Didacta 2014

Der Kern der Bildung und seine (digitalen) Hüllen

28. März 2014
Redaktion Börsenblatt
Die digitalen Bildungsmedien erzielten auch bei der diesjährigen Bildungsmesse in Stuttgart hohe Aufmerksamkeitsquoten. Die Rolle internationaler Software- und Computerhersteller wird stärker, gleichzeitig nimmt die Bereitschaft der Schulbuchverlage zu, offene und vernetzte Lernsysteme in Partnerschaft mit Start-ups und Technologieanbietern zu entwickeln. Von der Digitalisierung einmal abgesehen, wurde aber in vielen Gesprächen und auf Podien um das Thema gerungen, was der Messe ihren Namen gibt und auch den Kern der Verlagsarbeit ausmacht: Bildung und Didaktik.
Mit der Digitalisierung unserer Lebenswelt und der zunehmenden Vernetzung steigt auch der Druck auf die Zone, in der klassische Printmedien nach wie vor (und immer auch mit guten Gründen) dominieren: die Schule. Diese Einsicht hat sich auch bei Bildungsforschern und Politikern durchgesetzt, wie man etwa den Statements zur Verleihung des Bildungsmedienpreises digita auf der Didacta entnehmen kann. Dort hoben Wassilios Fthenakis, der Präsident des Didacta Verbands, und Marion v. Wartenberg, Staatssekretärin im baden-württembergischen Kultusministerium, die Notwendigkeit hervor, Kindern in einer Welt, die auch in Alltag und Beruf von digitalen Medien geprägt sei, frühzeitig "Medienkompetenz" zu vermitteln. Die Landesregierung, so v. Wartenberg, wolle in den neuen Bildungsplänen "die Medienbildung noch stärker als bisher verpflichtend im Unterricht verankern".

Ein Großtrend, der auf der Messe sichtbar wurde: Die Computer- und Softwarehersteller, die die Ausstattung und Vernetzung mit digitalen Geräten, Programmen und Cloud Services vorantreiben, haben ihr Engagement im Bildungsbereich weiter verstärkt – nicht nur als Lieferanten von Unterrichtshardware, sondern auch als "Partner" und "Förderer", die die digitale Entwicklung befeuern:

  • Der Prozessorhersteller Intel ist einer der Träger des Bildungsmedienpreises digita.
  • Der Softwareriese Microsoft ist Technologiepartner des neuen Lernsystems scook, für das er seine Office-365-Programme als Werkzeuge in Lehr- und Lernprozessen zur Verfügung stellt.
  • Samsung trat in Stuttgart im großen Rahmen als Förderer der Inititiative "Digitale Bildung neu denken" auf,
  • Apple als Technologiepartner des Tablet-Lernprojekts SchoolTab, das gemeisam mit Madsack Media Store realisiert wurde.

Die Beispiele machen deutlich, wie stark die Technologieanbieter bereits in den Bildungsbereich vorgedrungen sind. Für die Schulbuchverlage (oder künftig: Bildungsmedienanbieter) bedeutet dies: Sie müssen Partnerschaften suchen, in denen sie ihre Kernkompetenz, nämlich strukturierte, qualitätsgeprüfte und systematisch platzierte Bildungsinhalte zu schaffen, bewahren können. Noch ist die Konkurrenz der Anbieter von OER nicht so bedeutend, dass große Player wie Google und Apple mit Know-how aus offenen Ressourcen eigene Contentangebote aufbauen könnten – ohne Verlage.

Damit ein solches Self- oder Fremdpublishing-Szenario nicht eintritt, ist Eile geboten. Das von den Cornelsen Schulverlagen entwickelte Lehr- und Lernsystem scook, dessen großflächige, durchgestylte Messepräsentation auch gut auf die Cebit gepasst hätte, ist ein wichtiger Schritt nach vorn – wegen seiner Offenheit für die Inhalte Dritter und der Möglichkeit des flexiblen Einsatzes (Wahlfreiheit des Lehrers, unabhängig von Schulkollegiumsbeschlüssen). Das Projekt, für das der Verlag einen Eurobetrag im mittleren siebenstelligen Bereich in die Hand genommen hat, hatte laut Cornelsen bisher eine sehr gute Resonanz. Kritik wurde gelegentlich auf der Messe geäußert – etwa im Hinblick auf die Nutzerfreundlichkeit der scook-Oberfläche auf Tablets und angesichts des Preismodells (kostenlose Nutzung der Online-Tools bei Kauf des Schulbuchs), das die Kostenlos-Mentalität der Nutzer befördere und damit Paid-Content-Ansätze schwäche. Cornelsen selbst sieht hingegen in der Kombination von Printkauf und (freier) Online-Nutzung seinen "Wettbewerbsvorteil".

