(Hier finden Sie die Ergebnisse von Tag 1 der MediaDays des Mediacampus in Kooperation mit dem Börsenblatt)
"Die Buchbranche ist sich ihrer Königsmacherrolle noch gar nicht bewusst." Es sind Sätze wie dieser, mit denen Workshopleiter Andreas Winiarski (Rocket Internet) die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer am zweiten Tag der MediaDays an sich fesselt. Während nebenan der Fachwirt-Ausbildungskurs im Raum Wiley CHV an der Buchhändlerschule gerade anrollt, haben sich die Teinehmer der MediaDays auf zwei Workshops aufgeteilt. Winiarski warf einen "Blick in die Hype-Kristallkugel" - und teilte gerne mit dem jungen Verlegern, was er dort erblickte.
"Keine US-Branche schrumpft so schnell wie die Zeitungsindustrie" - ein Fakt, der beängstigen kann und an Rückzugsgefechte denken lässt. Zumindest solange, wie man außer acht lässt, dass "Zeitungen zu drucken früher genauso war, wie Geld zu drucken". Denn nicht nur die "Alte-Männer-Welt" in den Verlagen dürfte bald vorbei sein, prophezeite Winiarski mit festem Blick in die Kristallkugel. Das Internet hat aus den stummen Lesern mündige Leser gemacht, die vehement ihre Meinung vertreten. In Folge des veränderten Verhältnisses von Content-Produzenten zu einem kritischen, zunehmend internationalen Konsumentenkreis müssen die Kreativbranchen im Kampf um Aufmerksamkeit und Reichweite nicht nur ihren Markenwert stärken, sondern auch Hierarchien abbauen, so die konsequente Forderung. Nur dann könne der Leser in Kontakt mit der schönsten Ware der Welt aus dem eigenen Haus - dem Buch - kommen, egal ob an der Haltestelle via Smartphone oder auf der Couch mit dem Tablet auf dem Schoß. Denn die mediale Konkurrenz wächst - etwa in Form von Online-Games auf dem Smartphone. Ergebnisse aus der JIM-Studie etwa belegen, dass das Mediennutzungsverhalten im rapiden Wandel ist.
Der digitalen Revolution freundlich ins Gesicht blicken
Ein Wandel, der gerade erst begonnen hat und dessen Tragweite erst im Zehnjahresrückblick klar wird: Damals waren iPods eine echte Rarität, E-Reader und Tablets reine Zukunftsvision. Und unter einem E-Book verstand man, wenn man sich überhaupt etwas vorstellte, ein PDF. Facebook kannte niemand (konnte auch keiner: es wurde erst ein Jahr später , 2004, gegründet) und niemand hätte sich vorstellen mögen, seine CD-Sammlung in den Keller zu verbannen.
Die Zeitungs- und Buchbranche haben laut Winiarski nach einer langen Boom-Phase künftig kein Wachstum mehr zu erwarten: "Die Blase ist geplatzt", meint der hippe PR-Fachmann. Hört sich schwarzmalerisch an? Ist aber gar nicht so gemeint. "Das Buch ist unverzichtbar", erklärt Winiarski - "große Gedanken brauchen ein großes Medium." Die Struktur der Verlage hingegen sei nicht in Stein gemeißelt - Dreiviertel der Kosten enstehen nämlich um den Content herum, in Produktion, Vertrieb und Verwaltung.
Content matters
- Die Digitalisierung verändert die Verlage zum Positiven, so das Credo des PR-Chefs des Start-Up-Investors Rocket Internet. Der große Vorteil der Verlage liege in der hohen Wertigkeit des Buches. Kunden investieren für Bücher ungleich mehr als für ein Zeitungsabo. Das ist eine gute Nachricht - auch für den Buchhandel. Was die Digitalisierung für den Vertrieb und das stationäre Sortiment bedeutet, hat auch "brand eins online" aktuell zum Thema gemacht.
- Um vom guten Vorsatz und dem Bedürfnis nach qualitativ hochwertigem Content zu profitieren, brauche es starke Marken (wohlgemerkt: "Bibi Blocksberg" ist eine starke Marke, ein Verlagsname, der nicht für eine Nische steht, kaum). Vor allem brauche es aber eine grundlegend anders strukturierte, professionelle Kommunikation mit den Kunden, die durch das Internet "aktiv" sind. Nutzenmaximiert statt profitmaximiert und auf Augenhöhe mit dem Leser - so sollten Produkte künftig gedacht werden.
