Untersuchung des Sinus-Instituts zum Thema Glauben

Keine Räucherstäbchen neben den religiösen Büchern

21. Februar 2013
Redaktion Börsenblatt
Religiöse Bücher sollten kritisch sein, ohne katechetischen Zeigefinger, Buchhandlungen sollten mehr mit Thementischen experimentieren: Das sind Ergebnisse des MDG-Milieuhandbuchs „Religiöse und kirchliche Orientierungen in den Sinus-Milieus 2013. Ein Gespräch mit Julia Minderlein von der MDG Medien-Dienstleistung, für die das Sinus-Institut eine Untersuchung zu Glaube, Religion und katholischer Kirche durchgeführt hat.

Bei vielen ist der Glaube individualisiert, man ist auch anderen Religionen gegenüber offen und sucht sich patchworkartig Elemente heraus – wie sollten Verlage mit religiösen Büchern hier reagieren?
Sie sollten Hilfestellungen für Probleme im Alltag geben und nicht mit „katechetischem Zeigefinger“ daherkommen; diese Zeiten sind vorbei. Selbst ältere Milieus (Alterssegment 60plus) mit ehemals volkskirchlich geprägter Frömmigkeit, die nach wie vor Buchkäufer sind, sind heute alles andere als unkritisch; viele haben sich von der „Linie“ der Kirchenleitung emanzipiert und teils auch offen distanziert. Sie wollen Bücher, die sich kritisch mit kirchlichen Entwicklungen auseinandersetzen und auch über den Tellerrand in andere Religionen hineinschauen.

Und die streng Gläubigen?
Die streng katholischen Gläubigen sind die zweite Gruppe, die man eher mit klassisch religiösen Schriften erreicht. Eine dritte Gruppe wären speziell die Liberal-Intellektuellen, die den sachlichen Diskurs suchen, ohne sich von einer Position vereinnahmen zu lassen. Jeder Verlag sollte sich klar werden, welcher Art die religiöse Ausrichtung sein soll.

Auf welche Sinus-Milieus sollten sich die Verlage hauptsächlich konzentrieren?
Die Milieus, die einerseits an religiösen Themen interessiert und andererseits buchaffin sind, sind in erster Linie die Konservativ-Etablierten und Traditionellen, zum anderen die Liberal-Intellektuellen und Sozialökologischen. Verlage sollten sich sehr zielgruppengenau auf diese Milieus konzentrieren – mit einem zu breiten Programm für jedermann produziert man sonst nicht zielgruppengerecht und an den Hauptinteressierten vorbei. Dennoch kann es für einen Verlag möglicherweise auch reizvoll sein, kirchenfernere Katholiken gezielt zu adressieren. Wie im MDG-Milieuhandbuch recht deutlich wird, sind es vor allem die Themen rund um Lebenswenden wie Taufe, Hochzeit, Tod, die die Menschen an die Kirche binden, weil sie deren Dienste in Anspruch nehmen möchten. Themen also, die auch in Büchern gezielt und ansprechend aufbereitet werden können. 

In den jungen und unterschichtigen Milieus spielen im Alltag Glaube und Religion oft keine Rolle mehr – lohnt es sich überhaupt, diese Zielgruppe anzusprechen?
Bei Titeln für Jugendliche muss man sehr genau schauen, dass die spezifische Ansprache stimmt und die Bücher vom Layout und Aufbereitung des Inhalts sehr frisch daherkommen. Da müssen dann auch explizit andere Kommunikationskanäle wie das Internet bedient werden, denn nur mit dem Medium Buch erreicht man gerade in den jungen Milieus eher wenige.

Verlage wie Buchhandlungen operieren heute häufiger mit dem Etikett „Spiritualität“ statt „Religion“ oder „Theologie“ – auch ein Zeichen für das Bedürfnis nach individualisiertem „Patchwork-Glauben“?
Während „Theologie“ für Fachbücher steht und Religion oft für informative Sachbücher, ist der Begriff „Spiritualität“ weicher, da passen mehr Themen darunter, die häufig in Richtung Lebensratgeber oder Meditation gehen. Das Angebot ist hier gewachsen. Allerdings muss man sehr aufpassen, nicht in die esoterische Ecke zu gehen und die Räucherstäbchen daneben anzubieten, das empfinden viele Kunden als zu wenig seriös. 

Welchen Nutzen können Buchhandlungen noch aus der Studie ziehen?
Sie sollten genau schauen, welche Sinus-Milieus sind unter den Kunden vor allem vertreten und entsprechend Aktionen überlegen, die marketingrelevant sind. Die Sozialökologischen etwa erreicht man ganz gut mit Veranstaltungen, die an ihr soziales und ökologisches Gewissen appellieren. Ein bewusst gewählter Autor, eine Diskussion dazu und ein Thementisch, der sich an dieses sehr konsumbewusste Klientel richtet. Man sollte nicht auf Biegen und Brechen versuchen, etwa die Expeditiven zu erreichen.

Wie "locker" kann man mit religiösen Themen im Handel umgehen?
Es ist ja gar nicht mehr so einfach, Leute mit religiösen Themen zu erreichen. Und nur wenige Autoren sprechen die Massen an, wie es bei Anselm Grün und Margot Käßmann der Fall ist. Sie sind aber auch ein Beweis dafür, dass Authentizität bei fast allen Milieus gut ankommt. Die breiten religiösen Themen, die für viele Menschen aus diversen Milieus interessant sind, ermöglichen den Buchhändlern aber auch die Möglichkeit, mit Themen und Inhalten, Autoren und Verlagen zu experimentieren. Warum nicht Thementische oder Fenster zu einem speziellen religiösen Thema machen? Oder Erfahrungswelten, die aus religiösen Büchern und Non-Books wie CDs oder Handschmeichlern bestehen. Hier lassen sich wunderbar Themen und verschiedene Produkte ansprechend präsentieren. 

Welche Milieus erreichen Buchhandlungen denn gut über ihren Online-Auftritt?
Da lohnt es sich im religiösen Segment vor allem, die jungen Milieus sowie Liberal-Intellektuelle und Performer anzusprechen, die kulturell interessiert sind, gerne Bücher kaufen und lesen, aber häufig tagsüber bedingt durch die Arbeit nicht in die örtliche Buchhandlung kommen.