Abschied von Lutz Kettmann bei Rowohlt

"Durch und durch echt"

23. November 2012
Torsten Casimir
"Rolling Home": Kurz vor seinem 63. Geburtstag hört nun Lutz Kettmann auf zu arbeiten. Nach 33 Rowohlt-Jahren. Um aber von Bord gehen zu können, sollte man sich auf einem Schiff befinden. Also lädt der Verlag zum "Rolling Home" für seinen Marketing-Chef auf die museale Rickmer Rickmers an den Hamburger Landungsbrücken. Gestern Abend wurde dort gefeiert – weniger ein Abschied, eher eigentlich ein Fest der entdeckenden, auch der aufdeckenden Lob-und-Preis-Reden.
Erkenntnisleitende Frage dabei: Wer ist dieser Lutz Kettmann? Offenbar scheint das in Reinbek nach 33 Jahren bei weitem noch nicht geklärt – was schon mal für den Untersuchungsgegenstand spricht.

Selbst die, die lange mit ihm und nahe bei ihm arbeiteten, gaben gestern über den Menschen Lutz Kettmann nur vorsichtige Auskunft. Rowohlt-Verleger Alexander Fest attestierte seinem Kollegen eine "norddeutsche Wesensverhangenheit". Nannte ihn einen "genau kalkulierenden Darsteller des Unwirschen". Befand, dass der Mann "Einfachsein nie gewollt" habe. Erwähnte Kettmannsche Paradoxien, etwa eine "Unnachgiebigkeit einerseits und größte Empfindsamkeit andererseits". Und bewunderte an diesem Vertriebsprofi, dem in seiner Laufbahn so vieles gelang, dass der im Erfolg "nie triumphierte. Er rauchte dann vielleicht etwas gemächlicher als sonst".
Überhaupt die Raucherei: Peter Kraus vom Cleff, bei Rowohlt fürs Kaufmännische verantwortlich, erinnerte sich an die oft "rauchgeschwängerten Sitzungen" mit seinem Marketing-Kollegen. Derart verqualmt muss die Bude bisweilen gewesen sein, dass Kraus vom Cleffs Tochter einmal gefragt habe, ob der Papa wohl gerade aus der Kneipe komme.
Nur Bestnoten gab es vom Gesellschafter der Verlagsgruppe, Stefan von Holtzbrinck: "Das Programm, die Präsenz, die Ökonomie – alles stimmte." Zuvor hatte der bald ebenfalls scheidende Holding-Geschäftsführer für die Holtzbrinck-Buchverlage, Rüdiger Salat, die "Kompetenz, Klugheit und Kreativität" Kettmanns gerühmt, der "das Buchmarketing mehrfach neu erfunden" habe. Stets voller Vertrauen sei die Zusammenarbeit mit ihm gewesen. Und dann der Begriff, der sich am Abend mehrfach wiederholen sollte: "Lutz Kettmann ist durch und durch echt."
Das wusste Verlagsleiterin Barbara Laugwitz anekdotenreich, pointensicher und liebevoll zu beglaubigen, erlaubte sich freilich hinzuzufügen: Aber nicht immer ganz dicht! Unter dem Titel "Drei Irre unterm Flachdach" hatte sie eine Reihe, ja doch, absonderlicher Erlebnisse mit Kettmann und den anderen an der Rowohlt-Spitze zusammengetragen – und machte sich damit um die allgemeine Heiterkeit an Bord äußerst verdient. Erzählte zum Beispiel von Mittagspausen, während denen man mit Kettmann "eine Stunde lang über die Toilettengröße in U-Booten philosophieren" könne – wie sei so ein Mann nicht zu lieben! Dann aber auch Ernstes: Das "Nicht-gefallen-wollen" sei typisch für ihn; und der fordernde Widerstand, die Auseinandersetzung bis zur schließlichen Klarheit, für die sie, Laugwitz, ihm sehr dankbar sei.

 

Und Kettmann selbst? Sagte in seiner Rede gleich an erster Stelle – was mindestens so typisch wie das Nicht-gefallen-wollen ist –, wie er sich ganz besonders darüber freue, "dass die Kolleginnen und Kollegen aus dem Sortiment so zahlreich vertreten sind". Mag sein, dass Kettmann das Marketing ein paar mal neu erfunden hat, eine Konstante gab es jedenfalls: wertschätzendes Verständnis für die Belange des Sortimentsbuchhändlers, dessen Beruf Kettmann vor seiner Verlagszeit erlernt hatte.

Was nun in Reinbek? Annette Beetz übernimmt. Steuerfrau folgt Steuermann. In große Fußstapfen habe sie zu treten, befand die neue, von Gräfe und Unzer nach Hamburg gekommene Vertriebs- und Marketingchefin bei Rowohlt – aber sie traue sich das zu, "trotz meiner kleinen Füße".

Kettmann traut ihr das auch zu. Keine Ratschläge, aber eine praktische Hilfe gab er seiner Nachfolgerin mit auf den Weg: seinen legendären Kugelschreiber. "Benutzen Sie ihn nur zweimal im Jahr, nämlich im Frühjahr und im Herbst während der Vertretersitzungen. Wenn es da mal unruhig wird, klopfen Sie mit dem Kugelschreiber an ein Glas. Ich versichere Ihnen, die Ruhe ist sofort wiederhergestellt."

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