USA

"2014 ist jedes zweite in den USA verkaufte Buch elektronisch"

2. Februar 2011
Redaktion Börsenblatt
Seit April 2010 betreut Thomas Minkus für die Frankfurter Buchmesse in New York die US-Verlagswelt – mit dem Schwerpunkt "Creative Industries and Online Media". Er ist dort nicht nur auf dem Beobachterposten, sondern koordiniert vor allem internationale Aktivitäten der Messe und knüpft Kontakte zu Technologieunternehmen. Boersenblatt.net hat mit ihm über seine Arbeit und die Rolle der elektronischen Medien im US-Buchmarkt gesprochen.

Sind die Amerikaner auf dem Weg zu einer elektronischen Lesenation?
Thomas Minkus: Ja, das ist mit Sicherheit so. Auch steht zu erwarten, dass der Wandel sich schneller vollzieht als bisher vermutet. Ende Januar traf sich die Branche anlässlich der DigitalBookWorld Konferenz in New York City zu einer dreitägigen Bestandsaufnahme. Die teilnehmenden US-Verlagschefs zeigten sich gut gelaunt und optimistisch und riefen das beginnende goldene Zeitalter des Verlagswesens aus. Bereits 2014 sei zu erwarten, dass die Hälfte der in den USA verkauften Bücher E-Books sein werden. Laut Forrester Research wurden 2010 in den Vereinigten Staaten eine Milliarde Dollar für E-Books ausgegeben. Für 2011 werde mit mindestens 1,3 Milliarden Dollar gerechnet. Gegenwärtig besitzen rund 10,5 Millionen Amerikaner einen E-Reader, und rund 20 Millionen Verbraucher haben im vergangenen Jahr E-Books gelesen – Tendenz stark steigend. Insbesondere in den Metropolen gehören elektronische Lesegeräte zur sichtbaren Standardausrüstung vieler Pendler in Bussen und Bahnen. Nicht zuletzt der Preis macht E-Books für Kunden attraktiv. Amazon versucht bisher recht erfolgreich 9,99 Dollar als Richtpreis für belletristische Neuerscheinungen durchzusetzen. Somit kostet ein E-Book durchschnittlich neun Dollar weniger als ein Hardcover und vier Dollar weniger als ein Taschenbuch.


Wie stark prägt die Verwendung von Tablets wie dem iPad inzwischen das Mediennutzungsverhalten?
Thomas Minkus: Laut einer aktuellen Studie der Book Industry Study Group (BISG) wird der Lesegeräte-Markt gegenwärtig von den „dedicated e-readers“ (Lesegeräte, die ausschließlich E-Books wiedergeben und keine weiteren Funktionen anbieten) dominiert. Der Kindle von Amazon erreicht dabei einen Marktanteil von knapp 40 Prozent, gefolgt von dem Nook von Barnes & Noble und dem iPad auf Platz 3 mit Marktanteilen von jeweils unter 10 Prozent. Noch deutlicher dominiert Amazon den Vertrieb von E-Books. Laut BISG-Studie werden über 60 Prozent aller E-Books in den USA von Amazon verkauft. Gefolgt von Barnes & Noble mit knapp 25 Prozent. Auf Platz drei und vier finden sich Borders und der iBook Store von Apple mit je rund zehn Prozent.

Allerdings sehen viele Branchenexperten in Multifunktionsgeräten wie dem iPad langfristig größeres Potential als bei reinen E-Readern. Das Hauptargument dafür ist, dass sich mit einem einzigen Gerät neben Büchern auch Zeitschriften, Filme, Musik, Spiele etc. bequem konsumieren lassen. Viele Leser machen mit Tablets, die oft nicht primär als Lesegeräte angeschafft werden, erste Erfahrungen mit E-Books. Tablets genau wie Smartphones werden so zu Einstiegsgeräten für neue E-Book-Käufer.


Rechnen Sie täglich mit dem iPad2, und wird das den Wettbewerb zwischen den Tablet-Produzenten weiter verschärfen?

Thomas Minkus: Nachdem im vergangenen Jahr weltweit fast 15 Millionen iPads verkauft wurden, erwarten Branchenkenner die nächste Version bereits im ersten Quartal 2011. Zeitgleich werden in den nächsten Monaten rund 100 iPad-Konkurrenten den US-Markt erreichen, die meist auf dem Betriebssystem Android basieren. Der Wettbewerb der Hersteller und der Systeme wird sich damit klar verschärfen. Von der Vielfalt profitieren werden die Verlage als Anbieter digitaler Inhalte und natürlich die Leser, denn all die neuen Gerate werden E-Book-tauglich sein.


