Forum Börsenverein

Umbrüche voraus

13. Oktober 2011
Redaktion Börsenblatt
"Die digitale Revolution ist in allererster Linie eine soziale Revolution" so der Tenor der Gesprächsrunde im Forum Börsenverein am heutigen Messe-Donnerstag. Ein weiteres Fazit: Niemand kann derzeit genau sagen, wohin die Reise gehen wird. Wie interaktiv ist die Zukunft des Lesens?

Die Gesprächsrunde lockte viele internationale Messegäste an. Justo Hidalgo (24 symbols), Gunnar Siewert (BookRix) und Christian Senft (bilandia) diskutierten über die Zukunft des Lesens und der Buchbranche. Dabei ging es vor allem um das Thema Social Media. "Die Bücher wandern in die Cloud. So werden wir die Bücher immer mit dabei haben, und die Gespräche über die Lesestoffe ebenfalls", so Hidalgos Version der Zukunft des Buches. BookRix-Gründer Gunnar Siewert glaubt daran, dass der Ausstoß an Büchern geringer werde, ansteigen werde hingegen die Zahl an Titeln, die "geupdatet" würden. Was das bedeuten soll? Zum Beispiel, einen Roman Kapitel für Kapitel zu schreiben - und dabei in engem Kontakt mit der "Fancrowd" zu bleiben. Romane in Scheiben also?

Christian Senft wollte die "Digitale Revolution" richtig verortet wissen: "Nicht das Lesen und das Schreiben werden sich verändern, aber die Konversationstechniken." Lesen und Schreiben sei nach wie vor ein "einsamer Akt". Insofern glaube er fest daran, dass auch in Zukunft 70 bis 80 Prozent der Bücher auf altmodische, also uns bekannte Weise erscheinen würden. Frei nach Niklas Luhmanns viel zitierter These: "The media is the message": Intensives Lesen und ungeordneter "Crowd-Talk" könnten sich ausschließen.

Hidalgo hingegen betonte, dass die Branche sich vor Umbrüchen befinde, die mit der Revolution durch Gutenbergs Erfindung gleichzusetzen seien. Die Möglichkeiten, durch enhanced E-Books völlig neue Leseerlebnisse zu ermöglichen, seien noch lange nicht ausgeschöpft. Will man der These des Geschäftsführers der Social Reading-Plattform 24 Symbols Glauben schenken, liege die Zukunft des Lesens in einer Vielfalt von Kanälen und Möglichkeiten der digitalen Interaktion: Social Reading, Social Writing, Cloud-Reading seien hier dei Schlagworte. Belletristischen Texten bescheinigt er eine höhere Resistenz gegen "Eingriffe" von außen. "Die Menschen lieben es, Geschichten zu hören." Dazu muss man hinhören.

Siewert lenkte den Blick auf die Autoren: Ihnen sei es zum ersten Mal möglich, völlig unabhängig von Verlagen zu ihren Lesern zu kommen. "Die neuen Möglichkeiten durch die digitalen Plattformen wollen aber erst einmal erlernt sein", kommentiert der BookRix-CEO.  "Die Autoren hatten nie so viele Möglichkeiten wie heute", ist er sich sicher. Siewert geht davon aus, dass es kein "next big thing" geben wird - die Fragmentisierung der Vertriebskanäle und Medien werde viel mehr weiter fortschreiten. Für die Branche sei dies aber noch lange kein Grund zur Verzweiflung: Die Formel "one content - many devices" sei ja kein Untergangsszenario. Mit dem dürften sich, so die Ansicht der Runde, vor allem die Vertreter des stationären Sortiments konfrontiert sehen, wie mit Blick auf die Quartalszahlen von Thalia und der Umverteilung des Branchenumsatzes hin zu Versandhandel und Onlinebuchhandel begründet wurde. "Ein E-Book kann ich überall kaufen, dafür brauche ich den Buchhändler nicht", gab Hidalgo zu bedenken. Das bedeute auf der anderen Seite aber nicht, dass die Funktionen eines Buchhändlers, Bibliothekars oder auch Lektors überflüssig würden: deren Services seien auch weiterhin gefragt. Ob das stationäre Sortiment aber seinen Platz gegen neue Marktteilnehmer behaupten kann, und wie viel Boden hier verloren gegeben werden muss, blieb offen.

Starke Zweifel wurden auch an der Festschreibung der Buchpreisbindung für E-Books geäußert: "In Zukunft werden die Leser und nicht die Velage entscheiden, ob ein Buch 'gut' oder 'schlecht' ist", so Siewert. Vor allem um gegen Piraterie effektiv vorzugehen, sei es wichtig, neue Bezahlmodelle zu entwickeln. "Wir dürfen die Fehler der Musikindustrie nicht wiederholen", bekräftigt Senft. Neue Preismodelle müssten einen flexiblen Zugang zum Buch ermöglichen: "Wer ein physisches Buch kauft, sollte das E-Book günstiger bekommen." Aus Kundenperspektive sei es außerdem nicht hinnehmbar, einen bezahlten Content nicht auf verschiedenen Endgeräten nutzen können. Auch der Buchhandel solle in diese Kombinationsmodelle eingebunden werden, die faktisch einer Aushebelung der Buchpreisbindung gleichkommen. Dies ist aber eine Forderung, die man sich in allen Konsequenzen vor Augen führen sollte.

Als wichtigen Schritt Richtung Zukunft wurden die Social Media Aktivitäten der Verlage ins Visier genommen. "Hier kann es nicht um ein reines Spitzentitelmarketing gehen. Die Verlage müssen Wege zu ihrem Publikum finden", so der ehemalige Xing-CEO Senft. Gerade "kleine" Autoren müssten hier selbst die Initiative ergreifen und Marketing in eigener Sache betreiben. Wohin die Reise der Verlage in Sachen Social Networks aber führe, könne derzeit noch keiner sagen, so der Experte. Das Stochern im Nebel dürfte also noch weiter gehen. Dennoch sei es extrem wichtig für Verlage, auf diesem Feld vielfältige Erfahrungen zu sammeln.