Führungswechsel in Belletristik-Verlagen

Die Neuen kommen

9. Januar 2014
Holger Heimann
Georg M. Oswald, Daniel Kampa, Sabine Cramer, Jo Lendle: Gleich vier große, belletristisch geprägte Häuser haben neue Chefs bekommen. Die frische Führungsriege manövriert pragmatisch zwischen Ernst und Entertainment, zwischen Print- und Digitalgeschäft. Der Klagemodus scheint ihr fremd zu sein.

Vor einigen Monaten war Georg M. Oswald noch Anwalt in einer von ihm mitgegründeten Münchner Kanzlei. Ein Anruf von Piper-Verleger Marcel Hartges eröffnete dem Juristen plötzlich eine ganz neue Perspektive. Der 50-Jährige beschreibt seine Entscheidung, Chef des seit Anfang 2012 zu Piper gehörenden Berlin Verlags zu werden, selbst als Wagnis: "Ich habe ein zufriedenes Leben geführt und finde es ziemlich abenteuerlich zu sagen, man beginnt etwas ganz Neues: einen anderen Beruf in einer anderen Stadt." Als Hasardeur, der einen krisensicheren Job gegen eine Anstellung mit unsicherer Perspektive eintauscht, sieht er sich trotzdem nicht. Seine Motivation ist so schlicht wie überzeugend: "Ich kann den ganzen Tag mit Büchern verbringen und kann mich daran beteiligen, die Bücher zu machen, die es mir wert erscheinen."

Lange überlegt hat er daher kaum. Da war so ein Bauchgefühl und dem ist er gefolgt. Denn Garantien gibt es schließlich ohnehin selten im Leben. Und so sitzt ­Georg M. Oswald, der seit Beginn seines Berufslebens nicht nur Anwalt, sondern auch Schriftsteller ist und seit einiger Zeit bei Piper publiziert, plötzlich auf der anderen Seite vom Schreibtisch. Auch wenn er das nicht so sehen will und die Formulierung, "die Seiten wechseln" als "merkwürdig" bezeichnet. Doch gesteht er immerhin ein: "Ich finde es toll, mal nicht die Bücher schreiben zu müssen, sondern mir darüber Gedanken machen zu dürfen, wie man das Beste für sie tun kann."

Anders als in München, wo Oswald auch einmal einige Wochen Urlaub nahm von der Kanzlei, um mit dem Manuskript voranzukommen, ist solch eine Auszeit beim Berlin ­Verlag für die nächsten Monate ausgeschlossen. Schließlich soll er dem Verlag, in dem einmal Autoren wie Ingo Schulze, Richard Ford und Sibylle Lewitscharoff zu Hause waren, dessen Zukunft zuletzt aber ungewiss schien, zu neuem Glanz verhelfen. "Der Piper Verlag hat diesen ­Verlag gekauft, um damit wirtschaftlich erfolgreich und literarisch sichtbar zu sein. Das ist weder eine Garantie dafür, dass es funktioniert, noch der Beweis dafür, dass es in die Hosen geht", formuliert der Neue diplomatisch und fügt hinzu: "Es ist ein Versuch, bei dem man unter anderem auch probiert, die Fehler, die gemacht wurden, nicht zu wiederholen. Das heißt natürlich nicht, bei null anzufangen und wie mit einem Lego-Baukasten das Schloss aufzubauen, das man sich wünschen würde."

Oswalds Engagement beim Berlin Verlag ist sicher das überraschendste in einer ganzen Reihe von Wechseln an der Spitze von Verlagen. Wie beim Domino wurde eine Veränderung durch die andere angestoßen. Eine junge Riege von Verlegern hat dabei in namhaften Häusern wie Hanser oder Diogenes die ältere Verlegergeneration abgelöst. Wie ihre Vorgänger, so fühlen auch die Neuen sich Traditionen verpflichtet, doch zugleich scheinen sie neue Entwicklungen wie das E-Book aufgeschlossener und die Veränderungen im Verlagsgeschäft insgesamt nüchterner zu betrachten.