Es ist eine Frage der Zeit, bis Klett und die Westermann-Gruppe ihre digitalen Schulbuchmaterialien systematisch so ausbauen, dass ähnliche Lernsysteme wie scook am Ende dabei herauskommen. Klett fehlt im Grunde nicht mehr viel: Bereits im dritten Jahr gibt es den Digitalen Unterrichtsassistenten, der jetzt durch die neuen Lernplattformkurse ergänzt wurde. Und die Westermann-Gruppe hat inzwischen eine Reihe von digitalen "Rundum …"-Materialien zu ihren Lehrwerken im Angebot, die prinzipiell ausbaufähig sind. Abzuwarten bleibt, inwieweit der neue alleinverantwortliche Geschäftsführer der Westermann-Gruppe, Ralf Halfbrodt, dem Unternehmen einen neuen digitalen Schub gibt. Als Geschäftsführer des "Göttinger Tagblatts" dürfte ihm jedenfalls der Madsack Media Store nicht unbekannt gewesen sein, der auch eine Niederlassung in Göttingen hat. Der Media Store hat (siehe oben) gemeinsam mit Apple das iPad-Programm SchoolTab entwickelt, "um den medienpädagogischen Vorteil von Tablet-Computern in der Schule zu fördern", wie es auf der Homepage heißt.

Ein weiterer sichtbarer Trend auf der disjährigen Didacta ist die Offenheit vieler Systeme oder Angebote, so auch bei scook, das Inhalte anderer Partner einbindet, etwa dem von Carsten Maschmeyer finanzierten Start-Up Papagei.com, das seinerseits wiederum die Wörterbuch-Abfrage von Pons in seine Sprachlernvideos integriert hat. Oder bei dem neuen Schülerwörterbuch Online (schuelerwoerterbuch.de) von Pons, das zunächst Klett-Inhalte übernimmt, aber prinzipiell offen ist für Inhalte anderer Verlage, z.B. Cornelsen.

Nicht über Digitalisierung, sondern von Didaktik und von dem, was Bildung im Kern ausmacht, wurde bei einem abendlichen Empfang mit zwei renommierten Bildungsexperten gesprochen, zu dem Klett-Vorstandssprecher Philipp Haußmann eingeladen hatte. Michael Fritz, der heute Vorstandsvorsitzender der Stiftung „Haus der kleinen Forscher“ in Berlin ist und das Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen der Universität Ulm (ZNL) von 2004 bis 2013 als Geschäftsführer geleitet hat, sprach in einem ersten Impulsvortrag am Beispiel anschaulicher Schlüsselsituationen über die Balance zwischen Struktur und Freiheit in der Erziehung. Kinder bräuchten Führung, bis sie selbst die Fähigkeiten zur Selbststeuerung erworben hätten. Dies sei das Ziel von Bildung (und eben nicht eine Form der Gängelung, die Eigenständigkeit verhindert).

Dass es nicht darauf ankommt, Schülern Unmengen an Wissensstoff einzutrichtern, sondern ihnen Selbstlernkompetenz zu vermitteln, ist der didaktische Ansatz von Andreas Müller, dem Gründer und Leiter des Internats Beatenberg in der Nähe der schweizerischen Hauptstadt Bern. Lernen sei vor allem ein Prozess, in dem Schüler verschiedene Kompetenzstufen erklimmen sollen, so Müller: zunächst die notwendige Fachkompetenz, dann die Lernkompetenz, die ihnen das bewusste Verarbeiten von Wissen vermittelt („Verarbeitungstiefe“ statt „Anhäufung von Wissen“), und schließlich die Selbstkompetenz, die die Schüler in den Stand versetzt, ihr eigenes „Lernzentrum“ zu werden. Das nennen Bildungsforscher dann „Autagogik“ (von griechisch autos = selbst), die Müller auf die griffige „E-hoch-3-Formel“ brachte: Erfolg, Eingebundenheit und Eigenständigkeit.