Uralt ist die Sehnsucht des Menschen, Trost bei Tieren zu suchen und sich bei Möpsen oder Ponys vom üblen Zustand der Welt zu erholen. Ja, manchmal, wenn der Überdruss ins Unermessliche steigt, wünscht sich manch einer, seine menschliche Existenz aufzugeben und ins Tierlager überzuwechseln. »Ich wollt’, ich wär’ ein Huhn und hätt’ nicht viel zu tun«, sang man in den Dreißigerjahren, als Legebatterien und Massentierhaltungen selbst in Niedersachsen kaum verbreitet und die Bücher von Karen Duve und Jonathan Safran Foer noch nicht erschienen waren.
Von Tieren hört und liest man seit alters gern, und so kreucht und fleucht es an allen Ecken und Enden der Weltliteratur. Ob in den mittelalterlichen Bestiarien, ob in den lehrreichen Fabeln La Fontaines, in E. T. A. Hoffmanns »Kater Murr«, ob in Theodor Fontanes Romanen, wo – wie Rolf Zuberbühler in seiner Doktorarbeit nachwies – Neufundländer eine wichtige Rolle spielen, ob in Hermann Löns’ »Mümmelmann«, im »Dschungelbuch«, in »Krambambuli« oder Waldemar Bonsels’ »Biene Maja« – überall tummeln sich große und kleine Tiere und dienen nicht selten dazu, den Menschen die Leviten zu lesen.
Tiere sind, so ließe sich verkürzt sagen, oft die letzte Zuflucht des Dichters, der bei der Schilderung von sich gute Nacht sagenden Füchsen und Hasen auftrumpfen und Gesellschaftskritisches durch Schnauze und Schnabel mitteilen kann.
Wen wundert es da noch, dass das Tier inzwischen das erfolgreiche Genre des Kriminalromans erobert hat. Wo es schwerfällt, sich ständig venezianische Kommissare, schwedische Schwermütige oder skurrile österreichische Ermittler auszudenken, kommt das Tier wie gerufen. Akif Pirinçci und Rita Mae Brown haben den Katzenkrimi nobilitiert, und zum endgültigen Dammbruch kam es, als Leonie Swann in »Glennkill« schlaue Schafe kriminalistisch arbeiten ließ. Was sie damit anrichtete, war schwer vorherzusehen, und man sollte deshalb nicht den Schäferstab über der Berliner Autorin brechen.
Ein Blick auf aktuelle Tierkrimis lässt jedoch Schlimmes befürchten. Da lesen und riechen wir, wie Arne Blum und Wolfgang Zrdal sich suhlende Hausschweine zu Meisterdetektiven machen oder wie Carsten Sebastian Henn Hunde im Piemont schnüffeln lässt. Über Paul Shiptons Insektenkrimi »Die Wanze« lege ich den Mantel des Schweigens – wie einst abends das Tuch über den Käfig meines Wellensittichs Hansi, der sich übrigens prächtig als Holmes-Nachfolger eignen würde. Vermutlich gibt es ihn ja bereits, den hochspannenden Sittich-Thriller – so wie unser animalisches Spektrum alsbald durch Karin Bergraths Gänsekrimi »Tod im Anflug« erweitert wird.
Mir ist das, ehrlich gesagt, zu viel. Ich ahne, welche originellen Tierkrimis bereits in den Verlagswarteschleifen mit den Hufen scharren. Warum nicht – welche Symbolik! – Maulwürfe, Nachtigallen oder Silberfischchen als clevere Fahnder? In vier, fünf Jahren dürfte dieser Markt freilich übersättigt sein, und dann gibt es sie hoffentlich wieder, die herkömmlichen Lassies und Furys. Zur Wiederentdeckung empfehle ich bereits jetzt ein 1955 erschienenes Werk der Niederösterreicherin Ditha Holesch. Ihr »Der Gamsbock Tschief und seine Berge« hätte längst eine Neuauflage verdient!