Beim Amtsgericht Charlottenburg ist ein Insolvenzplan in Sachen Suhrkamp eingereicht worden. Im Kern geht es darum, aus der Suhrkamp Verlag GmbH & Co. KG eine Aktiengesellschaft zu machen und auch den Insel Verlag mit zu integrieren. Ist das eine sinnvolle Entscheidung?
Rolf Aschermann: Zunächst einmal handelt es sich bei dem Insolvenzplan um einen Antrag des Schuldners, der verhindern soll, dass das Unternehmen in der Insolvenz zerschlagen werden muss. Vielmehr soll seine Weiterführung ermöglicht werden. Dieser Plan bedarf der Annahme durch die Beteiligten - insbesondere Gläubiger und Mitarbeiter sowie Gesellschafter - und der Bestätigung durch das Insolvenzgericht. Unterstellt, dies geschieht, kommt es darauf an, aus wessen Sicht Sie die Sinnhaftigkeit beurteilen wollen. Aus der Sicht der Geschäftsführung des Schuldners mag eine Begradigung der gesellschaftsrechtlichen Kampflinie durchaus sinnvoll sein; der betroffene Anteilseigner wird das vielleicht nicht so sehen.
Und die Gläubiger?
Aschermann: Für die Gläubiger, also Autoren, Mitarbeiter, Lieferanten und Banken, kommt es vor allem darauf an, ob sie die Chance erhalten, sich besser zu stellen als bei einer Zerschlagung des Unternehmens. Was der Plan hierzu vorsieht, droht aus dem Blick zu geraten, wenn man sich zu sehr auf die gesellschaftsrechtlichen Aspekte fokussiert. Auch die zeitliche Dimension spielt bei der Beurteilung eine Rolle. Nicht alles, was kurzfristig Erleichterung verschafft, muss auch langfristig den unternehmerischen Erfolg garantieren.
Das Amtsgericht will den Plan nun prüfen. Könnte diese Prüfung die Umsetzung des Plans, Suhrkamp zu einer AG umzubauen, noch verhindern?
Aschermann: Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beinhaltet noch keine Entscheidung über den Insolvenzplan. Das Insolvenzgericht prüft zunächst innerhalb einer Soll-Frist von zwei Wochen, ob es den Plan von Amts wegen zurückweisen muss.
Von Amts wegen?
Aschermann: Ja, das heißt, dass es dazu keines Antrags eines Beteiligten bedarf. Das wäre insbesondere dann der Fall, wenn Fehler bei der Bildung von Gruppen von Beteiligten, die später über den Plan abzustimmen haben, bestehen, wenn der Plan offensichtlich keine Aussicht auf Annahme durch die Beteiligten oder Bestätigung durch das Gericht hat - oder wenn die sich aus dem Plan ergebenden Ansprüche offensichtlich nicht erfüllt werden können. Ohne den Plan zu kennen, verbietet es sich aber, über das Ergebnis dieser Prüfung zu spekulieren.
Was hat aus Ihrer Sicht beim Verfassen des Insolvenzplans an erster Stelle gestanden: der gesellschaftsrechtliche Vorteil oder das Ziel, Suhrkamp insgesamt wieder auf Touren zu bringen?
Aschermann: Inhalt des Planes ist sicher nicht in erster Linie die gesellschaftsrechtliche Umwandlung des Schuldners, sondern die möglichst vorteilhafte Befriedigung der Gläubiger ohne Zerschlagung des Unternehmens. Immerhin geht das Insolvenzgericht laut Presseberichten von Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit als Insolvenzgründen aus.
Wie beurteilen Sie die Lage?
Aschermann: Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit sind massive – und im Grundsatz rechtsformunabhängige – Beeinträchtigungen der Zukunftsfähigkeit des Unternehmens, die in der Regel schwerwiegende Einschnitte in die Rechtspositionen der Beteiligten erfordern, um einen Fortbestand zu ermöglichen. Hierzu können auch gesellschaftsrechtliche Maßnahmen beitragen. Es würde dem Plan aber sicher nicht helfen, wenn ihm auf die Stirn gebrannt wäre, dass er nur dazu dient, sich eines unliebsamen Gesellschafters zu entledigen, dessen Ansprüche bisher von den Gerichten überwiegend bestätigt wurden.
