Meinung: Wünsche

Der Astronaut auf dem Achttausender

6. Januar 2011
Redaktion Börsenblatt
Warum Motivationstrainer früher Staubsauger verkauft haben. Von Markus Barth.
Als ich zehn Jahre alt war, fragte mich mein Vater, was ich mal werden wolle. »Astronaut«, antwortete ich. Mein Vater überlegte kurz und sagte: »Okay, das wird aber nicht einfach. Und denk dran: Astronauten haben keinen Tarifvertrag, und ich weiß auch nicht, ob du für den Weg von hier zur ISS eine Kilometerpauschale bekommst.«

 

Danach war das Thema erledigt, und ich bin meinem Vater noch dankbar. Hätte er damals schon von den Motivationstrainern gehört, die uns heute überall ihren ungebrems­ten Optimismus ent­gegenblöken, hätte er vielleicht ge­sagt: »Ein toller Wunsch! Wenn du nur fest dran glaubst, kannst du’s schaffen!« Dann wäre ich heute immer noch kein Astronaut, hätte aber ein schlechtes Gewissen, weil ich nicht fest genug dran geglaubt habe.

Motivationstrainer, das sind Menschen, die früher mit Vorwerkstaubsaugern von Tür zu Tür gezogen sind oder in der Fußgängerzone mit einem Börner Qualitätshobel Karotten in Stifte schredderten. Da die Karrieremöglichkeiten dabei aber beschränkt sind, haben sie irgendwann ihr Equipment verkauft, sich einen Anzug zugelegt, schreiben jetzt Bücher und beschallen ganze Stadien mit Weisheiten wie: »Glaub an dich! Du kannst alles schaffen, was du willst! Haupt­sache, dein Schreibtisch ist aufgeräumt und der Bestellzettel ans Universum ausgefüllt!« Ein­mal möchte ich hören, dass einer realistisch bleibt und ruft: »Du kannst alles schaffen ... (dann, etwas leiser), was du schaffen kannst. Den Rest eher nicht.« Ist aber wohl zu sperrig.

Sogar Heiner Lauterbach, der früher nie dafür bekannt war, sich selbst oder anderen den gemütlichen Kneipen­abend zu vergällen, versucht sich jetzt als Motivator. Unter der Überschrift »Ja, ich schaffe das!« schlaumeierte er dem »Focus« kürzlich ins Mikro: »Sich im Bett umdrehen, dann den Fern­seher anmachen, in der Nase bohren – das ist doch nichts.« Doch, Herr Lauterbach, das ist was! Das ist mein perfekter Sonntagmorgen!

Der »Focus« hatte aber noch mehr Menschen zu bieten, um mein verquastes Schluderleben aufzupeppen. Gerlinde Kaltenbrunner zum Beispiel. Die einzige Frau, die 13 Achttausender ohne Sauerstoff bestiegen hat. »Was treibt Menschen zu Höchstleistungen? Wie wecke ich diese Kraft?«, hieß es im Heft.

Haben Sie den kleinen Denkfehler zwischen den beiden Sätzen entdeckt? Richtig: Wer sagt denn, dass ich diese Kraft wecken will? Sollte ich jemals eine solche Kraft in mir entdecken, würde ich sie mit dem stärksten Barbiturat, das ich bekommen kann, ins nächste Jahrtausend wegschläfern. Auf Achttausendern ist es kalt, man muss stundenlang fliegen, bis man erst mal einen findet, und wenn man da ist, kraxelt man tagelang bergauf, denn die meisten Achttausender sind verdammt hoch. Und übrigens: Warum macht Frau Kaltenbrunner das ohne Sauerstoff? Ist das eine Leistung? Wenn die Luft dünn ist, dann nimm dir was zum Atmen mit, Gerlinde! Wenn ich ohne Wasserflasche in die Wüste reite, gelte ich doch auch nicht als Bezwinger der Natur­gewalten, sondern als schlecht vorbereiteter Depp!

Deshalb meine Erkenntnis zum neuen Jahr: Wenn sich meine Wünsche nicht erfüllen, kann es natürlich sein, dass ich nicht hart genug dafür gekämpft, nicht fest genug daran geglaubt oder zu oft in der Nase gebohrt habe. Vielleicht habe ich mir aber auch einfach nur Unsinn gewünscht.