Interview mit Joachim Unseld

Künstler und Kaufmann

5. September 2012
Redaktion Börsenblatt
Es ist zum Verzweifeln: Der Buchhandel reagiert träge, und die Autoren wollen am liebsten in der Champions League spielen. Warum der Beruf des Verlegers trotzdem der schönste ist. Ein Gespräch mit Joachim Unseld zum 25-jährigen Jubiläum seiner Frankfurter Verlagsanstalt.

Joachim Unseld: Entschuldigung, dass Sie warten mussten. Plötzlich wollen alle Buchhändler den neuen Kirchhoff-Roman, und viele haben wenig Verständnis dafür, dass wir erst nachdrucken müssen. Die erste Auflage ist komplett weg. Früher wurde noch der Halbjahresbedarf vorbestellt, das ist vorbei. Es gibt kein Polster mehr in der Buchhandlung. Bodo Kirchhoff ist ein bekannter deutscher Autor, der jetzt sein bestes Buch vorgelegt hat – die Zurückhaltung beim Einkauf ist mir da nicht ganz erklärlich. Wenn es wirklich mal losgeht, so wie jetzt, soll der Verlag sofort nachliefern, aber auch wir haben kein Polster.

Waren Sie nicht mutig genug? Wir arbeiten alle als Händler mit kaufmännischer Vernunft. Die gebietet, dass ein Verleger aufgrund von Indizien wie Vorbestellzahlen eine erste Auflage auf den Markt bringt. Man kann nicht ins Blaue hinein Bücher drucken.

"Die Konzerne produzieren einen großen Scheißhaufen und decken damit alles zu", hat ein Verleger kürzlich gesagt. Liegt darin das Grundproblem?Die größeren Verlage haben ganz andere Fixkosten, die sind gezwungen, viele Titel zu machen. Wenn man noch in Rechnung stellt, dass die Auflagenzahlen enorm zurückgegangen sind, heißt das, dass immer mehr Bücher produziert werden müssen. Da bleibt es nicht aus, dass man nicht mehr so sorgfältig selektieren kann. Seit ich die FVA übernommen habe, war es mein Konzept, wenige, ausgewählte Titel herauszubringen – in der Hoffnung, dass die Beschränkung als Qualitätssiegel anerkannt wird. Gegenüber der Presse ist mir das gelungen, gegenüber dem Buchhandel nur teilweise.

Wie viel Resignation macht sich da im Laufe der Zeit breit?Wir reden bislang nur über die kaufmännische Seite, aber gut. Das Leben eines Kaufmanns ist nicht frei von Resignation. Aber klar ist auch: Alle Bücher, die bei der FVA erscheinen, haben bei mir für Glücksmomente gesorgt, eine Freude über das Gelungene, das Neue. Das ist das Entscheidende und deshalb werde ich so weitermachen. Wirklich schmerzhaft ist die Tatsache, dass Autoren zu anderen Verlagen abgewandert sind.
Christoph Peters, Zoë Jenny und Thomas von Steinaecker wurden für ihr Debüt jeweils mit dem aspekte-Literaturpreis ausgezeichnet. Schafft das keine Bindung, warum sind die drei nicht bei der FVA geblieben?Da locken an größere Vertriebskraft geknüpfte Verkaufserwartungen. Ob sich diese dann immer erfüllen, steht auf einem anderen Blatt.
Gibt es nichts, womit Sie das aufwiegen können?Die FVA ist personell ein kleiner Verlag. Ich lektoriere die Bücher selbst, daraus ergeben sich enge, intensive Beziehungen. Das ist für mich eine dem Gegenstand angemessene Arbeitsweise. Ich finde, man kann das nicht allein aus betriebswirtschaftlicher Perspektive betrachten. Aber versuchen Sie mal jemanden zu überzeugen, der Angst hat, in einem kleinen Verlag nicht genügend Beachtung zu finden. Diese Abwanderung der Autoren von kleinen zu größeren Verlagen ist systemisch. Schauen Sie sich das Fußballgeschäft an, die wollen halt alle gern in der Champions League spielen.
Wie oft denken Sie darüber nach, dass Sie als Suhrkamp-Verleger ganz andere Möglichkeiten hätten?
Darüber denke ich gar nicht mehr nach.
Sie haben Ungewöhnliches versucht, um Ihrem Programm zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen: mit der Beschränkung auf einen Frühjahrstitel oder den von Künstlern gestalteten Umschlägen. Warum ist das vom Handel weniger goutiert worden?
Meine Idee war, dem Buchhandel zu zeigen: Seht her, dieser eine Titel ist so stark, davon will ich ein halbes Jahr leben, es lohnt sich also, den zu bestellen. Als ich das erste »Frühjahrsbuch« gemacht habe, hieß es: Erst das zweite Programm und schon ist er pleite. Die Kunstumschläge waren der Versuch, qualitativ hochstehende Literatur zusammenzubringen mit qualitativ hochstehender Kunst. Das stieß auch nicht bei allen Buchhändlern auf Sympathie. Die Umschläge von Malern wie Meese oder Rauch seien Kunst, aber keine Verkaufsförderung, wurde mir entgegengehalten. Der Buchhandel reagiert durchaus träge. Es dauert sehr lange, bis er sich von Neuem überzeugen lässt. 

Ist es leichter, mit innovativen Ideen beim Leser anzukommen als beim Buchhändler?
Wir pflegen weiter den klassischen Vertriebsweg. Wir brauchen den Buchhandel. Besser als in einem Laden kann man Bücher nicht verkaufen.
Und doch wird es nicht einfacher, die Bücher dort in die Regale zu bekommen. Erweist sich das ungeliebte E-Book am Ende vielleicht als ein Glücksfall für viele Verlage?Es ist wichtig, die Entwicklung nicht zu verschlafen, die Umsätze durch E-Books werden weiter wachsen. Aber das Alte wird nicht hinfällig. Ich glaube, es wird ein Nebeneinander der unterschiedlichen Formate geben.
Ist der Beruf des Verlegers für Sie noch immer der schönste, den Sie sich vorstellen können?Für meine Situation ist er ideal. Nur Künstler zu sein, das wäre nicht das Richtige, nur Kaufmann aber auch nicht. Als Verleger ist man eingebunden in einen kreativen Prozess und muss zugleich betriebswirtschaftlich knallhart sein. Neue Autoren zu entdecken, das hat etwas Sportliches für mich.