Die am Verfahren Beteiligten müssten dem Plan aber in jedem Fall zustimmen?
Aschermann: Richtig. Sie müssen ihn mehrheitlich annehmen, außerdem wird er vom Gericht bestätigt. Hierzu erhalten die Beteiligten innerhalb von weiteren zwei bis vier Wochen Gelegenheit zur Stellungnahme, und es findet ein Erörterungs- und Abstimmungstermin über den Plan statt. Erst nach Annahme und Bestätigung kann der gegebenenfalls auch noch zu ändernde Plan umgesetzt werden.
Im Verlag glaubt man schon jetzt, dass die Veränderung der Rechtsform die Existenz – die eigene Planungs- und Handlungsfähigkeit – sichere. Ist dieser Optimismus gerechtfertigt?
Aschermann: Wieso die Planungs- und Handlungsfähigkeit durch die Rechtsform der Verlage als Kommanditgesellschaften oder die Rechtsform der Führungsgesellschaft als GmbH beeinträchtigt sein soll, vermag ich nicht recht zu erkennen.
Schiebt man den Insolvenzplan einmal beiseite: Was bleibt übrig?
Aschermann: Stein des Anstoßes ist eine Gesellschaftervereinbarung aus dem Jahre 2009. Diese beschneidet den Handlungsspielraum der Geschäftsführung. Daher versucht die Gesellschaft, sich ihrer durch einen Rechtsformwechsel zu entledigen, obwohl die weitgehend personenidentisch geführte Familienstiftung die Gesellschaftervereinbarung selbst abgeschlossen hat.
Wer Einfluss auf das operative Geschäft nehmen kann, legt künftig das Aktienrecht fest. Welche Grundregeln gibt es dafür?
Aschermann: Der Vorstand leitet die Aktiengesellschaft „in eigener Verantwortung“. Anders als ein GmbH-Geschäftsführer ist er keinen Weisungen hinsichtlich der operativen Tätigkeit unterworfen. Wenn Mehrheitsgesellschafter und Geschäftsführer allerdings praktisch personenidentisch sind, dürfte auch eine GmbH-Geschäftsführung keine Weisungen gegen ihren Willen zu befürchten haben.
Welche Rolle spielen für die Besetzung der Spitzenpositionen – also Vorstand und Aufsichtsrat – die Mehrheitsverhältnisse?
Aschermann: Bestellt – aber auch überwacht und beraten – wird der Vorstand stets von einem Aufsichtsrat. Vorstand und Aufsichtsrat sind nicht dem Interesse des Mehrheitsgesellschafters verpflichtet – auch wenn der Aufsichtsrat mit dessen Stimmen gewählt wurde –, sondern müssen das Interesse des gesamten Unternehmens verfolgen. Man würde sich als Aufsichtsratsmitglied zum Beispiel fragen müssen, ob es eine gute Entscheidung wäre, Personen in den Vorstand zu berufen, die sich laut einer vor Kurzem ergangenen gerichtlichen Entscheidung dem Unternehmen gegenüber schadensersatzpflichtig gemacht haben und deswegen als Geschäftsführer abberufen werden konnten. Vorstand und Aufsichtsrat machen sich der Gesellschaft gegenüber persönlich schadensersatzpflichtig, wenn sie ihre Pflichten verletzen – und diese Schadensersatzansprüche können auch von einzelnen Aktionären verfolgt werden. Es erscheint mir daher nicht unplausibel, dass ein künftiger Suhrkamp-Vorstand durch einen künftigen Suhrkamp-Aufsichtsrat einer strengeren Kontrolle unterworfen wird, als das bei der Geschäftsführung durch den praktisch personenidentischen Mehrheitsgesellschafter bisher der Fall war.
Können die 39 Prozent eines Minderheitsaktionärs denn unberücksichtigt bleiben - welchen Einfluss hätte Hans Barlach mit seiner Medienholding noch?
