Deutsch-französisches Verlegertreffen

Interessenaustausch gut bekannter Geschäftspartner

31. Mai 2012
Redaktion Börsenblatt
Ein flammendes Plädoyer für das bestehende Urheberrecht hielt der ehemalige französische Kulturminister Jacques Toubons beim deutsch-französischen Verlegertreffen, das am Dienstag und Mittwoch (29./30. Mai) in Berlin stattfand. Für boersenblatt.net berichtet Matthes & Seitz-Verleger Andreas Rötzer.
Wenn von den Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich die Rede ist, hat man schnell das bequeme Klischee von den ungleichen Nachbarn zu Hand, es sei ein schwieriges Verhältnis, das deutsch-französische, gegenseitig fände man die Literatur eher verblasen, seien die Lesekulturen doch so unterschiedlich wie ihre Herkunft, die deutsche stamme aus der Pastorenstube, die französische sei ein Fait social.

Dieses Verhältnis auf die Probe zu stellen, auszuloten und zu verbessern, haben diese Woche das BIEF (Bureau international de l’édition française) und das Bureau du Livre zunächst in die Französische Botschaft eingeladen. Es kamen um die 150 deutsche und französische Verleger, Lektoren, Rechte- und Lizenzleiter sowie Journalisten, um an zwei Tagen die Beziehungen zu intensivieren und zu verbessern. Es war bereits das vierte Treffen dieser Art in Berlin und schon an dieser Stelle sei gesagt, dass eine Gegeneinladung zum Beispiel dem Pariser Goethe-Instituts gut stünde. Perfekt organisiert von der Leiterin des Bureau du Livre Elisabeth Beyer fand es zu einem Zeitpunkt statt, zu dem mit dem Regierungswechsel in Paris die magistralen Linien der deutsch-französischen Beziehungen neu vermessen und gezogen werden.

In seiner Einführung belegte René Strien (Aufbau Verlag) mit statistischen Zahlen den überraschend intensiven deutsch-französischen Austausch auf Verlagsebene und demonstrierte damit, dass das noch immer populäre Klischee längst nicht mehr der Wirklichkeit entspricht. Diese auch nicht mehr ganz neue deutsch-französische Normalität aber produziere nicht nur Langeweile, wie im ersten Podium, geleitet von Katharina Narbutovič (Berliner Künstlerprogramm des DAAD), festgestellt wurde, bilde auch das Fundament für gemeinsamen Handel. Jean Mattern, Autor und Programmleiter für fremdsprachige Literatur beim legendären Verlag Gallimard, bestätigte den stabilen und intensiven Austausch nicht zuletzt auf Ebene der Verleger und Lektoren und formulierte schließlich in akzentfreiem Deutsch auch eine interessante Tendenz. Längst könne man nicht mehr von vorherrschenden nationalen literarischen Strömung sprechen, es gebe so viele verschiedene Stile und Sensibilitäten wie Autoren.

In der Tat: Was haben Herta Müller, Bernhard Schlink, Patrick Süskind oder Hans Magnus Enzensberger auf der einen Seite, Jean Rollin, Cécile Wajsbrot, Jonathan Littell oder Michel Houellebecq auf der anderen gemeinsam, außer, dass sie im Nachbarland mehr oder weniger erfolgreich sind? Der Leser suche denn auch nicht mehr, wie noch vor vielleicht 40 Jahren nach spezifisch französischer respektive deutscher Literatur, sondern einen Krimi, eine Liebesgeschichte, eine Sozialreportage etc. – und die dürfen dann gerne auch französisch oder deutsch sein. Dieser Auflösung von Nationalstilen korrespondiert denn auch die Beobachtung, dass in beiden Sprachen alles beherrscht wird: Spannungsliteratur ebenso wie „große“ Literatur, Schmonzette für den Strand ebenso wie Kinderbuch. Ein Einwurf aus dem Publikum traf aber einen womöglich wunden Punkt: Es gebe kein Äquivalent zur „Eiffelturmliteratur“ (üblicherweise verpackt mit der Fotografie eines Frauenrückens vor dem berühmten Turm im Hintergrund: ein offenbar durch egal welchen Inhalt nur schwer unverkäuflich zu machendes Umschlagmotiv). Es fehle ein Deutschlandbild, das die Herzen anspreche, wie Ulrike Ostermeyer (Ullstein) bestätigte. So wurden doch noch alte Unterschiede fühlbar.