Bei Diogenes ging mit dem Tod des Verlagsgründers Daniel Keel eine Ära zu Ende. Während dessen jüngerer Sohn Philipp Keel in das verwaiste Büro seines Vaters einzog, entschloss sich der engste Vertraute des verstorbenen Verlegers nach fast 20 Jahren in Zürich dazu, etwas Neues zu beginnen: Im vergangenen September wurde Daniel Kampa Nachfolger von Günter Berg bei Hoffmann und Campe.

Beim Antritt machte der gebürtige Luxemburger rasch deutlich, dass er der überbordenden Breite des Programms, das mal Lübbe, mal Hanser ähnelte, wenig abgewinnen kann: "Die Marke Hoffmann und Campe ist zwar nach wie vor sehr stark, aber wir wollen erreichen, dass sie eindeutig für gute und gut lesbare Literatur und für tonangebende Sachbücher steht", sagt Kampa. "Das Konzept des genre­übergreifenden Publikumsverlags ist heute überholt, eine Hardcover-Vorschau mit 40 bis 50 Titeln können Journalisten und Buchhändler nicht mehr verdauen."

Der forschen Ankündigung hat der 43-Jährige, der Ökonomie und Publizistik studiert hat, schon erste Taten folgen lassen und in Rekordzeit einen zweiten Verlag etabliert: Atlantik (siehe auch Seite 34). "Das ist keine Revolution, sondern ein sehr gebräuchliches Konstrukt", beschwichtigt Kampa. Und tatsächlich hat beinah jedes größere Haus dem Kernverlag ein Label mit einem populäreren Programm an die Seite gestellt.

Während somit also im aktuellen Frühjahrsprogramm erstmals Unterhaltungs- und Genretitel bei Atlantik gebündelt sind, soll Hoffmann und Campe entschiedener als "literarischer Qualitätsverlag" positioniert werden. In einem Brief an die Buchhändler hat Kampa den Unterschied zwischen beiden Programmen mit einem Zitat des Malers Ernst Ludwig Kirchner deutlich zu machen versucht: "Wenn ich zeichne, duze ich meine Zeichnungen, wenn ich male, sieze ich meine Gemälde." Hoffmann und Campe, so der neue Verleger, sei "der Verlag zum Siezen, Atlantik jener zum Duzen".

Im kommenden Herbst will Kampa auch den Auftritt von Hoffmann und Campe "revidieren" – die einzelnen Bücher sollen dann eleganter daherkommen. Deutlich wird, dass da einer mit konkreten Vorhaben nach Hamburg gekommen ist. Doch mit großen Ambi­tionen sind auch sämtliche seiner Vorgänger bei Hoffmann und Campe gestartet. Die Pläne allesamt einzulösen, gelang ihnen indes nie ganz. Kampa kann nun beweisen, dass es möglich ist.

Den wohl schwierigsten Job hat zum Jahresanfang Jo Lendle bei Hanser angetreten, als Nachfolger von Michael Krüger. Denn wie kein anderer wird er am Vorgänger gemessen. Der 45-Jährige sagt dazu selbst: "Die Nachfolge zu bewältigen, ist eigentlich unmöglich, dafür ist Michael Krügers Leis­tung bei Weitem zu außergewöhnlich. Aber irgendjemand muss sie bewältigen, diese Einsicht macht es leichter. Und am Ende kann jeder es nur auf die eigene Art tun."

Dabei ist es für den von DuMont kommenden Lendle bezeichnend, dass er, bei aller Wertschätzung für Krüger, seine "eigene Art" früh sehr deutlich macht: "Hanser braucht neue, jüngere Stimmen. Da gibt es durchaus einige, aber weniger als in anderen Häusern. Das ist ein Luxusproblem, gerade weil der Verlag so viele gute Autoren versammelt, war der Hunger nach Neuem weniger stark ausgeprägt. Zwischen den Autorengenera­tionen muss ein Gespräch stattfinden, und dieses Gespräch ist noch nicht ganz ausbalanciert."

