Preis der Leipziger Buchmesse

"Ich bin aufgeregt, ich zittere"

17. März 2011
Redaktion Börsenblatt
Die Spannung war mit Händen zu greifen, die Dramaturgie der Veranstaltung tat ihr übriges: Die Verleihung des Preises der Leipziger Buchmesse 2011 war erneut ein Event der besonderen Art – mit mindestens einem Überraschungssieger.
15 Minuten vor 16 Uhr wurde die große Uhr eingeblendet, der Countdown lief. „And the winner is …“ - auf die Entscheidung musste das Publikum dann allerdings noch eine knappe Stunde warten, bevor in der Glashalle der Leipziger Messe die Sieger der diesjährigen Preise der Leipziger Buchmesse in den drei Kategorien feststanden.

Wie immer im Fokus: die Belletristik. In diesem Jahr gab es zwar keinen Aufreger wie 2010, als die Emotionen um Helene Hegemanns "Axolotl Roadkill" hochkochten. Doch Prognosen und Mutmaßungen schossen natürlich auch 2011 ins Kraut. Hoch gehandelt wurden Wolfgang Herrndorf und sein Coming-of-Age "Tschick" sowie Arno Geigers anrührendes Alzheimer-Buch "Der alte König in seinem Exil" - beide seit Wochen auf der Bestsellerliste. Alle anderen, so die Prognosen von Experten, seien eher Außenseiter – von denen einer dann das Rennen machte: Clemens J. Setz und sein Erzählband „Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes“  (Suhrkamp).

Setz und seine Entourage nahm die Verkündung durch die sächsische Staatsministerin Sabine von Schorlemer mit einem Jubelschrei auf. Der noch keine 30 Jahre alte Schriftsteller nahm den Preis sichtlich bewegt entgegen – „Ich bin aufgeregt, ich zittere“ – und schloss in seinen Dank nicht nur seine Lektorin, sondern auch den Schriftstellerkollegen Josef Winkler ein, der ihn überhaupt erst zu Suhrkamp gebracht hätte.

Mit der Wahl von Clemens J. Setz, der als eine Art Wunderkind der deutschsprachigen Literatur gilt und dessen beiden ersten Romane bereits mehrfach ausgezeichnet wurden, bewies die Jury einmal mehr Mut: Mit "Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes“ hoben sie ein unbequemes, sperriges, keinesfalls dem Massengeschmack verpflichtetes Buch auf den Schild. Die 18 Erzählungen des Autors sind voll von Gewalt, Sexualität, phantastischer Bilder und menschlicher Abgründe. „Solche Themen dürfen nicht tabu sein, damit darf man die Menschen nicht alleine lassen“, sagte er im Interview.

Kameras, Filmteams und Journalisten nahmen Setz schier die Luft zum Atmen, denn die Zeit war knapp: Freundlich, aber bestimmt wurde der frisch gebackenen Preisträger zum Blauen Sofa und Wolfgang Herles bugsiert, derweil die beiden anderen, medial weniger begehrten Ausgezeichneten diese Pflichtaufgabe bereits hinter sich hatten. Henning Ritter, dessen „Notizhefte“ den Sieg in der Kategorie Sachbuch/Essayistik davontrug, und Barbara Conrad für ihre kongeniale Übersetzung des Tolstoi-Schinkens „Krieg und Frieden“ - beide waren mindestens ebenso erfreut und überrascht über ihre Auszeichnungen wie der junge Setz.

Dreieinhalb Jahre hat Barbara Conrad an der Übersetzung der mehr als 2.000 Seiten von Tolstois Riesenwerk gearbeitet. Ihre Übersetzung wird als Maßstab setzend, als kaum zu übertreffend gepriesen. Was die Geehrte so nicht stehen lassen wollte: "Jede Zeit verdient ihre Übersetzung. Mein Buch soll niemanden daran hindern, es später auch einmal zu probieren", meinte die 73-jährige Übersetzerin und Slawistin verschmitzt.

Der Preis der Leipziger Buchmesse wird seit 2005 an herausragende deutschsprachige Neuerscheinungen in den Kategorien Belletristik und Sachbuch/Essayistik sowie Übersetzungen vergeben. In diesem Jahr hatten die sieben Juroren fast 500 Titel zu prüfen, die sie binnen sechs Wochen zu lesen hatten, um fünf Nominierte pro Kategorie zu benennen.

"Unsere Arbeit ist nun getan“, sagte Jury-Vorsitzende Verena Auffermann zum Abschluss der Preisverleihung in Richtung Publikum. "Nun sind Sie an der Reihe."