Aschermann: Auch wenn der Aufsichtsrat von der Hauptversammlungsmehrheit gewählt wird, ist ein Minderheitsaktionär nicht völlig schutzlos. Mit 39 Prozent steht ihm zum Beispiel eine Sperrminorität bei Satzungsänderungen oder Kapitalerhöhungen bei Aufnahme neuer Gesellschafter zu. Auch kann er in der Hauptversammlung sein Fragerecht extensiv ausüben und gegebenenfalls Beschlüsse anfechten. Angesichts der schon vorher gegebenen Machtverhältnisse scheint mir viel entscheidender die Frage zu sein, ob es gelingen sein wird, im Wege des Insolvenzplans der Medienholding vertragliche Rechte zu nehmen - Stichwort Gesellschaftervereinbarung. Eine gewisse Rolle mag vor dem Hintergrund des Urteils des Landgerichts Frankfurt vom März dieses Jahres hinsichtlich des Gewinnanspruches auch spielen, dass bei einer Aktiengesellschaft Vorstand und Aufsichtsrat bei der Aufstellung des Jahresabschlusses die Hälfte des Jahresüberschusses in die Rücklagen einstellen können. Über die Verwendung der anderen Hälfte entscheidet die Hauptversammlung mit einfacher Mehrheit. Anders als bei der Personengesellschaft fällt es bei der Aktiengesellschaft also leichter, einen Minderheitsgesellschafter – bis an die Grenze des Rechtsmissbrauchs – „auszuhungern“.
Der Insolvenzplan sieht vor, dass sich Gesellschafter gegen Abfindung von ihrer Beteiligung trennen können. Was könnte die Medienholding und Hans Barlach dazu bringen, ausgerechnet jetzt, bei der Umwandlung in eine AG, aussteigen zu wollen? Käme er nur noch so zu seinem bereits vor Gericht erstrittenen Geld?
Aschermann: Ein Insolvenzplan könnte die Gesellschafter auch zwingen, ihre Beteiligung zu vermindern, zum Beispiel durch eine Kapitalherabsetzung - verbunden mit einer Umwandlung von Gläubigerforderungen in neues Gesellschaftskapital. Da dies aber in gleicher Weise die Familienstiftung betreffen müsste, soll offenbar nur ein freiwilliges Angebot unterbreitet werden.
Wäre das denn lukrativ?
Aschermann: Wirtschaftlich betrachtet sollte ein solches Angebot angenommen werden, wenn es attraktiver ist als die Fortsetzung der Gesellschafterstellung. Das hängt von einer Vielzahl von Fragen in der Sphäre der Gesellschaft und des jeweiligen Gesellschafters ab – etwa von der Höhe und Fälligkeit der Abfindung, der eigenen Erwartung hinsichtlich der Wertentwicklung und Fungibilität der Beteiligung oder der Finanzierungssituation des Gesellschafters. Zudem hat man den Eindruck, dass in dieser Auseinandersetzung bei weitem nicht nur rational-wirtschaftliche Überlegungen eine Rolle spielen. In jedem Fall ist zu unterscheiden: Vor dem Landgericht Frankfurt hat die Medienholding einen Anspruch auf Gewinnausschüttung erstritten, den sie in der Insolvenz wieder verlieren soll. Hierdurch wird ihre Beteiligungsquote aber nicht verändert.
Aber bei einer Abfindung?
Aschermann: Bei einer Abfindung geht es um etwas völlig anderes als bei einer Gewinnausschüttung: Nämlich um eine Verminderung der Beteiligungsquote oder ein gänzliches Ausscheiden aus dem Suhrkamp-Verlag.
Hans Barlach hat laut Verlag mehrmals versucht, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu verhindern. Doch genau das ist nun geschehen. Welche Handhabe bleibt ihm jetzt noch, rechtlich gesehen?
Aschermann: In erster Linie kann man seine Rechte als Beteiligter innerhalb des Insolvenzverfahrens geltend machen und so versuchen, eine möglichst günstige Gestaltung des Insolvenzplanes zu erreichen beziehungsweise diesen gänzlich zu verhindern und zu einem „normalen“ Insolvenzverfahren überzuleiten. Unter gewissen Voraussetzungen kann sofortige Beschwerde gegen die Bestätigung des Insolvenzplans eingelegt werden. Letztlich ist auch bei einer fortbestehenden Beteiligung der Medienholding an einer Aktiengesellschaft ein dauerhafter Rechtsfriede nicht gewährleistet. Es ist also durchaus nicht ausgeschlossen, dass wir uns noch auf weitere Akte des Dramas einstellen müssen.
Interview: Tamara Weise
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