Nach der B.I.S.-Insolvenz

"Wir haben noch jede Menge Adrenalin"

18. September 2013
von Nils Kahlefendt
Kein Buchhandel mehr in der Provinz? Die Insolvenz der Regional-Kette B.I.S. Buchhandel in Sachsen schien zur vielerorts verbreiteten Katzenjammer-Stimmung der Branche zu passen. Den Mut der Mitarbeiterinnen hatte keiner auf dem Zettel: An drei der sechs Standorte haben sie den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt.
Keine zwei Monate ist es her, dass Elke Kämpfner und Fanny Eberhardt die Tür zur Kurt-Tucholsky-Buchhandlung hinter sich absperrten – für lange Zeit, wenn nicht gar für immer. Nun geben die beiden Buchhändlerinnen Interviews in Serie. Der Lokalzeitung, dem Radio, selbst das MDR-Fernsehen („Hier um Vier“) war schon da.

Wieso der Medienauflauf? Die 200-Quadratmeter-Fläche in Borna war Stammsitz der B.I.S. Buchhandel in Sachsen GmbH, einer von Regina Lewejohann-Hagen (Neuss) geführten regionalen Kette, zu der insgesamt sechs Kleinstadt-Buchhandlungen gehörten. Im Sommer musste die B.I.S. die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens anmelden. Nun, pünktlich zur vom Gewerbeverein organisierten langen Einkaufsnacht, gehen die beiden Frauen am alten Standort mit ihrem eigenen Geschäft an den Start.

Blumen in jeder Ecke, Adrenalin im Blut  

Der von Blumensträußen überquellende Laden heißt schlicht Die Buchhandlung. Genau so war die Aufgaben-Kladde betitelt, die Kämpfner und Eberhardt während der emotionalen Berg-und-Tal-Fahrt der letzten Wochen geführt hatten. „Es ist die Buchhandlung am Ort. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Punkt!“ Zum Bornaer „Event-Shopping“ hat „Die Buchhandlung.“ bis Mitternacht geöffnet, Samstagmorgen geht’s weiter. „Wir ziehen das durch“, lacht Kämpfner. „Wir haben noch jede Menge Adrenalin in uns.“

Der Neueröffnungstag fiel nicht zufällig auf Freitag, den 13. In den letzten Wochen haben die beiden Frauen fast rund um die Uhr auf diesen Termin hingearbeitet. Mit dem Gedanken, den Laden in die eigene Hand zu nehmen, tragen sie sich bereits seit Mai, als die ausbleibenden Gehälter den Anfang vom Ende der Regionalkette signalisierten.

Kämpfner kam 1982 als Lehrling nach Borna, in Nachwendezeiten, sie war gerade Mutter geworden, fehlte ihr zur Übernahme der Mut. Doch die ehemalige Volksbuchhandelsfiliale, die dann von den Lewejohanns aus Neuss gekauft wurde, ist die einzige Buchhandlung am Ort. Hier aufgeben, kampflos? Die Frauen stürzen sich ins Abenteuer Selbständigkeit, „mit ganz viel Enthusiasmus und möglichst wenig negativen Gedanken“, wie Eberhardt sagt. Schritt für Schritt wird die to-do-Kladde abgearbeitet: Die Verhandlungen mit dem Insolvenzverwalter über den Kauf der Ladeneinrichtung. Der Antrags-Wust, von der BAG-Anmeldung bis zum Gründungs-Zuschuss vom Arbeitsamt. Der Ladenumbau, den der Vermieter in Windeseile umsetzt.

Hilfe von allen Seiten 

Auch hier haben die Buchhändlerinnen Glück: „Der Chef der Wohnungsbaugesellschaft kommt aus der Existenzgründung. Der wusste genau, wo es bei uns brennt.“ Hilfe kommt von allen Seiten: Von ehemaligen Kollegen, von der IHK, vom Börsenverein, vom Betriebsberater Joachim Merzbach. Selbst aus dem Bornaer Rathaus. Rasch merken die beiden Frauen, dass viele Entscheidungen, die sie aus dem Bauch heraus getroffen haben, richtig sind.

