"Subjektivität und Welthaltigkeit bedingen sich bei Cartarescu gegenseitig", meinte die das dreistündige Abendprogramm moderierende Kritikerin Sigrid Löffler. Aus 140 Büchern hatte die Jury eine Shortlist von sechs Titeln zusammengestellt, darunter so schwergewichtige Titel wie Péter Nádas von der Kritik gefeierten "Parallelgeschichten" und Téa Obrechts die Leser begeisternder Roman "Die Tigerfrau", die von den Jurymitgliedern Egon Ammann und Ilma Rakusa noch einmal vorgestellt wurden.
Der ungarische Schriftsteller Péter Esterházy hielt dann die Festrede, in der zwar wenig über Cartarescu, dafür allerhand Prinzipielles über die Kultur der Übersetzung zu hören war. Den Schriftsteller definierte Esterházy als jemanden, der seine Muttersprache wie eine Fremdsprache gebrauche – dem also kein Ausdruck zur bloßen Selbstverständlichkeit und Routine geworden ist. Er freue sich immer, wenn ihm ein Satz gelungen sei, den er für unübersetzbar halte, scherzte Esterházy, auch wenn jede Übersetzung in eine andere Sprache auch ein anderes Gesicht eines Werkes zeige.
In diesem Sinn hat Mircea Cartarescus "Körper" ein weiteres, strahlendes Gesicht bekommen durch die Leistung der beiden Übersetzer Gerhardt Csejka und Ferdinand Leopold, die gemeinsam mit dem Autor ausgezeichnet wurden und ein Preisgeld von 10.000 Euro erhalten. Sie antworteten auf Löfflers Frage nach der Übersetzbarkeit dieses Autors ganz unterschiedlich. Csejka, der den ersten Band der Trilogie („Die Wissenden“) noch allein übersetzt hat, bescheinigte Cartarescu bei aller Komplexität eine klare, luzide, unverwischte Sprache – es gebe keinen Satz, zu dessen Verständnis er Informationen beim Autor hätte einholen müssen. Leopold dagegen, der Csejkas Arbeit mitten im zweiten Band nahtlos fortgesetzt hat, beschrieb Cartarescu als "denkenden Lyriker", dessen Sprache feinste Gefühlswerte besitze, für die es im Deutschen kaum Entsprechungen gebe, und dessen Roman als dicht geknüpftes lyrisch-philosophisches System fast unübersetzbar sei. Man müsse es trotzdem versuchen.
Ein kindliches Staunen über die Welt bestimmt den Blick des Schriftstellers Cartarescu, der, als er am Tisch auf der Bühne saß und gemeinsam mit der Schauspielerin Nina Petri aus seinem Roman las, plötzlich selbst kindhaft klein wirkte. Sein Schreiben komme aus einem dunklen inneren Drang, wie der Antrieb der Termite zum Termitenbau. Das ist ein charakteristischer Cartarescu-Vergleich. Insekten, Falter und Spinnentiere üben größte Faszination auf diesen Autor aus und kommen in seinen Werken in monströsen Exemplaren vor. Das Leitmotiv des Schmetterlings, Archetypus der Metamorphose, Schönheit und Symmetrie, dazu klassisches Sinnbild der Psyche, durchzieht die "Orbitor"-Trilogie, die wie ein Schmetterling eingeteilt ist in "linker Flügel", "rechter Flügel" – und als Mittelstück den "Körper".
Kennzeichnend für Cartarescus Prosa ist die jähe Veränderung der Brennweite des Erzählens: Hier eine phantastische Architektur, in der sich die Menschen wie eine "Prozession von Milben" verlieren; dort mikroskopische Scharfeinstellungen bis ins Molekularbiologische, wenn die Vorgänge am synaptischen Spalt mit dem Vokabular der Orgie beschrieben werden. "Traum und Realität sind für mich dasselbe", meinte der Autor. Und: "Bukarest ist mein Alter Ego". Kein Zweifel, an diesem Abend wurde einer der bedeutendsten europäischen Gegenwartsautoren mit einem Preis ausgezeichnet, den er selbst zu würdigen wusste: "Ich schätze die deutschen Literaturpreise, weil sie vertrauenswürdiger sind als die Preise in anderen Ländern, wo es oft in erster Linie um Machtspiele im Kulturbetrieb geht."