Doch zurück zum nächsten Podium, das unmerklich zum politischen Teil des Tages überleitete und sich damit dem Kern der französischen Anstrengungen näherte. Weder in Frankreich noch in Deutschland scheint das elektronische Publizieren einen hohen Stellenwert zu haben, die Schockstarre von vor zwei Jahren ist abgefallen und wich einem entspannten Abwarten sowie einem pragmatischen aber ideenlosen Umgang mit der zweifelsohne größten Umwälzung in der Geschichte der Buchproduktion. Keiner sei sich der Folgen des „Endes der Gutenbergklammer“ bewusst, an die Joachim Unseld (Frankfurter Verlagsanstalt) erinnerte und eindringlich Wachsamkeit gegenüber der fundamentalen Veränderungen, die uns bevorstehen, einforderte. So verließ man denn diese Podiumsdiskussion, die ich selbst mit Elisabeth Ruge (Hanser Berlin), Paul Otchakovsky-Laurens (P.O.L) und Bernard Clement (Seuil), moderiert von Thierry Chervel (Perlentaucher) bestritt, mit einem Gefühl der Einigkeit, aber der Ratlosigkeit, mehr als ein „On est prêt“ konnte keiner der Beteiligten von sich sagen. In der Tat, bereit sind wir, aber wofür?

Auch hier kam gegen Ende ein wichtiger Einwurf aus dem Publikum. Der Autor Camille de Toledo plädierte für unabhängige europäische Autorenplattformen im Internet, eine der wichtigsten gründete er übrigens selbst, die „Europäische Gesellschaft der Autoren“. Mit seiner Wortmeldung klang aber bereits ein Ton auf, der unterschwellig auf einen fundamentalen Unterschied aufmerksam machte, der dann im letzten Podium in ein flammendes Plädoyer des ehemaligen französischen Kulturministers Jacques Toubons für das bestehende Urheberrecht und ein gemeinsames Handeln gegen die amerikanische Vorherrschaft im Internet mündete. Vehement forderte er ein rasches gemeinsames Vorgehen in drei Punkten: reduzierten Mehrwertsteuersatz für eBooks, festen Ladenpreis und einen gesamteuropäischen Gesetzesrahmen, der dem amerikanischen Imperialismus insbesondere in Gestalt von Amazon Einhalt gebieten müsste. So kamen wir vielleicht doch wieder im Pastorenstübchen an: Wenn auch die Lese- und Schreibkulturen sich anzugleichen scheinen, so ist der Handel mit Büchern in Frankreich eben ein öffentliches, ein europäisches Anliegen, kein rein privatwirtschaftliches, und dafür hat es sich für die Franzosen schon immer gelohnt zu kämpfen.

Der zweite Tag der Rencontre fand im Institut Français am Kurfürstendamm statt, die Atmosphäre ähnelte einer entspannten Lizenzmesse, und zumindest von einem Verleger weiß ich, dass er dort auch einen "Deal" gemacht hat. So war das Ganze ein großes Branchentreffen von zumeist bereits gut bekannten Geschäftspartnern, die die sonnigen zwei Tage in Berlin nutzten, um die guten Beziehungen zu bestätigen und auszubauen. Der Appell Jacques Toubons aber hatte gewirkt, möge er nun die große Politik erreichen und Bestandteil der Zusammenarbeit der Regierungen Merkel und Hollande werden. Denn das, was da passiert, und wofür Toubon so vehement eintrat, ist nichts weniger als die Grundlage unserer Demokratie und die Arbeitsgrundlage eben dieser Politik: die europäische Kultur, die auf Büchern – egal ob gedruckt oder als eBook – basierende Bildung der europäischen Bürger. Bei allen Differenzen, die eine Einigung in dieser Sache erschweren und Missverständnisse geradezu herausfordern (wovon zum Beispiel ist die Rede, wenn Toubon von einer „exception culturelle“ spricht? wo beginnt der Protektionismus? was sagt Brüssel? etc.), möchte man den Deutschen und allen Europäern zurufen: „Seid Ihr denn Hunde in Deutschland, dass man Euch mit Tritten in den Hintern antreibt? Ach, ist das ein Jammer! Euch fließt wohl kein Blut in den Adern!“ (nicht Jacques Toubon, Lèon Bloy)