Dass die EU-Kommission ihre Inspektoren zu Verlagen schickt, ist schon seit vielen Jahren nicht mehr passiert. Was halten Sie davon?
Dieter Wallenfells: Mich überrascht das Vorgehen. Seit den Turbulenzen um die deutsche Buchpreisbindung vor der gesetzlichen Regelung - das war im Jahr 2000 - gab es aus Brüssel keinen Widerstand mehr gegen nationale Beschlüsse. Auch grenzüberschreitende Regelungen galten seitdem als akzeptiert, nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur österreichischen Buchpreisbindung im April 2009 sogar ausdrücklich.
Was könnte die Durchsuchungsaktion ausgelöst haben?
Wallenfells: Das lässt sich schwer sagen. Aus einer Rede des französischen Kultusministers Frédéric Mitterrand vor der Nationalversammlung am 15. Februar 2011 lässt sich allenfalls eines ableiten: Nämlich, dass die EU-Kommission zwar nichts gegen nationale Regelungen einzuwenden hat, aber die grenzüberschreitende Preisbindung von E-Books durchaus kritisch betrachtet. Entsprechend sieht ja auch sein Gesetzentwurf für feste E-book-Preise aus. Anbieter aus dem Ausland haben danach letztlich freie Hand, wenn die Verlage nicht über Agenturverträge die Hoheit über die Preisfestsetzung im Handel behalten. Was der Minister als rechtlich sichereren Weg empfahl, weil die französische Kartellbehörde solche Verträge ausdrücklich gebilligt hätte – und auch die Komission keine Bedenken erhoben habe.
Manche sehen in dem Verhalten der Kommission auch einen Versuch, das Agentur-Modell auszubremsen.
Wallenfells: Ich nicht. Dieses Modell ist schon in vielen Ländern im Einsatz. Möglicherweise vermutet die Kommission jetzt, dass ein kartellrechtlich unzulässiges Zusammenwirken großer Verlage stattfindet - um das Modell gemeinsam und auf breiter Basis durchzusetzen. Sich derart abzusprechen, wäre ganz klar ein Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht. Aber auch dafür sehe ich nicht die geringsten Anhaltspunkte.
Hat der Vorstoß Auswirkungen auf den deutschen Markt?
Wallenfells: Aktuell nicht, weil unser Buchpreisbindungsgesetz auch für E-Books gilt, aber man muss wohl abwarten. Es ist in jedem Fall spannend zu beobachten, wie sich die Kommission vor dem Hintergrund der EuGH-Entscheidung zu Österreich künftig verhält.
Warum?
Wallenfells: Weil die Kommission im Österreich-Fall grenzüberschreitende Wettbewerbsbeschränkungen aus kulturpolitischen Gründen für gerechtfertigt hielt, ihre Haltung jetzt zum französischen Gesetz zur Preisbindung für E-Books aber hierzu im Widerspruch steht. Nicht, dass ich da große Gefahren für Deutschland sehe, aber der Europäische Gerichtshof hat sich zum grenzüberschreitenden E-Book-Verkauf einfach noch nicht abschließend geäußert.
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