Die Sonntagsfrage

Warum lohnt es sich, neuseeländische Autoren zu entdecken, Herr Jäcksch?

23. September 2012
Redaktion Börsenblatt
Neuseeland, Ehrengast der Frankfurter Buchmesse, verbinden viele zuerst mit traumhaften Landschaften. Warum auch die Literatur vom anderen Ende der Welt wert ist, entdeckt und gelesen zu werden. Ein Plädoyer von Hartmut Jäcksch, Leiter des Berliner MANA Verlags.

Das kleine Land am „anderen Ende der Welt“ wurde von der großen Literaturmaschinerie bisher zu wenig wahrgenommen. Erstklassige Autoren mit großen Themen bekamen kaum eine Chance, so weit weg vom literarischen Zentrum dieser Welt. Zu wenig wird bei der Bewertung von belletristischer Qualität beachtet, in welchem Zusammenhang das einzelne Werk zu sehen ist. Die Buchmesse in diesem Jahr bietet uns die Möglichkeit, die literaturwissenschaftliche Brille einmal zu putzen und Themen und Autoren vom anderen Ende der Welt kennen zu lernen.

In der Literatur eines Landes findet sich immer auch die Gesellschaft oder ein Teil von ihr wieder, die Gegenwart und auch die Historie. Und gerade dies macht die Literatur aus Aotearoa (so bezeichnen die Maori ihr Land) so faszinierend, denn Neuseeland ist ein junges Land und nur wenige Generationen haben die neuseeländische Gesellschaft zu dem werden lassen, was sie heute ist.

Grundsätzlich setzt sich die neuseeländische Bevölkerung aus den Pakea, den europäischen Einwanderern, und den Maori, den ersten Siedlern Neuseelands, zusammen. Eine gemeinsame Identität und eine neuseeländische Literatur mussten sich erst entwickeln. Interessant zu wissen ist, dass die Maori bis zur Ankunft der Pakea keine Schrift besaßen. Alles wurde mündlich weitergegeben, wohingegen die europäischen Einwanderer aus Ländern stammen, in denen alles schriftlich tradiert worden ist. Aus diesen beiden kulturell so unterschiedlichen Gruppen wuchs in wenigen Generationen eine Bevölkerung heran, in der sich alle „Kiwis“ nennen und als solche eine gesellschaftliche Einheit bilden.

In Neuseeland gibt es viele verschiedene, unterschiedlich stark ausgeprägte literarische Genres, was belegt, dass die Diversität der verschiedenen Bevölkerungsgruppen gelebt, ja ausgelebt werden kann: Europäische Einwanderer begannen damit, über ihre alte Heimat zu schreiben, die Maori lernten, ihre Vergangenheit auf Papier festzuhalten, und jeder lernte, über sich zu schreiben. Dies ist ein Grund, weshalb in Neuseeland so viele Menschen schreiben. Der jeweilige kulturelle und geschichtliche Einfluss schwingt dabei immer mit. Dadurch kann man beim Lesen neuseeländischer Bücher viel über Neuseeland und seine kulturelle Vielfalt erfahren.

Aus kulturhistorischer Sicht ist es spannend zu sehen, wie sich die bis zur Ankunft Captain James Cooks nicht schreibenden Maori auf dem Papier „bewegen“. Sie sind es, die international die deutlichsten Fußspuren hinterlassen haben. Auch grenzen sie sich durch ihre Themen oft von anderen Autoren europäischer Herkunft ab. Aber auch diese unterscheiden sich voneinander durch die Wahl ihrer Themen. Je nachdem ob sie kürzlich eingewandert sind, schon seit Generationen im Land leben oder als Kiwi im Ausland wohnen, variieren Thema und Genre.