- Drittens müsse das Produktportfolio der Verlage angepasst werden - an einer klaren Strategie fürs Digitalgeschäft führe kein Weg vorbei. Das sei Chefsache. Nur eine App zu produzieren, "um dabei zu sein" - werde nicht funktionieren. Hier zählt das Google-Motto: "Do what you can do best and link to the rest." Einerseits sollen Verlage also zu Medienhäusern werden, die Rundum-Content-Lieferanten sind, andererseits müssen Verlage sich auf ihre Kernkompetenzen fokussieren - Mittelmaß genügt nicht.
Ein interessantes Geschäftsmodell könnten In-App-Purchase auch außerhalb der boomenden Gamesbranche werden: Neue E-Book-Kapitel aus einem bereits gekauften E-Book bequem hinzubuchen: Klingt nicht nach Zukunftsmusik. Glaubt man Reto Kiefer, der Workshop Nummer 2 der MediaDays leitete, wird das EPUB-3-Format den Büchern bald neue Musik verleihen - wortwörtlich. Dann sollen E-Reader, momentan unbestrittener Wachstumstreiber im E-Book-Mark, aufs Abstellgleis kommen. Vielleicht bereits in zwei Jahren, so Kiefer, könnte es soweit sein. "Warum mehrere Geräte verwenden, wenn man ein Multifunktionstool hat?", fragt Kiefer und blickt auf die explodierenden Absatzraten des iPad Mini, an das Steve Jobs nicht glauben wollte.
Marketing- und Vertriebstagung
"Der US-Markt ist keine reine Blaupause" - bereits zu Beginn seines Vortrags nimmt Jens Klingelhöfer (Bookwire) die Besonderheit des deutschen Marktes vorweg. Der zeichne sich, wie internationale Kollegen nicht ohne Neid feststellten, durch eine besondere Sortimentsdichte und eine ausgeprägte Präferenz zu Print-Iinhalten aus. Aber auch in Deutschland werden 2015 schätzungsweise 50 Prozent der Bevölkerung ein Smartphone besitzen und mobil im Netz unterwegs sein. Konsequenz: Digitaler Content ist gefragt wie nie.
Zahlen zum E-Book-Markt
Mit 12,3 Millionen verkauften E-Books im letzten Jahr (Quelle: media control) und rund 80.000 Titeln im E-Pub-Format hat der E-Book-Markt schon jetzt eine relevante Größe erreicht. Die meisten Publikumsverlage taxieren mal offen, mal hinter vorgehaltener Hand ihren E-Book-Anteil zwischen fünf bis zehn Prozent. Rund 106 Millionen Euro wurden im vergangenen Jahr mit E-Books umgesetzt. "Die Verlage gehen jetzt an die Backlist", kommentiert Klingelhöfer.
Dank der Buchpreisbindung ist in Deutschland ein Preisdumping nach englischem Vorbild bisher ausgeblieben - auch wenn der Preis für E-Books mit durchschnittlich 8,50 Euro in diesem Jahr gesunken ist (Vorjahr: 9,50 Euro): Die Zahl der billigen E-Books hat sich erhöht.
Innere Ruhe bei hohem Schlagtempo
Klingelhöfer sieht die Kampfzonen der Zukunft zwischen "offenen und geschlossenen Systemen" verlaufen. Er sagt: "DRM-Verzicht ist der einzige Trumpf, den man gegenüber Apple und Amazon ausspielen kann." Denn aufwendige Bücher verkaufen sich in den proprietären Formaten oft schwer - zum Ärger der durchaus innovationswilligen Verlage.
Selbstredend rät Klingelhöfer den Verlegern, in "möglichst vielen Vertriebskanälen verfügbar und sichtbar zu sein" - es ist sein Geschäft. "Man weiß heute nicht, wer morgen groß ist", erklärt der Spezialist für den Digitalvertrieb, und natürlich hat er recht, wenn er Sichtbarkeit in vielen Kanälen zum Marketingauftrag erklärt.
Digitalgeschäft: Stellschrauben für Verlage
An welchen Schrauben können die Verlage also drehen?