Das gibt Rückenwind, ebenso wie die Hilfe der Familien, die buchstäblich bis zur letzten Minute vor der Eröffnung mit anpacken. Ein Wermutstropfen: Die VVA beliefert die Neugründung bislang nur auf Vor-Faktur; aufgrund der B.I.S.-Pleite ist man in Gütersloh offensichtlich vorsichtig – zu Unrecht, wie die Neugründerinnen meinen. Sie wissen, dass der Weg, der nun vor ihnen liegt, kein ganz leichter wird. Doch die Kleinstadt im Süden von Leipzig braucht sie. Eben wird eine Wimpelkette mit handgeschriebenen Grüßen von Bornaer Grundschülern vorm Laden aufgehängt; der Lehrer bekommt ein Glas Sekt in die Hand gedrückt. „Mein Mann“, flüstert Elke Kämpfner.

Torgau bekommt einen Bücherwald

Während sich die Buchhändlerinnen in Borna am Samstagmorgen nach kurzer Nacht wieder in ihren Laden begeben, fällt rund sechzig Kilometer nordöstlich, in Torgau, der Startschuss zum Altstadtfest. Und auch hier erwacht eine vor Wochen geschlossene B.I.S.-Filiale zu neuem Leben: Sabine Wendt, ihre Tochter Josefine und Katrin Jahnke haben die vormalige Stefan-Zweig-Buchhandlung am Markt übernommen und eröffnen nun ihren „Bücherwald“. Frisches Grün leuchtet an den Wänden, in den Regalen die neuen Bücher.

Auch für das Torgauer Trio fiel die Entscheidung, das Glück in die eigenen Hände zu nehmen, bereits in den schwierigen Mai-Wochen. „Wir kennen unsere Zahlen und konnten bei der Kosten- und Umsatzplanung relativ realistische Angaben machen“, erklärt Sabine Wendt. Die IHK und eine Unternehmensberaterin vor Ort sahen das ähnlich. Auch Wendt hat noch zu DDR-Zeiten als Buchhändlerin in Torgau begonnen, seit 2005 arbeitete sie in der Stefan-Zweig-Buchhandlung – bis auf einen weiteren, kleinen Laden die einzige vor Ort. Wendt weiß, was das Wort „Nahversorgungsauftrag“ bedeutet. „Die letzten vier Wochen vor der Schließung waren schlimm. Wir konnten die Leute nur noch wegschicken, die Lieferanten hatten alle Leitungen gekappt.“

Umso befreiender das Gefühl, nun in eigenem Auftrag zu arbeiten. Auch in Torgau ist die Freude der Stammkunden riesengroß; der Bücherwald wird sich im Laufe des Tages in ein Blumenmeer verwandeln.

In Döbeln bleibt die Buch-Oase, Hochwasser hin oder her

Ein letzter Ortswechsel: Als die zur B.I.S. gehörende Erich-Kästner-Buchhandlung in Döbeln zum 8. Juli schloss, hatte Andrea Panke bereits mehr als vier an den Nerven zehrende Monate hinter sich. Panke war die erste Mitarbeiterin, die sich zum Alleingang entschloss, noch bevor das volle Ausmaß der Schieflage beim sächsischen Regional-Filialisten offenbar wurde. Am 12. März eröffnete sie in der Ritterstraße ihre Buch-Oase. Als zweieinhalb Monate später die Flut über Mitteldeutschland schwappte – für die Neusser Geschäftsleitung der B.I.S. offenbar das finale Signal zum Ziehen der Reißleine - hieß es auch bei Panke: Land unter! Von der Stadt wurde der Buchhändlerin eine provisorische „Holzbude“ vorm gefluteten Laden zur Verfügung gestellt, in der sie den Bestellverkehr abwickeln konnte. Panke erfuhr Hilfe von der Kommune, vom örtlichen Lions Club, von vielen Verlagen und Buchhändler-Kollegen – einige davon standen zu dieser Zeit selbst im Feuchten. Inzwischen hat Panke eine Interims-Fläche in der Wohnung über ihrer zur „Handwerkeroase“ mutierten Buchhandlung angemietet. Unter ihr brummen die Trockner, ein Ende der Renovierungsarbeiten ist vorläufig nicht in Sicht.  

Bereut hat Andrea Panke den Schritt in die Selbstständigkeit noch keinen einzigen Tag; ihren Kolleginnen in Torgau und Borna geht es genau so. Mag sein, dass es nicht jedem gegeben ist, sich münchhausengleich am eigenen Zopf aus dem Sumpf zu ziehen. Besser als Nichtstun ist es allemal. Der Mut der Frauen aus Sachsen wirkt in Zeiten, da sich das stationäre Sortiment - gerade in der Provinz oft in die Defensive gedrängt sieht, ganz offensichtlich ansteckend. „Wir haben von keinem gehört: Macht das nicht“, sagt Elke Kämpfner. „Im Gegenteil!“