In der vergangenen Woche hatte Vintage Books gleich zwei gute Nachrichten zu vermelden. Das Imprint von PinguinRandomhouse teilte mit, die Shades-Of-Grey-Trilogie habe sich inzwischen mehr als 100 Millionen mal verkauft. Außerdem befinden sich die BDSM-Romane seit mehr als 100 Wochen in der New-York-Times-Bestsellerliste. Sie gehören damit zu den meistverkauften Büchern aller Zeiten, in der jüngeren Vergangenheit steht E. L. James' Geschichte in einer illustren Reihe mit Harry Potter, der Panem-Trilogie und der Twilight-Serie.
Insbesondere auch in digitaler Form verkauften sich die Shades-Of-Grey-Romane hervorragend, sie gelten neben Dan Browns "The Lost Symbol" als erste weltweite E-Book-Megaseller. Ein wesentlicher Grund dürfte sein, dass die Romane für die meisten Leserinnen und Leser eher kein repräsentatives Ausstellungsstück für die eigene Regalwand sind und lieber "anonym" auf dem eigenen elektronischen Lesegerät oder Tablet geschmökert werden. Eine gewisse Scham liest häufig ganz offenbar mit, wenn es sexuell explizit zu Sache geht.
Erotische Geschichten gut versteckt in Online Stores
Erotische Romane machen in vielen großen eBook Stores zweifellos einen wesentlichen Teil des Umsatzes aus. So gibt es in den Top 15 der aktuellen Kindle Charts drei Titel, in deren Beschreibungstext die Indie-Autorinnen (es sind praktisch ausnahmslos verlagsunabhängig publizierende Frauen) vor erotischen Szenen "warnen". Dabei kickte Amazon vor einem halben Jahr etliche Erotik-Titel aus seinen Kindle Charts und sortierte sie in eine versteckte eigene Bestsellerliste ein. Ein wesentlicher Auslöser dafür dürfte der dritte Teil von Sylvia Days Crossfire-Reihe gewesen sein, der zum Zeitpunkt des Outlistings die Kindle Charts anführte.
Amazon ist das Geschäft mit der Lust peinlich, zumindest will man die vermeintlich keusche Kundschaft auf Literatursuche nicht mit prominent platzierten Sextiteln verschrecken. Eine kürzlich von uns durchgeführte Analyse ergab, dass der weltgrößte Online-Händler damit nicht allein ist. So sind bei Sony erotische Geschichten generell als "Gegenwartsliteratur" gekennzeichnet, eine eigene Erotik-Rubrik gibt es nicht. Bei Thalia werden 3.700 Erotiktitel in eine Unterkategorie gepfercht, was dem äußerst ausdifferenzierten Genre in keiner Weise gerecht wird. Besser macht es da schon ebook.de, die zumindest Rubriken wie "Fetisch & SM" und "Schwul & Lesbisch" vorhalten.
Der Standpunkt von Weltbild (beziehungsweise seiner kirchlichen Gesellschafter) ist bekannt. Es ist sicherlich zu weit hergeholt, die Insolvenz als Folge der weitgehenden Ausklammerung erotischer Geschichten zu werten, einen negativen wirtschaftlichen Effekt hatte sie aber mit Sicherheit. Gerade im Digital-Geschäft dürfte die Prüderie auch indirekten Schaden verursacht haben: Wer erotische Geschichten liest, kauft einen Tolino Shine vernünftigerweise bei einem Händler, wo er "seine" Inhalte dann auch über den integrierten eBook Store bekommt.
Wenig wirtschaftliche Denke auch bei Verlagen
Auch im Digital-Publishing-Bereich machen viele Anbieter einen weiten Bogen um vermeintlich profane erotische Geschichten. Abgesehen von dotbooks, die einen gewichtigen Teil ihres Umsatzes mit Titeln wie "Opfer der Lust" und "Sexy Secretaries: Gefällt dir, was du siehst?" machen dürften, und reinen Erotik-Verlagen sind anregende Titel in Verlagsprogrammen dünn gesäht. Gerade eBook-Only-Verlage, die sich eigentlich Progressivität auf die Fahnen geschrieben haben, publizieren lieber das zehnte Essay zur arabischen Revolution als einen jener erotischen Liebesromane, die ganz offensichtlich extrem stark nachgefragt werden – und beklagen sich dann über schwierige wirtschaftliche Rahmenbedingungen ihrer Arbeit.
Folgerichtig tummeln sich auf den vorderen Plätzen der einschlägigen Erotik Charts vorwiegend Indie-Autorinnen, die mit ihren in schneller Taktzahl publizierten niedrigpreisigen eBooks ein großes Publikum bedienen. Das ist eine beachtliche publizistische Leistung, deren wirtschaftliche Seite die Autorinnen mit Sicherheit über ihre Nicht-Beachtung im hochkulturellen Betrieb hinwegtröstet.