Während Krüger gern und häufig gegen das E-Book polemisierte, sagt sein Nachfolger nun: "Die ­ideologische, hochgejazzte Dis­tinktion zwischen Holz- und Elektro­industrie interessiert mich nicht so wahnsinnig. Es ist mir viel wichtiger, die richtigen Bücher und Autoren zu finden. Unter denen wird es solche geben, die ganz im Buch denken, und andere, die neugierig sind, die Möglichkeiten dieser Geräte für ihr Schreiben zu nutzen."

Man muss das nicht unbedingt als Statement gegen den Verleger lesen, der Hanser groß gemacht hat, sondern sollte es vielleicht eher als Ausdruck eines neuen, gelassenen Pragmatismus begreifen, den Lend­le mit den anderen Neuen in den Verlagen teilt, ebenso wie das Bewusstsein, nicht erst jetzt mit Unwägbarkeiten konfrontiert zu sein, sondern gewissermaßen schon immer am Abgrund zu arbeiten: "Ich kann mich nicht an goldene Zeiten erinnern, da alles stabil war und jetzt stehen auf einmal die Hunnen vor der Tür, sondern irgendwie standen sie da immer schon."

Jo Lendles Nachfolgerin bei DuMont, Sabine Cramer, kann einer pessimistischen, ängstlichen Perspektive ähnlich wenig abgewinnen: "Wenn in der Branchenpresse beständig geschrieben wird, wie schlimm es ist, dann hilft das doch niemandem", sagt sie und lacht. Der Klagemodus der Branche ist auch ihr eher fremd: "Es trifft nicht zu, dass Amazon wächst und wächst und wächst. Wir alle profitieren von einer sehr lebendigen Buchhandelslandschaft, und auch im E-Book holen andere Anbieter merklich auf. Wenn ich mir ständig Sorgen machen würde, dann hätte ich die­se Aufgabe nicht übernommen."

Cramer, die bei Lübbe und Piper und zuletzt als freie Lektorin gearbeitet hat, ist womöglich der entspannteste Blick auf den neuen Job gegeben, was auch daher rührt, dass sie weder einen zusätzlichen Verlag etablieren will noch einer Verlegerlegende nachfolgt: "Man fängt natürlich noch mal an, ganz von vorn zu denken. Aber ich habe diese Aufgabe nicht übernommen, um in zehn Jahren festzustellen, was ich alles geschafft habe und mir Erfolge an die Brust zu pinnen. Es geht darum, diesen Verlag zu führen und weiterhin erfolgreich zu machen."

Das Profil von DuMont will sie nicht grundlegend verändern, jedoch "populärere Titel reinmischen" – vor allem im Taschenbuch. Die strikte Trennung von E und U sei ohnehin längst überholt: "Es gibt viele Titel, die weder eindeutig der Literatur noch eindeutig der Unterhaltung zuzuordnen sind und eine ganz breite Leserschaft haben."

Frappierend bleibt, wie zurückhaltend und zugleich selbst­bewusst die Frau, die gerade vom Segeln in der Karibik zurück ist, ihren Job beschreibt: "Unsere tägliche Arbeit in den Verlagen ist doch sehr pragmatisch, wir fällen viele kleine Entscheidungen. Es ist nicht so, dass ich mir jeden Tag acht Stunden lang strategische Gedanken mache, das passiert eher unterschwellig." Da erscheint es kaum überraschend, dass für Cramer bei allen Veränderungen vor allem die Kontinuitäten im Verlagsgeschäft zählen: "Es geht immer noch vor allem darum, gute Bücher und ­Autoren zu finden."

Die E-Book-Bilanz 2013 und welche literarischen Blockbuster und Debüts in diesem Frühling in den Buchhandel kommen, lesen Sie im Börsenblatt-Spezial Belletristik, das am heutigen Donnerstag erscheint.