Suhrkamp

Eine verflossene Liebe

13. Januar 2011
Redaktion Börsenblatt
Vier Ehemalige erzählen von ihrer Suhrkamp-Zeit, dem schmerzlichen Abschied und dem Leben danach. Aus ihrer Perspektive entsteht so ein ganz und gar subjektives Bild des Traditionsverlags, das durch Stimmen von anderer Seite zu komplettieren wäre.

Charlotte Brombach (38) ist seit 2004 Lektorin für neue deutschsprachige Literatur bei Suhrkamp. Das Arbeitsverhältnis endet im März 2011.

Ich war ab September 2008 in Mutterschutz und konnte länger als die anderen überlegen, ob ich den Verlagsumzug mitmache. Während der Elternzeit habe ich nach einigen Monaten wieder Teilzeit – zwei Tage pro Woche – im Verlag gearbeitet. Seit dem Umzug betreue ich meine Projekte von zu Hause aus. Das hat sich nicht bewährt, dazu müssten alle an einem Strang ziehen.
Seit der Buchmesse ist es offiziell, dass ich im März aufhöre. Das war eine schwere Entscheidung. Ich hänge sehr an den Autoren, der Arbeit. Aber letztlich musste ich ganz nüchtern überlegen, und da war mir klar: Ich ziehe mit meiner Familie nicht nach Berlin. Es hätte ja nicht genügt, dass nur ich dort eine Anstellung habe.
Jetzt, da ich ein Kind habe, wäre ohnehin ein Arrangement notwendig gewesen. Aber es gab dazu keine Gespräche, nur förmliche Briefe der Personalabteilung mit der Aufforderung, mich bis dann und dann zu äußern. Ich betrachte das nicht als gegen mich persönlich gerichtet. Es war eher so eine allgemeine Haltung, die ich eben auch zu spüren bekommen habe. Der ganze Verlag war einfach sehr mit dem Umzug beschäftigt, es trat dabei ganz in den Hintergrund, dass man die Mitarbeiter und Autoren mit ins Boot holen könnte.
Ich habe meinen Autorinnen und Autoren nach und nach Bescheid gesagt. Die Reaktionen waren ganz unterschiedlich. Für manche stellt sich ein konkretes Problem, weil sie ein neues Manuskript haben und jetzt wissen wollen, was damit geschieht. Viele waren sehr herzlich und verständnisvoll für meine Situation.
Ich kam gleich nach dem Studium zu Suhrkamp. Das war meine erste richtige Stelle, meine erste große Liebe sozusagen. Wenn man verlassen wurde, sitzt man doch auch da und trauert um das, was schön und gut war und kann sich nicht gleich wieder in den Nächsten verlieben. In der Phase stecke ich gerade. Ich muss erst mal in mir zur Ruhe kommen.
Die deutschsprachige Literatur bei Suhrkamp zu betreuen, das ist die Traumstelle schlechthin gewesen. Man hatte schon das Gefühl, auf der Insel der Glückseligen zu sein, Sachen machen zu können, die anderswo längst wegrationalisiert sind. Und von Suhrkamp zu kommen, öffnet anderswo Türen. Aber das ist der Rolle zugeschrieben, nicht der Person. Ich bin gespannt, wie es jetzt weitergeht.
Ich würde gern klein wieder einsteigen, eine halbe Stelle vielleicht. Es ist mir nicht so wichtig, etwas zu finden, was sich mit dem Renommee von Suhrkamp messen kann. Vielleicht wäre es auch gut, etwas anderes als bisher zu machen. Ich wünsche mir einfach, dass jetzt etwas Schönes kommt.

 

Adrienne Schneider (54) absolvierte 1976 eine Ausbildung zur Verlagsbuchhändlerin bei Suhrkamp und blieb in dem Verlag, für den sie seit 1990 Autorenlesungen organisierte. Im April 2010 machte sie sich selbst-ständig und verantwortet seitdem unter anderem das Programm des Literaturhauses Darmstadt.

Nach 33 Jahren ist nichts mehr. Ich kann es mir nicht erklären, vielleicht kommt es noch. Es ist einfach eine große Erleichterung. Ich habe mich identifiziert mit diesem Verlag. Ich heiße jetzt Schneider, nicht mehr Suhrkamp, das hat sich geändert. Es war natürlich ein langer Prozess, angefangen hat er wahrscheinlich mit Unselds Tod.
Ich bin trotzdem froh, dass ich noch mit nach Berlin gegangen bin und die zwei Monate da erlebt habe. Das hat mich bestätigt. Ich bin gestürzt dort, habe mir den Fuß verstaucht. Ich habe versucht, aufrecht zu gehen, aber es ging nicht. Ich wusste, dass ich nicht bleiben würde, aber sehen wollte ich es schon noch. Im April habe ich die Programmleitung für das Literaturhaus Darmstadt übernommen. Ein großes Glück.
Die Atmosphäre in Berlin war beklemmend. In Frankfurt war das auch schon zu spüren. Aber wenn man lange verheiratet war und vor einer Scheidung steht, dann muss man vielleicht den Mann mit der fremden Frau im Bett erwischen, um zu wissen, jetzt ist es endgültig aus, auch wenn er die große Liebe war. Ich habe mich einfach nicht mehr willkommen, meine Arbeit nicht mehr gewürdigt gefühlt.
Mein letzter Tag im Verlag war der 14. März. Tränen gab es da keine mehr, die sind vorher schon geflossen, reichlich. Ich habe die große Gabe, Negatives zu vergessen. Ich habe sehr viel vergessen.
Die Selbstständigkeit macht mir viel Spaß. Da ist die Arbeit in Darmstadt. Außerdem sitze ich an einer Machbarkeitsstudie für die Büchner-Jubiläen 2012 und 2013 in Hessen.
Als ich mich mit meinem Lebenslauf in Darmstadt beworben habe, dachte ich: Diesen Job bekommst du nie, du hast gar nichts vorzuweisen. Ich habe mich so klein gemacht. Ich hatte ja nur 33 Jahre Suhrkamp-Erfahrung.
Die größte Schwierigkeit, die ich anfänglich mit der Selbstständigkeit hatte, bestand darin, plötzlich ausschließlich über mich definiert zu sein. Ich bin jetzt 54, ich habe so lange gebraucht, das zu lernen. Ich habe mich noch nie so frei gefühlt.
Es gibt kaum noch Kontakt zum Verlag nach Berlin. Das interessiert mich nicht mehr. Ich will meine ­Energie auf das Neue verwenden.