Welchen Eindruck vermittelt die deutsche Buchbranche, wenn man von New York aus auf sie schaut?

Thomas Minkus: Deutschland ist für viele amerikanische Verlage der wichtigste nicht-englischsprachige Markt. Vertriebs- und Rechtemanager sowie Scouts und Agenten kennen sich in der deutschen Branche hervorragend aus und sind bestens vernetzt. Der Besuch der Frankfurter Buchmesse ist fester Bestandteil im Kalender amerikanischer Verleger.

E-Books, neue Technologien und die Zukunft des Publizierens sind Thema Nummer 1 in Amerika, und der hiesige E-Book-Markt hat fast zwei Jahre Vorsprung gegenüber Europa. Berichterstattung über die deutsche Buchbranche findet in den amerikanischen Branchenmedien daher selten statt.


Am 14. Februar startet die nächste Konferenz Tools of Change (TOC) in New York. Worum wird es gehen, was sind die Highlights?

Thomas Minkus: Die Tools of Change Konferenz vermittelt nicht nur Einblicke, Hintergründe und Best-Practice-Beispiele der gegenwärtigen Transformation von "P" zu "E" in der Verlagsbranche, sondern bietet auch Workshops und Tutorials zu Themen wie App-Gestaltung, Direktvertrieb oder Metadaten-Management. Zu den Highlights gehören sicher das Panel zu Investitionsstrategien von Venture-Capital-Gesellschaften in der Verlagswirtschaft und die Keynote der kanadischen Starautorin Margaret Atwood über die Folgen der digitalen Transformation für Autoren (beide am 15. Februar).


Seit 10 Monaten koordinieren Sie jetzt von New York aus Aktivitäten der Frankfurter Buchmesse. Welche Ziele verfolgen Sie dabei?

Thomas Minkus: In den nächsten Jahren des Umbruchs ist es für die Buchmesse von strategischer Bedeutung, die Zukunft unserer Branche - vor allem in Nordamerika aber auch in Großbritannien und in den anderen englischsprachigen Ländern - als aktiver Branchenteilnehmer mitzugestalten.

Mit dem englischsprachigen Onlinemagazin Publishingperspectives.com, welches wir 2009 in New York ins Leben gerufen haben, informieren wir Tag für Tag etliche Tausend Branchen-Entscheider über die wichtigsten Märkte, Trends und Entwicklungen aus aller Welt. Ende Januar haben wir mit Partnern in Sao Paulo den ersten englischsprachigen Branchendienst über den Wachstumsmarkt Brasilien gestartet: Publishnewsbrazil.com. Weitere englischsprachige Medien-Partnerschaften sind in Vorbereitung.

Um den Kundenservice für die Aussteller der Buchmesse weiter zu optimieren, werden wir in diesem Jahr damit beginnen, einen Teil unserer US-Kunden direkt vor Ort aus New York zu betreuen. So werden wir in der Lage sein, Aussteller und Fachbesucher individuell zu beraten und so deren Messevorbereitung zu optimieren. Gleichzeitig können wir schneller und flexibler auf Kundenwünsche reagieren.

Mit TOC Frankfurt haben wir bereits 2009 ein wichtiges amerikanisches Konferenzformat nach Frankfurt geholt und dort erfolgreich etabliert. In diesem Jahr werden wir unser Konferenzangebot deutlich erweitern.
Neue Technologien und Anwendungen spielen für unsere Branche eine immer wichtigere Rolle, und der internationale Rechtehandel gewinnt dadurch neue Player hinzu. Schon heute ist der Einfluss von Amazon, Google und Apple, aber auch von Social Media Plattformen wie Twitter, Facebook oder LinkedIn auf die Buchbranche enorm. Daher wird die Buchmesse auch in Silicon Valley neue Netzwerke aufbauen und bestehende Kontakte zu Technologie-Unternehmen vertiefen. Ziel ist es, immer mehr neue Marktteilnehmer nach Frankfurt auf die Buchmesse zu bringen. Mit der Erweiterung des Teilnehmerkreises spiegeln wir die Veränderungen in der internationalen Publishing Community – denn diese Player werden in Zukunft eine wichtige Rolle in unserer Branche spielen.