Kommentar: Nachfolge

Die zweitbeste Wahl

6. Januar 2011
Redaktion Börsenblatt
Was der spanische Verlag Anagrama mit Suhrkamp gemein hat und warum er jetzt ausgerechent an das italienische Haus Feltrinelli verkauft wird. Ein Kommentar von Börsenblatt-Redakteur Holger Heimann.
Der Vergleich wird häufig und gern gezogen. Danach ist Anagrama, ansässig in Barcelona, der spanische Suhrkamp Verlag. Man denkt an literarisches Renommee, berühmte Autoren (Roberto Bolano, Javier Marías, Enrique Vila-Matas), einen charismatischen Verleger (Jorge Herralde). Die Gemeinsamkeiten gehen noch ein Stück weiter und enden zugleich. Auch Herralde ist es nicht gelungen, ­einen anderen neben sich im Verlag groß werden zu lassen. Er und seine Frau sind kinderlos. Doch wer sagt denn, dass ein verlegerischer Nachfolger blutsverwandt sein muss?

 

Der Spanier hat nun eine andere, länderübergreifende Wahl getroffen. Die italienische Feltrinelli-Gruppe übernimmt zunächst Anteile, später den ganzen Verlag – es ist das erste Auslandsinvestment, darauf soll aufgebaut werden.

Herralde hat sich nicht von ungefähr gegen Offerten aus dem eigenen Land und für die Mailänder entschieden. Wenngleich die expandierende Buchhandelskette Feltrinelli zu einem Großkonzern macht, so bleibt das Unternehmen doch, was Anagrama ist – ein unabhängiges, familiengeführtes Haus. Vor allem aber verbindet den Verleger aus Barcelona sowohl mit Inge als auch mit Carlo Feltrinelli eine enge Freundschaft. Ihnen, den (auch politisch) Gleichgesinnten und unternehmerisch Erprobten, denen er nie als Konkurrenten begegnen musste, konnte und wollte er den Verlag anvertrauen.

Wie sich Anagrama nach der endgültigen Übernahme durch Feltrinelli weiterentwickelt, ist ungewiss. Vorläufig aber darf man sagen: Glückwunsch dem Verleger, der – eine Berufskrankheit – nicht loslassen kann, aber zugleich solche Freundschaften pflegt.