 

Thomas Zeipelt (41) kam 2000 als Justiziar zu Suhrkamp und baute später im Verlag den Bereich Medien auf. Im Juni 2010 wechselte er als Vorstand zur Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung nach Wiesbaden.

Es gab keine Pause zwischen Suhrkamp und dem neuen Job bei der Murnau-Stiftung. Als Vorstand stehe ich an der Spitze – da sind 20 Mitarbeiter, die genau schauen, was der Neue macht. Die Stiftung verlangt meinen ganzen Einsatz, das hat den Abstand zu Suhrkamp rasch größer werden lassen. Und die neu restaurierte Fassung von Metropolis kommt ins Kino – das beschäftigt mich gerade sehr.
Mir hat die Art, wie bei Suhrkamp in der letzten Frankfurter Zeit mit der Belegschaft umgegangen wurde, nicht gefallen. Dennoch bin ich mit nach Berlin gegangen. Zugleich war ich aber kritischer, habe genauer beobachtet, was passiert da, ab März dann auch in meiner Funktion als neuer Betriebsratsvorsitzender.
In der Arbeit für die Stiftung habe ich für mich selbst eine Entwicklungschance gesehen. Es war ein langer Ablöseprozess von Suhrkamp, und ich habe mir das sehr, sehr lange überlegt. Es gab ja immer wieder die Hoffnung: Das wird jetzt wieder besser. Diese Hoffnung gibt’s immer noch. 
Ich habe bei Suhrkamp zehn – sehr spannende und erfüllte – Jahre meines Lebens verbracht. Der Abschied war dann ein sehr schöner. Es waren nahezu alle Kollegen da, was mich sehr berührt hat.
Ich bin für die Stiftung sehr viel unterwegs, gerade war ich in Berlin, das habe ich genutzt, um auch bei Suhrkamp vorbeizuschauen und im Verlag meine Runde zu drehen.  

 

Katja Boeddinghaus (46) arbeitete bei Werbeagenturen und als selbstständige Texterin, bevor sie 2005 zu Suhrkamp wechselte, wo sie für das Taschen-buchmarketing zuständig war. Seit November 2010 ist sie freiberuflich tätig.

Sobald ich ein Projekt habe, geht’s mir gut, schwierig finde ich es, wenn nichts auf dem Tisch liegt. Seit November bin ich, was ich vor Suhrkamp auch schon war: freiberufliche Texterin. Mittlerweile läuft es ganz gut. Mein Vorteil ist, dass ich nicht auf eine Branche festgelegt bin. Im Moment mache ich Werbung für den Stand des Hausarztes.
Nach Suhrkamp war ich zum ers­ten Mal in meinem Leben offiziell arbeitslos. Was ich da so erlebt und bei anderen mitbekommen habe – das war sehr frustrierend. Mir war klar, dass es schwierig werden würde, einen neuen Job zu finden. Dass die Suche beinah aussichtslos ist, habe ich nicht geahnt. Ich habe viele Bewerbungen verschickt, über die Buchbranche hinaus. Es war schon eine Ausnahme, überhaupt ein Bestätigungsschreiben zu bekommen, meist habe ich gar nichts gehört.
Als der Verlagsumzug verkündet wurde, habe ich zunächst darüber nachgedacht, mit nach Berlin zu gehen. Ich wollte sehen, wie sich die Sache entwickelt. Die Notwendigkeit des Umzugs hat mir allerdings niemand plausibel machen können. Wäre das anders gewesen, dann hätte ich die Pendelei auf mich nehmen können – vielleicht für ein Jahr oder so. Andererseits, mein Mann ist Anwalt in Frankfurt, was soll ich in Berlin?
Früher habe ich in der Werbung ­gearbeitet und gelernt, wie Marken funktionieren und wie sie aufgebaut sind. Suhrkamp ist eine tolle, geradezu mythische Marke, die von seinen Mitarbeitern schon immer viel Identifikation eingefordert und auch bekommen hat. Und jetzt – was passiert damit? Es kommt mir so vor, als würde man einem Anfänger einen tollen Konzertflügel anvertrauen. Tja, perdu. Das Umzugsjahr (2009) hat mir ganz deutlich vor Augen geführt: Das ist nicht mehr mein Verlag und das will auch nicht mehr mein Verlag sein.
Trotzdem bleibt Suhrkamp etwas Besonderes für mich, auch über meine Zeit dort hinaus. Kein Wunder, ein Gutteil meines Freundeskreises besteht aus Ex- und Noch-Suhrkamplern.