Open Books

"Die Mutter aller blauen Sofas"

12. Oktober 2011
Redaktion Börsenblatt
Am Eröffnungsabend der Frankfurter Buchmesse wurde im Chagallsaal des Frankfurter Schauspiels  der literarische Reigen eröffnet, der zum dritten Mal unter dem Titel Open Books während der Messetage um den Frankfurter Römer veranstaltet wird. Witz, Tiefgründiges und Kurioses gab es zu hören - und zu sehen.

Den Auftakt zu den mehr als 100 Veranstaltungen machte das Blaue Sofa. Steinnun Sigurdardóttir, Janne Teller, Vera von Lehndorff, Eugen Ruge, Träger des Deutschen Buchpreises, sowie Friedenspreisträger Boualem Sansal nahmen nacheinander darauf Platz und stellten sich mal gut gemeinten, mal bohrenden Fragen ihrer Gesprächspartner. Rund 200 Zeugen verfolgten aufmerksam jedes Wort und jede Geste der literarischen Prominenz. Das markante Möbelstück, von Wolfgang Herles an diesem Abend scherzhaft als "Mutter aller Blauen Sofas" bezeichnet (eines von dreien, die durch Deutschland touren, wie er hinzufügte), machte einige Zicken: Moderatorin Susanne Führer (Deutschlandradio Kultur) kam zu Beginn ihres Gesprächs mit der isländischen Autorin Steinnun Sigrdardóttir darum beinahe ins Straucheln, fast hatte man den Eindruck, das Sofa wolle sie samt ihrer sorgsam vorbereiteten Notizzettel abschütteln.

Zum Glück gelang das nicht: Das Gespräch auf dem "altersschwachen Sofa" (Führer) war vielleicht das interessanteste des Abends. Das lag vor allem an den komischen und schlagfertigen Antworten der isländischen Autorin, die ganz frei über ihr Buch "Der gute Liebhaber" (Rowohlt) sprach: "Ich wollte über einen total fixierten Mann schreiben", erklärte Sigurdardóttir, die auch die "Muttersohnrede" aus ihrem Buch vortrug. Ihr Protagonist Karl, selbst ein Muttersöhnchen,  trauert im Roman auf eine sehr spezielle Weise seiner verflossenen Jugendliebe nach, bis er sich entschließt, sie kurzerhand zu entführen. Die humorvolle Isländerin nutzte die Gelegenheit und brach gleich eine Lanze für ihre Übersetzerin Coletta Bürling: "Sie ist eine Traumübersetzerin", schwärmte Sigurdadóttir. Bürling ist als langjährige Leiterin des Goethe-Instituts in Reykjavik und Reiseleiterin eine mit allen Wassern gewaschene Islandkennerin. Sigurdadóttir bespricht mit ihr intensiv die Übersetzungen ins Deutsche. Immerhin spircht sie ja selbst die Sprache mehr als leidlich. "Es muss gut klingen", so die Isländerin. "Ich habe viele Arten von Humor - sie versteht sie alle und trifft den Ton."

Die Gäste im Chagallsaal konnten den Blick auf die Frankfurter Skyline genießen, die hinter der Glasfront im Rücken des Blauen Sofas eine imposantes Panorama bot. Dort eröffnete Kulturdezernent Felix Semmelroth rund drei Stunden nach der Eröffnungszeremonie der Frankfurter Buchmesse auch Open Books hochoffiziell. Auch von seiner vergessenen Lesebrille lies sich Vielleser Semmelrtoh nicht aus dem Takt bringen und stellte die alles entscheidende Frage: "Was wäre eine Buchmesse ohne Autoren?" "Ja nichts", fügte der Zuhörer im Geiste hinzu. Semmelroth übernahm auch gleich eine Einführung zu den Autoren, die zu Gast waren und lobte "die Leidenschaft und Sprachgewalt" Boualem Sansals, der in wenigen Tagen in der Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegennehmen wird. Auch den frisch gekürten Träger des Deutschen Buchpreises empfahl Semmelroth den Gästen. Sein Roman "In Zeiten des abnehmenden Lichts" sei "ein Debüt, das seinesgleichen suche. Ein Roman, der eine ganze Gesellschaft enthält". Wolfgang Herles, der den Buchpreisträger geradezu mit Fragen darüber bedrängte, wohin die DDR-Erinnerungskultur in der jüngsten Literatur und im Allgemeinen denn eigentlich treibe, gelang es nicht, den souverän auftretenden Ruge aus dem Konzept zu bringen oder zu unüberlegten Äußerungen hinzureißen. Wie Ruge es denn finde, dass sein Roman mit Etiketten behaftet werde? Dass Vergleiche zu den Buddenbrocks zu lesen seien? "Nun, peinlich ist es mir nicht", verkündete Ruge gelassen und fügte später hinzu, er selbst sei vom Erfolg seines Romandebüts am meisten überrascht: "Ich dachte, das würde kein Schwein interessieren." Tja - Überraschung.

Interessant auch das Gespräch mit Vera von Lehndorff: Die "Veruschka" - einer der berühmtesten Importe der Bundesrepublik in die internationale Modeszene, lief im indigoblauen Kleid auf, das von einem Visier gekrönt wurde. "Das ist ja ein sensationelles Kleid", musste sich Alf Mentzner (hr2 Kultur) erst einmal sortieren. "Mit dem Visier schütze ich mich vor den privaten Empfindungen, die durch mein Buch nun nach Außen dringen. Außerdem möchte ich mich vor den gierigen Blicken der Kameras schützen, die saugen einen ja regelrecht ein", so das Fotomodell, während die Kameras klickten. Von Lehndorff sprach über ihre schwierige Kindheit als Tochter eines ostpreußischen Helden des Widerstands, über Bomberangriffe und natürlich über die Mode. Sie habe sich immer gewünscht zu verschwinden, sich neu zu erfinden, so die Veruschka. "Meine Wunden sind heute weg, aber nicht Kraft meines Buches, sondern meines Lebens". Dabei klappte sie ihr Visier hoch, runter, hoch, runter. Ihr Buch lohnt aber sicher einen genauen Blick: "Veruschka. Mein Leben" heißt es und ist beim Dumont Buchverlag erschienen.

Das Blaue Sofa wird gemeinsam veranstaltet vom ZDF, dem Sofastifter Club Bertelsmann und dem Deutschlandradio Kultur. Während der Messetage wird es viele weitere interessante Begegnungen geben. Dann aber vom Messegelände. Oder für Nicht-Messegänger, denn auch die soll es geben, im Deutschlandradio oder im ZDF-Livestream.