- Beim Handelsmarketing müsse, gerade im internationalen Bereich, das "Pricing für digitale Produkte" stärker an die sich verändernden Lebenszyklen der E-Books angepasst werden. Aktive Preispolitik, lautet das Stichwort.
- Die Digitalvertriebler sind beim Thema Kooperationen mit neuen Anbietern und internationalen Playern auf persönliche Kontakte und Expertenwissen angewiesen: Wer weiß, welche Sheets für den iBookStore ausgefüllt werden müssen und wie man den oft erstaunlich kleinen Abteilungen der Webshopanbieter sinnvoll zuarbeitet, wird mit Sichtbarkeit belohnt.
- Da nicht damit zu rechnen sei, dass Anbieter wie Amazon oder Apple (und auch, wie während des Vortrags eingeworfen wurde, das "intransparente und unkonstruktive" Abrechnungssystem von Libri) ihre Kundendaten mit den Verlagen teilen werden, sollen die Verlage, wo immer möglich, einen direkten Weg zum Kunden suchen (Big Data und Marketingtools verfeinern). Dazu gehöre auch immer stärker der Weg über Nebenmärkte und neue Partner wie Telekommunkationsanbieter oder Lendingdienste wie Skoobe. Trotz allem - der Digitalmarkt ist nach wie vor ein Wachstumsmarkt, in dem man sich nicht hetzen lassen muss, sondern neue Geschäftsmodelle und Kooperationen zunächst kritisch prüfen sollte. Denn nicht jede Strategie und Partnerschaft verspricht Erfolg.
Paradigmenwechsel beim Kunden im Blick behalten
In der siebten Welle und in 62 Ländern läuft derzeit die Userumfrage Wave: Die Präsentation der Ergebnisse wird wohl im Juni vorliegen. Jessica Seis (Universal MCCann) stellte auf den MediaDays derweil die aktuellen Ergebnisse vor: Wave 6. Haupterkenntnis: Social Media (nicht etwa nur Facebook) gewinnt rasant an Bedeutung - vor allem durch die Ausdehnung der Services der Anbieter und Verbreitung der Smartphones. Trend ist der Daddel- und Entertainment-Bereich. Auch wenn für die Buchbranche kein eigenes Panel erhoben wurde, wurde in Seis' Präsentation klar: Service 2.0 verlangt neue Strategien. Denn Kunden wollen branchenspezifisch unterschiedlich angesprochen werden - eine genaue Daten- und Zielgruppenanalyse ist notwendig. "Monitoring gibt Ihnen die Chance, mitzulesen", erklärt Zeis. Sie macht den Verlegern Mut - denn die Buchbranche hat den bestmöglichen Vorteil auf ihrer Seite: "Sie haben den Content." Und der ist in den "Sozialen Medien" gefragter als Werbung für Versicherungen oder Bankdienstleistungen.
Den Erfolg und die Reichweite von Aktionen zu messen - dazu bedarf es eigner, maßgeschneiderter Tools, empfiehlt die Expertin. Wie das bezogen auf Verlagsprodukte aussehen kann, referierte anhand von Best-Practice-Beispielen aus dem eigenen Haus Mirja Wagner (Leiterin Database Operations bei IDG Business Media). Sie bestätigte, etwa konkret an verschiedenen Abomodellen für die "Computerwoche" und gezielter Zielgruppenansprache dank Big Data, wie Konnektivität zum User - der sprichwörtliche Draht zum Kunden - aus Perspektive eines Fachverlages hergestellt werden kann. Hier gilt es, auch die Daten aus dem Onlinegeschäft und App-Aktivitäten zu bündeln und zur gezielten Kundenansprache wieder nutzbar zu machen.
In konzentrierter Atmosphäre wurde am Dienstag schließlich mit Bilandia-Chefin Julia von dem Knesebeck ein von den Teilnehmern viel gelobter Workshop abgehalten. Auch hier wurde deutlich: Ob Social Media oder Digitalisierung: Es gibt keine Königswege. Das Gebot der Stunde lautet daher: Aufbau vom echter Technikkompetenz, intensiver Dialog mit dem Kunden ("Herrsche und teile", scherzte von dem Knesebeck) und die Bereitschaft zum selbstkritischen Wandel ("Rebooting").
Hier geht es zur Bildergalerie mit weiteren Informationen zu den MediaDays.