Sibylle Lewitscharoff las aus ihrem Roman "Blumenberg" (Suhrkamp), bei aller Tiefstapelei einem der besten Romane des Herbstes. Die Autorin stieg als Zweite an diesem Abend in die Höhle des Löwen, den Frankfurter Römer: viele Augen, Ohren, Kameraobjektive und Mikrofone waren auf sie gerichtet. Doch Lewitscharoff ging in die Vollen. Souverän, schlagfertig und zum Brüllen komisch schwäbelte sie sich durch zwanzig Minuten Gespräch und Lesung. Köstlich, aus ihrem Mund zu hören, wie Blumenbergs Löwe zunächst völlig unschuldig in den Verdacht gerät, ein "Chrischtenfresser" zu sein.
Dabei ist er doch nichts weniger als eine Schutzmacht des nächtlichen Philosophen, ein metaphyischer Fingerzeig. Begeisterung für ihre zielsicheren Pointen, Bewunderung für die knallenden Peitschenhiebe, die die Löwenbändigerin Lewitscharoff in Form bitterböser Komik ausführte, als sie sich darüber ausließ, warum ihre studentischen Romanfiguren alle massakriert werden mussten: Der künstlerischen Form willen. Was für ein Roman! Was für eine Autorin!
Angelika Klüssendorf, ebenfalls Shortlistkandidatin des Deutschen Buchpreises, hat in ihrem Roman "Das Mädchen" nicht weniger zu sagen. Ihre Lesung aus dem Auftaktband einer geplanten Trilogie fesselte und erweckte Neugier. Sogar das Klickern der Stricknadeln aus der ersten Reihe verstummte da für sieben magische Minuten. Bedächtige Stille, und zwar vom ersten, poetischen Satz an: "Scheiße flog durch die Luft." Der war ihr nachts eingefallen, erklärt Klüssendorf Moderatorin Kathrin Fischer. Die bemüht sich nach Kräften, ein Gespräch in Gang zu bringen, aber in der zeitlichen Abfolge eingekeilt zwischen einer bravourösen Lewitscharoff und einem routiniert-lässigen John von Düffel wirkte die Unterhaltung doch etwas krampfig. Das kann man ihr nicht verdenken.
Viel Lob und Applaus ebenfalls für Annett Groeschners "Walpurgistag". Mit Berliner Charme und Schnauze lieferte sie ein würdiges hauptstädtisches Pendant zu Lewitscharoff. An diesem glanzvollen Abend nahmen noch Peter Bremer mit "Der amerikanische Investor", Josef Haslinger mit "Jáchymov", Peter Henning mit "Tod eines Eisvogels" und Buchpreistäger Eugen Ruge "In Zeiten des abnehmenden Lichts" auf der Lesebühne im Römer Platz. Eine wahrlich hochkarätig besetzte Veranstaltung, auch in diesem Jahr.
Zufrieden zeigt sich das Kulturamt der Stadt Frankfurt auch im dritten Jahr der Literaturreihe Open Books:
"Das Konzept des Lesefests Open Books, eine Konzentration der Veranstaltungen rund um den Römer zu schaffen, geht in diesem Jahr hervorragend auf. Es bewegen sich permanent Besucherströme zwischen den Orten und nutzen die Gelegenheit, gleich mehrere Lesungen anzuhören. Die Buchmesse ist im Herzen der Stadt angekommen" – so Sonja Vandenrath, Literaturreferentin der Stadt Frankfurt, die den Lesereigen aus 105 Veranstaltungen koordiniert. Nicht nur die Lesungen an den drei Standorten Kunstverein, Evangelische Sadtakademie und Haus am Römer seien gefragt: "Das Café im Kunstverein hat sich zu einem Treffpunkt für Buchmenschen und Frankfurter Bürger entwickelt." Besonders gut komme die "ungezwungene und vibrierende Atmosphäre" an, so die Literaturreferentin. Die Lesereise läuft noch bis zum Samstagabend und kulminiert in einer Party im Frankfurter Literaturhaus.
Programmänderung:
Sam Stevesem-Sandberg stellt seinen halbfiktionalen, halb historischen Roman "Die Elenden von Lotsch" vor. Samstag 15:30 Uhr, Haus am Dom.