Wenn man am Fuß der Wendeltreppe des Bad Mergentheimer Deutschordensmuseums ganz nach oben schaut, erblickt man durch die Windungen hindurch eine prächtige goldene Sonne. In diese Richtung ging es für Hanser-Verleger und Autor Michael Krüger, der sich über die freitragende Renaissance-Treppe spiralförmig dem „Götterzimmer“ näherte, um den irdischen Besuchern der „Literatur im Schloss“-Veranstaltungsreihe einen Einblick in seine persönliche Geschichte zu geben, seinen Weg zum verlegerischen Olymp nachzuzeichnen.
Ebenso spiralförmig näherte sich Krüger gestern den von Moderator Helmut Böttiger an ihn gerichteten Fragen. In charmant geschilderten Anekdoten durchwanderte er die mitgestaltete Literaturlandschaft und kehrte nach langen erzählerischen Ausflügen zum Ausgangspunkt zurück. Er spannte den Bogen von seiner Kindheit und Jugend, als er seiner Leidenschaft für Beckett wegen bei der Nachbarin als hoffnungslos verloren galt, über seine Zeit als Drucker und Buchhändler bis hin zum Dasein als Verleger und Autor.
Dabei wurde deutlich: Er kennt sie, die guten Bücher, aus jeder Perspektive. Als Zwanzigjähriger ging er für längere Zeit nach London, wo er bei Harrods in der Abteilung für fremdsprachige Literatur arbeitete. Dort empfahl er dem Bibliothekar der Königin deutsche Literatur in Form von fünf Büchern – darunter „Cat and Mouse“ („Katz und Maus“) von Günter Grass. Die Queen war nicht sonderlich amused – bis auf eines landeten die empfohlenen Bücher wieder in der Second Hand-Abteilung des Kaufhauses. Später brachte er die Literatur dann umgekehrt von seinen Reisen mit nach Hause in den Hanser Verlag, dem er seit 25 Jahren als verlegerischer Geschäftsführer vorsteht: Vier Winter als Stipendiat in der Villa Massimo in Rom, und er kam mit Italo Calvino und anderen italienischen Autoren im Gepäck zurück.
Die engen persönlichen Kontakte zu Schriftstellern sind es, die seine verlegerische Arbeit fundieren. Die scheinbare Leichtigkeit, mit der er daraus programmatische Schwerpunkte entwickelte, überrascht aus heutiger Sicht. Man hat den Eindruck, dass hier jemand nicht nur Ideen, sondern auch stets die gestalterische Freiheit hatte, sie zu entwickeln. Michael Krüger präsentierte sich bei Literatur im Schloss als Netzwerker, als einer, der Fäden verknüpft und dabei die Maschen immer weiter verdichtet, so dass nichts hindurchfallen, nichts verloren gehen kann, was literarischen Wert hat. Auf die sich zuziehenden internationalen Netze der Großkonzerne angesprochen, zeigte sich Michael Krüger zuversichtlich – obwohl 80 Prozent der Buchproduktion von den drei großen Konzernen Bertelsmann, Holtzbrinck und Bonnier getragen wird, sieht er nicht so schwarz wie viele seiner älteren Kollegen: Gerade die qualitätsorientierten Programme vieler kleiner, unabhängiger und junger Verlage machen ihm Mut; hier passieren, so Krüger, die eigentlich interessanten Entwicklungen, die auch eine immense Vielfalt eröffnen.
Seine persönliche Überzeugung von der Notwendigkeit der Kunst, die es herauszustellen und zu verteidigen gelte, lässt wenig Raum für Zweifel: „Das musste einfach gemacht werden“, erklärte er mehrfach. Dieser innere Drang und Gestaltungswille, gepaart mit ökonomischem Verstand, machten ihn wohl in den letzten dreißig Jahren zum wichtigsten deutschen Verleger. Dass er aber noch mehr ist und – wie Helmut Böttiger bemerkte – als Autor mit seinen Autoren auf Augenhöhe kommunizieren kann, deutete er ganz am Ende dieses kurzweiligen, lehrreichen, unterhaltsamen Abends an. Er las aus seinem zuletzt erschienenen Lyrikband ein Prosagedicht über seine Kindheit, das durchaus programmatischen Charakter hat: Die Kartoffeln notfalls aus gefrorenem Boden ausgraben - mit diesem Bild verabschiedete er die Zuhörer.
Literatur im Schloss wurde 2005 von dem Literaturkritiker Ulrich Rüdenauer und der Direktorin des Deutschordensmuseums, Maike Trentin-Meyer, gegründet. Mitveranstalter ist die Buchhandlung Moritz und Lux in Bad Mergentheim. Unter anderem waren Wilhelm Genazino, Arnold Stadler, Ingo Schulze, Judith Hermann, Terézia Mora, Peter Kurzeck, Roger Willemsen und Rüdiger Safranski in den letzten Jahren zu Gast.