Frankfurter Poetikdozentur

"Josef K. – ein verflucht guter Name!"

7. Juni 2011
Redaktion Börsenblatt
Sibylle Lewitscharoff eröffnete ihre Frankfurter Poetikdozentur "Vom Guten, Wahren und Schönen" gestern überzeugend unter dem schlichten Motto "Namen".

Zugegeben, den etwas angegilbten Charme des großen Hörsaales auf dem alten Bockenheimer Gelände versprüht der Hörsaal 2 auf dem Campus Westend noch nicht. Aber das kann ja noch kommen, zumal die Studierenden jetzt schon damit begonnen haben, dem edlen Interieur mit Hilfe von kindlichen Kugelschreiberkritzeleien zu Leibe zu rücken. Die traditionsreiche Frankfurter Poetikvorlesung in (mittlerweile nicht mehr ganz) neuer Umgebung jedenfalls ist für die kommenden fünf Jahre finanziell gesichert, dank einer bemerkenswerten Allianz der Verlage Suhrkamp, S. Fischer und Schöffling sowie der Stadt Frankfurt.

Sibylle Lewitscharoff, deren neuer Roman "Blumenberg" im September bei Suhrkamp erscheint, ist die 66. Poetikdozentin. Ihrer fünfteiligen Vortragsreihe hat sie den nicht sonderlich originellen Titel "Vom Guten, Wahren und Schönen" gegeben. Es genügt ja allerdings, wenn die Vorlesungen selbst überraschend sind. Wer Sibylle Lewitscharoff, als Tochter eines bulgarischen Vaters in Stuttgart geboren (wie man auch in ihrem preisgekrönten Roman "Apostoloff" lesen konnte), noch nie hat sprechen hören, benötigt eine kurze Zeit der Eingewöhnung – die Mischung aus breiter schwäbischer Mundart und einem überbetonten, forcierten Sprechen produziert einen höchst eigenwilligen Tonfall.

"Namen", lautete das schlichte Motto des ersten Abends, und wie es sich gehört, beginnt die studierte Religionswissenschaftlerin Lewitscharoff in ihren Überlegungen ganz am Anfang, sprich: bei Adam und Eva. "Im Namen", so sagt sie, "wohnt eine Zwingkraft." Eine These, die Lewitscharoff in einem gestochen scharfen Rundgang durch die Religions- und Philosophiegeschichte ausführte, um schließlich bei der Literatur zu landen. Was Lewitscharoff charakterisiert, ist ein ausgeprägtes Begeisterungs- in Verbindung mit einem ungehemmten Formulierungsvermögen. Namen, so Lewitscharoff, seien persönlichkeitsformend, charakterbildend: "Hans Castorp – das sitzt!" Oder auch: "Josef K. – ein verflucht guter Name!" Sowohl das "Proust’sche Namensballett" als auch das "russische Namensgewitter" erfahren ihre Würdigung. Ihr eigenes "-off" mag sie hingegen sehr gerne.

Und angesichts des Umstandes, dass in den 60er-Jahren in Deutschland nicht wenige Frauen den Namen Sara annahmen, aus Solidarität mit den im Dritten Reich zwangsumbenannten jüdischen Frauen, ruft bei Lewitscharoff "ein böses Weh in den eigenen Zahnplomben" hervor. So darf es gerne weitergehen.