Viele Bibliotheken haben heute ein Interesse daran, ihre Bestände zu digitalisieren. Wie wählen Sie die zu digitalisierenden Inhalte aus und welche Erfahrungen haben Sie in diesem Bereich gemacht?
Rachinger: Vor der Kooperation mit Google haben wir einzelne Inhalte gezielt ausgewählt, die wir digitalisieren wollten. Unsere Kriterien stützten sich dabei auf vier Säulen: Das waren zum einen besonders häufig nachgefragte Titel, in unserem Fall vor allem Zeitungen. Desweiteren die themenorientierte Digitalisierung wie z.B. Publikationen zum Ersten Weltkrieg, da sich mit dem Jahr 2014 der Jahrestag nähert und viele Einrichtungen Ausstellungen zu dem Thema planen. Darüber hinaus natürlich besonders beschädigte Objekte und zuletzt die von uns seit 2009 praktizierte Digitalisierung on demand. Trotz Sponsoren kamen wir mit dem Digitalisieren jedoch nur sehr langsam voran und nach einigen Jahren hatten wir noch nicht einmal ein Prozent unseres Bestands eingescannt.
Das wird sich mit dem Projekt „Austrian Books Online“ in naher Zukunft sicher ändern. Frau Dr. Rachinger, wann fassten Sie den Plan, Ihre Bestände von Google digitalisieren zu lassen und wie kam die Kooperation zustande?
Rachinger: Ich hörte von dem Abkommen zwischen Google und einigen amerikanischen Bibliotheken wie Harvard und Stanford, das zum Ziel hatte, insgesamt zehn Millionen Bücher zu digitalisieren. Daraufhin reiste ich in die USA, um mehr darüber von den Bibliotheken zu erfahren. Anschließend haben wir uns aktiv an Google gewandt und Ihnen unsere Bestände zur Digitalisierung angeboten Das Ergebnis dreijähriger Verhandlungen war schließlich, dass sämtliche urheberrechtsfreien Bestände der Österreichischen Nationalbibliothek, sprich 600.000 Bücher, die zwischen 1500 und 1900 erschienen sind, innerhalb von sechs Jahren von Google digitalisiert werden sollen. Im März starten die Digitalisierungsarbeiten.
Welche Vorteile versprachen Sie sich von einer Kooperation mit Google?
Rachinger: Ein großangelegtes Digitalisierungsprojekt hat viele positive Effekte. Erstens ermöglicht es eine Demokratisierung des Wissens, das heißt es stellt sehr vielen Lesern/Nutzern kostbare Inhalte jederzeit zur Verfügung. Außerdem sichert und schont eine Massendigitalisierung Inhalte, die sonst unwiederbringlich verloren gehen könnten. Da Google kein Monopol zur Verwendung der Inhalte hat, kommt unsere Kooperation auch der europäischen Onlineplattform für Kultur „Europeana“ zugute, in die die EU viele Mittel investiert hat. Diese Plattform kann allerdings nur dann erfolgreich sein, wenn sie eine kritische Masse an Inhalten bereitstellt.
Wie waren die Reaktionen auf die geplante Kooperation?
Rachinger: Als Reaktion auf die Zusammenarbeit mit Google haben wir 90% positive Rückmeldungen bekommen, die vor allem von den Nutzern, den Wissenschaftlern und der Regierung kamen. Kritik dagegen kam vom österreichischen Verleger- und vom Autorenverband, die eine Verletzung des Urheberrechts befürchteten. Die Einhaltung des Urheberrechts können wir garantieren, denn es werden ja ausschließlich urheberrechtsfreie Inhalte digitalisiert.
Ebenso wie an die Deutsche Nationalbibliothek muss auch an die Österreichische Nationalbibliothek von jedem Druckerzeugnis ein Pflichtexemplar abgegeben werden. Wie aber steht es mit Publikationen, die ausschließlich in digitaler Form publiziert werden?
Rachinger: Wir haben uns dafür eingesetzt und es erreicht, dass künftig auch für die sogenannten Born-Digital-Medien eine Pflichtabgabe gilt. Da wir natürlich nicht alles speichern können, was auf den at-Domains veröffentlicht wird, machen wir einmal pro Jahr ein harvesting, das heißt, wir sammeln nach Zufallsprinzip alles, was zu einem Zeitpunkt im Jahr auf den österreichischen Domains zu finden ist. Das spiegelt den Zustand der Republik innerhalb dieses Jahres wider und ist besonders für zukünftige Generationen interessant. In den letzten zwanzig Jahren, also vor der Novelle des entsprechenden Gesetzes, ist in diesem Bereich leider viel verloren gegangen.
Interview: Lorena Spahn