Diorr-Sonnenbrillen und Teeniekleidung gab es mitten im Einkaufszentrum einen Stand mit Büchern. Es gab Korane, Lernhefte und Übungsbücher sämtlicher Fächer für die Schule, und religiöse Geschichten für den heranwachsenden Moslem. Die Besonderheit in diesen religiösen Geschichten lag meiner Meinung nach an der Aufmachung. Das Cover an sich in Comicart bunt und grell gestaltet, barg der Inhalt „nur“ arabischen Text. Aber an sich eine gute marketingtechnische Möglichkeit, um Kindern zumindest ein gewisses Interesse für diese Bücher abzugewinnen und ihnen einen kindgerechten Umgang mit ihrer Religion zu geben. Apropos Religion: Ein Problem war auch der Erwerb eines Korans. Was ich als Nicht-Muslima nicht wusste: Ein Nicht-Moslem/ eine Nicht-Muslima darf den Koran nicht berühren, geschweige denn kaufen, da man als Nicht-Moslem ja einen anderen Glauben hat und somit mit dem handelsüblichen Koran nichts anfangen kann und auch nicht darf. Für Christen, Hindus, Buddhisten und Co., gibt es besondere Ausgaben, die eine Übersetzung des Korans bieten, falls man sich informieren will, und gleichzeitig niemanden, der den muslimischen Glauben trägt, beleidigt.

 

Der Ausflug in die tunesische Bücherwelt also eher enttäuschend. Leider lässt dieses Land Fremde nur sehr ungern in seine wirtschaftlichen Strukturen und Vorgehensweisen schnuppern, weshalb die Informationsgewinnung nur sehr mangelhaft war. Sicher lässt sich allerdings sagen: Der nächste Entwicklungsschub, quasi die nächste Leserevolution in puncto Buchbranche steht Tunesien noch bevor, was für alle expandierenden Verlage und Thalia-Filialen eine riesengroße Marktlücke bedeuten könnte. Deshalb: Bringen Sie Bücher (in aller Form) nach Tunesien!