Gastspiel

Unter Druck

8. November 2012
Redaktion Börsenblatt
Der Trend geht zur Kleinauflage. Mit gravierenden Folgen für die Buchproduktion. Von Andreas Selling, Buchdruckerei Hubert & Co.

Mit Erstaunen stelle ich fest, welch hohen Stellenwert die digitale Buchproduktion hat – wobei "digital" nur ein Synonym für kleine, kleinste und allerkleinste Auflagen ist. Große Auflagen sind passé; die Hersteller der dafür geeigneten Maschinen kämpfen um ihre Existenz oder sind schon insolvent, während die Anbieter von Digitaldruck­systemen, und in deren Gefolge die Hersteller von Buchbindereimaschinen, mit zahllosen neuen Angeboten um die Gunst der Drucker buhlen. Goldgräberstimmung? Ein Boom? Neue Chancen? Man darf skeptisch sein!

Die Tatsache, dass Bücher heute in extrem kleinen Auflagen gedruckt werden, ist nicht Folge eines wachsenden oder gar neuen Marktes. Natürlich sind auch neue Produkte entstanden, die erst durch eine Technik, die Klein- und Kleinstauflagen (bis hin zur Auflage "1") wirtschaftlich produzieren kann, möglich wurden. Dazu gehören individuelle Foto­bücher und vor allem die eitelkeitsgetriebenen, oft durch satte Druckkostenzuschüsse finanzierten Produkte des Self-Publishing.

Aber alles in allem ist das gedruckte Buch doch auf dem Rückzug, zunehmend verdrängt durch digitale Lösungen, die vom belletristischen Text auf dem Lesegerät bis hin zu umfangreichen Datenbanklösungen und leserspezifischen Content-Paketen in der Wissenschaft reichen. Was noch gedruckt wird, wird in zunehmend kleinen Auflagen oder gar on demand gedruckt. Und wir sind erst am Anfang: So wenig, wie die CD vor der Schallplatte und der Music-Download vor der CD halt­gemacht haben, so wenig werden E-Book & Co. vor Papier, Pappe und Druckfarbe haltmachen. Natürlich wird es Schallplatten, CDs und gedruckte Bücher weiterhin geben, und bei einigen werden sie immer einen gewissen Kultstatus genießen. Nur: Welchen wirtschaftlichen Stellenwert haben diese Nostalgie-Produkte heute und in Zukunft?

Auf diesen schrumpfenden Markt, wo bestenfalls noch die Zahl der Neuerscheinungen und die Titelvielfalt zunehmen, während die Zahl der tatsächlich produzierten (und verkauften) Buchexemplare im Sinkflug ist, stürzen sich nun Druckereien, die bis vor Kurzem über Auflagen von weniger als 10.000 Exemplaren die Nase gerümpft haben. Umwerben Kleinverlage mit drei, vier oder fünf Neuerscheinungen im Jahr, und Wissenschaftsverlage, für die "100" eine hohe Auflage ist. Machen für Klein- und Kleinst­auflagen Kampfpreise, die aus der Not geboren sind, um den weg­brechenden Umsatz der Groß­auflagen wenigstens ansatzweise auszugleichen.

Währenddessen entwickeln, bauen und verkaufen die Hersteller von Druck- und Weiterverarbeitungstechnologie Maschinen, die für diese Kleinstauflagen geeignet sind. Reden einen Markt herbei, auf den sich jetzt alle Unternehmen der grafischen Industrie stürzen sollen, um ihre Zukunftschancen zu wahren.

Waren die Entscheider in letzter Zeit auf Veranstaltungen der Verlagsbranche, auf denen über alles, aber kaum noch über das gedruckte Buch diskutiert wird? Auf denen das Wort "Content" oft, das Wort "Buch" dagegen kaum noch gehört wird. Nehmen sie Umsatzzahlen und die Sorgen der Branche wahr? Oder begründen sie ihre "Strategie" ausschließlich mit Mutmach-Aussagen und einem trotzigen "Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass es irgendwann mal keine Bücher mehr gibt!"?

Der Kuchen wird kleiner. Die Zahl der Esser nimmt zu. Man braucht nicht einmal fünf Finger, um zu ahnen, wo das hinführen wird.