Interview mit Michael Riethmüller

"Amazon hat es nicht kapiert"

13. März 2013
Redaktion Börsenblatt
Warum Amazon dem Einzelhandel gerade einen Gefallen tut und er beim Tolino skeptisch bleibt, erklärt Buy-Local-Initiator Michael Riethmüller (RavensBuch) im Interview. Außerdem verrät er, wie es mit Buy Local in diesem Jahr weitergeht und was er auf der Leipziger Buchmesse seinen Kollegen und der Branche präsentiert.

Amazon stand in den letzten Wochen wegen seiner Arbeitsbedingungen am Pranger. Neben dem Autor Günter Wallraff haben auch zwei Independent-Verlage die Arbeit mit Jeff Bezos gekündigt. Zu guter Letzt wird heute in der „Süddeutschen" auf der Seite 3 der lokale Buchhandel als der bessere Buchversorger gefeiert. Macht Ihnen das Hoffnung? Ja schon. Ich habe den Eindruck, dass den Leuten allmählich ein Licht aufgeht. In den Zeitungen war ja auch so einiges über Arbeitsbedingungen in den Logistikzentren zu lesen: Die Scanner, die Amazon dort in der Auslieferung verwendet, dienen beispielsweise nicht nur zur Kontrolle der Ware - auch jeder Handgriff der Mitarbeiter wird auf Produktivität gescannt. Und genau das passiert ja auch mit den Daten der Kunden: Amazon vergisst nichts - Amazon will die Kunden gläsern. Nach wie vorsprechen uns sehr viele unserer Kunden auf diese Vorgänge an und darauf, dass Amazon hier keine Steuern zahlt. Es tut sich also einiges. Früher war Amazon für die meisten einfach nur cool.

Amazon ist heute nicht mehr cool? Nein. Auch jüngere Kunden sagen mir das. Sie empfinden Amazon zunehmend als Krake. Und die Reaktion von Amazon zeigt, dass sie nicht begreifen, worum es geht. Amazon hat es nicht kapiert.

Was müsste Amazon denn anders machen?
Amazon ist ausschließlich auf Wachstum und Monopolisierung fixiert. Da will man sich nicht mit Themen wie "Arbeitsbedingungen", "Datenschutz" und "Steuerflucht" beschäftigen. Außerdem ist man in den USA wohl an rauere Arbeitsbedingungen gewöhnt. Und Datenschutz wird eher als lästig empfunden. Die Sprachlosigkeit nach Ausstrahlung des Films und nach Presseartikeln zu diesen Themen ist wohl dem Umstand geschuldet, dass man nicht beabsichtigt die Bedingungen positiv zu verändern.

Die Buy Local-Unternehmen zahlen zumindest Ihre Steuern: Wie ist der aktuelle Stand im Verein?
Derzeit haben wir rund 90 Mitglieder und arbeiten gerade an Werbemitteln. Es gibt weiterhin ein deutliches Interesse.

Welche Interessenten klopfen denn bei Ihnen an?
Bei den Neueintritten handelt es sich vor allem um Buchhändler. Viele Interessenten kommen übriges aus den neuen Bundesländern, wo wir bislang nur schwach vertreten waren. Außerdem unterstützen uns viele Verlage.

Gibt es auch Unterstützer aus den Einzelhandelsverbänden?
In Regensburg zum Beispiel ist Herr Dombrowsky in Kontakt mit den Altstadtkaufleuten. Auch Georg Stephanus aus Trier wird dieses Thema seinen Einzelhandelskollegen vortragen. Wir werden immer wieder eingeladen, unser Projekt vorzustellen.

Was sind die nächsten Schritte?
Auf der Leipziger Buchmesse stellen wir einen Videoclip vor, der sehr gelungen erklärt, worum es bei Buy Local geht. Die Mitglieder können das Video bei sich auf der Seite einbinden, wir laden es nach der Präsentation auf YouTube hoch. Außerdem laufen Gespräche zum Thema Geschäftsführer. Es gibt zwei aussichtsreiche Kandidat(inn)en und vielleicht schon bald eine Personalie zu melden.

Der Geschäftsführer des Vereins wird hauptamtlich für Buy Local arbeiten. Welches Profil muss er denn mitbringen?
Das Fehlen eines Geschäftsführers ist unsere Achillesferse: Für die aktive Akquise haben wir derzeit einfach zu wenig Manpower. Der Geschäftsführer – oder die Geschäftsführerin - muss aktiv auf potentielle Sponsoren und Mitglieder zugehen, Termine wahrnehmen und Buy Local neben dem Vorstand nach außen präsentieren. Nebenbei lässt sich diese Aufgabe nicht im Sinne des Vereins bewältigen.

Warum übernehmen Sie denn nicht?
Raten Sie mal! Ich habe mit unseren Buchhandlungen genug zu tun. Dennoch sind wir Vereinsvorstände, nämlich Dorothee Junck, Florian Andrews, Jan Orthey und ich, außerdem meine Frau und Christoph Paris, ziemlich aktiv.

Auf die Leipziger Buchmesse kommen viele Buchhändler. Was präsentieren Sie ihren Kollegen noch?
Wir haben unsere Homepage inhaltlich aktualisiert und Werbemittel erarbeitet: Nach der Buchmesse gibt es Flyer für Kunden und Handel. Die BAG hat sich bereit erklärt, eine Aussendung zu ermöglichen. Bei Veranstaltungen werden diese Arbeitsmaterialien unsere Visitenkarte sein.

Herr Riethmüller, was halten Sie eigentlich von der Tolino-Allianz?
Bisher ist ja sehr wenig bekannt. Ich weiß nicht , ob Tolino  eine weitere Plattform wie Libreka! oder eine direkte Konkurrenz für Amazon sein soll. Den unabhängigen Buchhandel sehe ich dort nicht eingebunden.

Carel Halff hat aber öffentlich versprochen, das Sortiment beim Tolino mit ins Boot zu holen.
Ich halte das für einen Werbegag. Dieses Versprechen war eine reine Absichtserklärung ohne jedes Datum um sich der Presse gegenüber als  d i e  Antwort des deutschen Buchhandels auf Amazon zu präsentieren. Außerdem: Amazons Kunden geben alle ihre Daten preis, beim Tolino wird es genauso sein. Schließlich sollen die Daten ebenfalls in der Cloud - bei Telekom - gespeichert werden.

Was sollten inhabergeführte Sortimente also tun, wenn es ums digitale Geschäft geht?
Wir Independents sollten spätestens jetzt unsere Kunden auf unsere Stärken aufmerksam machen: Wir haben E-Book-Geschenkkarten, bieten E-Books (hoffentlich) auf unserer Website an und können in Veranstaltungen dieses Thema in unserem Sinne bewerben.

Das hört sich zuversichtlich an. Die Branche ist aber auch berüchtigt dafür, gerne zu klagen. Welche Trümpfe haben die unabhängigen Sortimente denn im Onlinegeschäft in der Hand, die die Filialisten nicht haben?
Grundsätzlich gilt: Wenn wir unsere Kunden auf unseren Webshop verweisen, dann bleibt dieser Umsatz in unserer Buchhandlung; auch bei E-Books. Mitarbeiter von überregionalen Filialisten wie Hugendubel oder Thalia verlieren durch den vorgeschriebenen Verweis auf Tolino und den eigenen Webshop ihre Kunden vor Ort, schaffen sich also selber ab. Denn jeder dort getätigte Umsatz macht die Filiale vor Ort bei jedem Klick ein wenig überflüssiger.