Googles Buchsuche stiftet einen bedeutenden öffentlichen Nutzen. Sie ist zu einem unschätzbaren Forschungsinstrument geworden, mit dem Studenten, Lehrer oder Bibliothekare Bücher identifizieren und ausfindig machen können. Sie ermöglicht neue Wege zur Daten- und Textanalyse. So weit die Lobeshymne, mit der Richter Denny Chin seine Entscheidung in Sachen Authors Guild gegen Google zugunsten des Internetkonzerns intoniert. Googles Buchsuche erfülle in fast allen Punkten uneingeschränkt die Kriterien, deren Erfüllung die »Fair use«-Lehre im US-Copyright-Recht verlange, so Chin. Dazu gehöre etwa, dass die Nutzung eines urheberrechtlich geschützten Werks in hohem Maße »transformativ« ist, dass sie dem Ursprünglichen etwas wesentlich Neues hinzufügt.
Die Massendigitalisierung von rund 20 Millionen Büchern, das Durchsuchen der gescannten und erfassten Volltexte und die Anzeige von »Snippets« stellten eine neue Qualität für Bildung und Forschung dar und verstießen daher nicht gegen das Urheberrecht.
»Fair use« muss in den Ohren der Autoren, die gegen das Urteil in Revision gehen wollen, wie Hohn klingen. Nie hat Google sie gefragt, ob sie der Digitalisierung und Verarbeitung ihrer Werke zustimmen. Das Urheberpersönlichkeitsrecht, das im US-Copyright Law ohnehin eine untergeordnete Rolle spielt, wird in Chins Urteil komplett ignoriert.
In Zeiten von Big Data könnte man den Richterspruch aber auch als Verbeugung vor dem Monopolisten Google auffassen. Einem Privatunternehmen wird ein quasi-institutioneller Rang zugesprochen, und der Gemeinwohlgedanke derart bemüht, dass individuelle Abwehrrechte, zu denen das Urheberpersönlichkeitsrecht gehört, untergehen. Der Fall Google steht für eine Entwicklung, in der individuelle Ansprüche – ob bei Urheberrecht, Privatsphäre oder Datenschutz – zunehmend kollektivistischen »Superrechten« wie allgemeiner Wissenszugang, Gemeinwohl und Sicherheit geopfert werden.
Michael Roesler-Graichen