Das Programm, die Rednerliste und erste Vorabmeldungen lassen schon eine ziemlich zuverlässige Vorhersage zu:
- "Der Buchhandel muss sich am meisten fürchten" (Cora Stephan).
- "Das Sortiment verliert bis 2025 33 Prozent seines Umsatzes" (Matthias Ulmer).
- "Buchhandlungen müssen sich wieder als kulturelle Plattform etablieren, werden Kompetenz und Atmosphäre bieten, um dem Internetbuchhandel und der Digitalisierung etwas entgegenzuhalten" (Rainer Groothuis).
Schauen wir uns die Optionen des Buchhandels genauer an, so ergeben sich drei denkbare Strategien für die Zukunft: Ignorieren, absentieren - oder duellieren.
Ignorieren
Die beliebteste Methode, den Veränderungen in der Buchlandschaft zu begegnen, ist, sie zu ignorieren.
Wie das am besten geschieht, konnte ich vor drei Wochen bei der Vollversammlung der französischen Buchhändler in Lyon beobachten: Man freute sich über eine umfängliche Marktanalyse, die vor Ort in zahlreichen Buchhandlungen die Kunden befragte, was sie an der Buchhandlung besonders schätzten. Die Kunden nannten 1.000 tolle Eigenschaften: Die Kenntnis des Buchhändlers, die anregende Ladenumgebung, das schön präsentierte Sortiment …
Was die Umfrage nicht erfragte: Was die Kunden, die nicht in Buchhandlungen kauften, an ihrer Kaufumgebung (dem Computer oder Smartphone) bevorzugten. Das Ergebnis dieses buchhändlerisch blinden Flecks lässt sich mit drei Zahlen auf den Punkt bringen: Amazon hat heute einen Marktanteil im buchhändlerischen E-Commerce von ca. 10 Prozent. Der Anteil des E-Commerce-Umsatzes im stationären Sortiment liegt bei ca. 1,4 Prozent.
Der Anteil des E-Commerce-Umsatzes am Gesamtumsatz buchhändlerischer Unternehmen (und zwar noch ohne Verlagsdirektumsätze) liegt bei ca. 18 Prozent. Andersherum zusammengefasst: Jedes 5. Buch will heute über das Internet bestellt werden. Jedes 70. Buch, das der Buchhändler verkauft, verkauft er über das Internet.
Der Marktanteil des Sortimentsbuchhandels sank von 59,3 Prozent im Jahr 1997 auf 52,3 Prozent 2009 – 7 Prozent Differenz – das waren im Jahr 2009 680 Millionen Euro … Es ist hier nicht der Platz für eine genauere Analyse der Gründe, die zu dem weitgehenden Totalausfall des stationären Sortiments bei der Transferierung von Buchumsätzen aus dem Ladengeschäft ins Internet führten.
Es darf aber festgestellt werden, dass diese immerhin trotz eines sehr engen Marktgeflechtes zwischen Verlagen und Buchhandlungen, einer ausgezeichneten Bibliographie- und Katalogkompetenz, einer sehr breit aufgestellten und ausdifferenzierten Buchhandelslandschaft stattfand. Warum, so muss man sich fragen, hat der Buchhandel sich derart kampflos ergeben? Man könnte meinen, dass das Sortiment aus dieser Geschichte seine Schlüsse gezogen hätte und nun mit anderer Strategie ins Gefecht zöge. Offensichtlich weit gefehlt.
Absentieren
Die zweite Strategie im Umgang mit digitalen Medien geht offenbar so: Wir nehmen sie zwar wahr, beobachten sie auch argwöhnisch, aber bevor es ungemütlich wird, beschließen wir, sie einfach nicht zu unserem Handelsgegenstand zu erklären. E-Books fallen nicht in unsere Kernkompetenz als Buchhändler (warum dann Nonbooks dies tun sollen, muss allerdings jemand anderes erklären).
Wie schafft man es, E-Books nicht zu buchhändlerischen Artikeln zu erklären (nachdem man mit Erfolg Hörbüchern durch das Ladengeschäft den Markteintritt ermöglichte). Dies kann nur durch einen wahnwitzigen Kunstgriff geschehen: Man trennt zunächst den Inhalt, den Geist von der Hülle, dem Träger, und ernennt sich dann als vor allem für den Verkauf der Hülle zuständig und kompetent. Mag der Geist auch ins Internet ziehen, der Schutzumschlag, der Buchleim, das Leinen, das teure Papier bleiben unser geheiligtes Handelsgut. Kein Wunder also, dass immer mehr Papeteriewaren und Blankbücher in unsere Regale einziehen!
Was folgt aus der Strategie? Sollte es so sein, dass die vornehmsten, neugierigsten, muntersten Geister ihre Weisheit künftig digital publizieren wollen, so wird der Buchhandel also nicht mehr dabei sein?
Das täte mir aber ausgesprochen leid!
Duellieren
Die dritte Strategie klingt etwas verrückt, wenn einem die Entwicklung der letzten zehn Jahre im Nacken sitzt. Aber wie wäre es zur Abwechslung mal mit Duellieren? Sie lesen richtig: Ich meine, kämpfen, sich messen, die Kräfte anspannen, den Verstand einsetzen, Verbündete suchen und finden?
Auch wenn es alle Welt besser weiß (und vor allem wir selbst) – die Zukunft ist noch nicht geschrieben, sie wird jeden Tag neu gemacht (verzeihen Sie diese Binse).
Was eigentlich hält die hiesigen Buchhändler und Verleger, Medien und Multiplikatoren davon ab, unsere Kunden darüber zu informieren, dass es Vorteil für die Buchlandschaft, aber auch für die Kunden selbst sein könnte, sich der von uns geschaffenen Infrastruktur, Kataloge, Servicedienstleistungen zu bedienen, um an die Bücher (und künftig auch E-Books) ihrer Wahl zu kommen? Ja, richtig – es fehlt die oben genannte Infrastruktur; wo nichts ist, dort kann man sich dessen auch nicht bedienen.
Nur – und jetzt verrate ich Ihnen gerne mal ein Geheimnis: Es ist gar nicht so teuer, so kompliziert, so befremdlich, eine solche Infrastruktur zu entwickeln und vorzuhalten. Jedenfalls nicht, wenn wir die Kosten dem Geschäft gegenüberstellen, dass uns durch die Lappen geht. Und erst recht nicht, wenn wir ökonomisch vorgehen und Dinge nicht fünfmal entwickeln, wo einmal reicht. Ich nannte oben die Zahl 680 Millionen Euro – der Umsatz, der uns heute nicht zur Verfügung steht, weil wir ihn kampflos sausen ließen.
Wollen wir uns noch eine Zahl ansehen: eine Milliarde Euro werden in absehbarer Zeit in Deutschland mit E-Books umgesetzt. Ich finde, dass ist eine Hausnummer, die das Durchdenken möglicher Optionen, Bündnisse und Kooperationen lohnt. Wie groß dürfte ein Rechercheetat sein, den wir Sortimenter uns leisten wollten, um uns mit elastischen Schritten aus den Irrwegen des Ignorierens und Absentierens in eine offensiver gestaltete Zukunft zu bewegen? Lasst uns die Buchtage in Berlin für eine Diskussion dieser Frage nutzen, auch wenn sie so bislang nicht auf der offiziellen Tagesordnung steht!