„Bikinihaus“ nannten die um Spitznamen nie verlegenen Berliner das in den 50er Jahren für das neue Zentrum am Zoo errichtete Gebäude des Architekten Paul Schwebes. Der Name entstand, weil ein offenes Geschoss die oberen und unteren Stockwerke trennte, das Gebäude sozusagen „bauchfrei“ war. Anfangs trafen sich hier die Westberliner Bohème und Modeszene, später zogen chinesische und jugoslawische Restaurants ein, nach dem Mauerfall dämmerte der Komplex vor sich hin, eher arm als sexy. Nach dreijähriger Umbauzeit wurde das Bikini Berlin Anfang April wiedereröffnet; der Eigentümer, die Bayerische Hausbau (eben jener Immobilien-Entwickler, der auch den Hugendubel-Sitz am Münchner Marienplatz, Deutschlands erstes Buchkaufhaus, umbauen und an die Telekom vermieten will), möchte hier mit einer „Concept Mall“ im Herzen der Berliner City West „Shopping, Freizeit und Arbeit“ neu erfinden. Die Gegend brummt, um die Ecke sind Apple Store, Haus Cumberland und KaDeWe. Die Medien berichten begeistert vom weißen „Kreuzfahrtschiff“ (Die Welt), das zwischen Zoo und Gedächtniskirche vor Anker gegangen ist, rund 20.000 Menschen sollen das „Bikini Berlin“ in den ersten Wochen pro Tag besucht haben. Touristen aus aller Welt ebenso wie neugierige Icke-Berliner aus Spandau.
Auf der Dachterrasse, von der man bei Kaffee und Coctails direkt auf den Zoo samt Affenfelsen blicken kann, hat nun auch der Gestalten Verlag mit dem Gestalten Pavilion einen neuen Concept Store eröffnet. Der Name ist englisch, das Sortiment international: Auf 530 Quadratmeter bieten die Berliner Bücher, vor allem aber Designobjekte und edles Handwerk an – von Wohnaccessoires und Schmuck bis zu Kulinaria oder Kinderspielzeug. Objekt, Konzept und Lage haben Verleger Robert Klanten sofort überzeugt: Kein „Ankermieter“, der alles mit seinen Logos zupflastert, soll Aufmerksamkeit generieren, sondern das Zusammenspiel von Architektur, Umgebung und ganz unterschiedlichen Geschäften. So ist etwa seit dem Gallery-Weekend ein Pop-Up-Showroom des Hatje Cantz Verlags im Bikini eingezogen. Ein „demokratischer Ansatz“, freut sich Klanten. „Was wir hier machen, ist eigentlich eine Erweiterung des Buchs in den Raum hinein.“ Die Idee: Der Gestalten-Pavilion will die Design- und Produktwelten, auf die der Verlag im Zuge weltweiter Recherchen stößt, nicht nur zwischen Buchdeckel bringen – sondern sinnlich erfahrbar machen. Der Verleger wird zum Kurator 1000 schöner Dinge, die man vielleicht nicht unbedingt braucht – aber trotzdem sofort haben will.
Eine „gewachsene Geschichte“, die aus diversen Aktivitäten des Verlags resultiert: Bereits im Weihnachtsgeschäft 2008 eröffnete der Verlag in der Berliner Mulackstraße über drei Monate einen temporären Laden; drei Jahre darauf ging der Gestalten Space in den Sophie-Gips-Höfen in Mitte an den Start. So wie Klanten in digitalen Zeiten auf die stofflichen Qualitäten des gedruckten Buchs setzt, sieht er ein wachsendes Bedürfnis nach Einkaufs- und Produkt-Welten, die sich bewusst vom Massenmarkt absetzen, nicht per Mausklick verfügbar sind. Shopping gewissermaßen als kulturelle Weiterbildungs-Veranstaltung und Distinktions-Spielwiese: Hier profitiert der Verlag von seinen Netzwerken - und seinem Ruf als stilsicherer Trend-Scout. Dass die Zusammenarbeit mit so genannten „Non Traditional Outlets“ und deren Spezialsortimenten auch volatile Buchumsätze kompensieren kann, ist ein willkommener Nebeneffekt. Vom austauschbaren Non-Book-Sortiment, das dem ächzenden Buchhandel gern als Heilsbringer empfohlen wird, ist man im Gestalten-Pavilion allerdings weit entfernt. Bei der Auswahl der Produkte verlässt man sich auf dasselbe Gespür, das den Verlag auch bei seinen Büchern leitet.
Im Laden sind die ausgestellten Objekte in Themenwelten inszeniert; die Mischung reicht von exklusiven Markenkooperationen (etwa mit dem von Tyler Brûlé gegründeten Lifestyle-Magazin „Monocle“) bis zu wechselnden „Show Cases“. „Die Produkte lenken Interesse auf die Bücher – und umgekehrt“, erklärt Store Manager Jörn Vater. Wer sich im Gestalten-Buch über Fahrradkultur- und Design („Velo“) festliest, kann das daneben stehende Zweirad oder den stylishen Fahrradhelm gleich miterwerben; das Buch „The Outsiders“, das Unternehmen und Produkte aus dem Outdoor-Bereich vorstellt, ist von schicken Accessoires fürs Leben in der Wildnis flankiert. Neben Gestalten-Titeln stehen im „Pavilion“ auch Bücher anderer Verlage, etwa von Ammo Books (USA) oder Penguin. Als kleiner Außenposten des Pavilion fungiert der Gestalten Kiosk in der Lobby des benachbarten, von Werner Aisslinger gestalteten 25hours-Hotels: Für die Kette, die auch an anderen Standorten mit Verlagen zusammenarbeitet (in Hamburg etwa mit Mare), ist das kleine Sortiment aus Reise-Produkten und Büchern eine ideale Ergänzung.
„Wir sind uns sicher, dass wir die Latte mit dem ‚Pavilion’ relativ hoch aufgelegt haben“, erklärt Klanten selbstbewusst. Den Gestalten Space wird es weiterhin geben: „Was das Zielpublikum angeht, gibt es zwischen dem alten Ost- und Westberlin relativ wenig Überschneidungen, wir graben uns also kein Potenzial ab.“ Zudem sei der ‚Space’ nicht in erster Linie als Retail-Fläche, sondern als Kommunikations-Plattform konzipiert – mit Vorträgen, Präsentationen, Ausstellungen und Workshops verschiedener Akteure der Design-Szene. Ist, was die Gestalten nun im Herzen des alten West-Berlin recht beeindruckend an die Rampe geschoben haben, auch exportfähig? Vier Wochen nach dem Start will sich Klanten da nicht festlegen. „Das Thema funktioniert nicht in jeder Kleinstadt. Wir sind auf ein neugieriges, kaufkräftiges Publikum angewiesen, auf einen gesunden Mix aus Einheimischen und Touristen.“ Wird der Hype um die neu wach geküsste City West auch mittel- und langfristig tragen? Eins ist für Verleger Robert Klanten immerhin jetzt schon klar: „Die Kommunikation über das gedruckte Buch hinaus zu bedienen, das macht uns Riesen-Spaß.“
Gestalten Pavilion im Bikini Berlin (Rundgang in der Bildergalerie)
Budapester Straße 38-50
10787 Berlin