Sie haben kürzlich auf der Tagung der Herstellungsleiter über Compliance referiert. Ein sprödes Thema in der geselligen Atmosphäre von Kloster Irsee?
Lassen Sie mich mit einem hübschen Zitat aus einem kürzlich erschienen Fachbuch antworten: "Insbesondere Seminarveranstaltungen und Verbandstreffen, bei denen typischerweise Mitarbeiter von konkurrierenden Unternehmen aufeinandertreffen und sich austauschen, stellen eine Kartellrechtsfalle der besonderen Art dar, da dort häufig ein ungezwungener und teilweise argloser Austausch über das Geschäft erfolgt." Man will natürlich nichts Böses, wenn man beim Klosterbräu plaudert. Aber es kann schneller kribbelig werden als man denkt.
Der Begriff Compliance ist mittlerweile in aller Munde, aber kaum jemand weiß, was man darunter versteht.
Compliance bedeutet das systematische Sicherstellen der Einhaltung der für ein Unternehmen maßgeblichen in- und ausländischen Gesetze, die bußgeld- oder strafbewehrt sind bzw. zivilrechtliche Haftung nach sich ziehen, sowie der in diesem Kontext aufgestellten unternehmensinternen Richtlinien. Aus dem Englischen übersetzt bedeutet Compliance "Befolgung", "Einhaltung" oder "Regelkonformität". Der Begriff kommt übrigens ursprünglich aus der Medizin und bezeichnet dort das Einhalten einer verordneten Medikation oder Therapie durch den Patienten.
Dass man Gesetze einhalten muss, versteht sich doch von selbst. Ist Compliance nur ein neuer Begriff für Selbstverständlichkeiten?
Das Bild des alten Weins in neuen Schläuchen wird gerne bemüht, stimmt aber in der Sache nicht. Natürlich hat sich nichts daran geändert, dass man sich an Normen halten muss. Stark verändert hat sich aber das Bewusstsein in den Unternehmen, weil das Haftungsrisiko für Unternehmensverantwortliche und Organe in den vergangenen Jahren erheblich gestiegen ist.
Wie kam es zu dieser Entwicklung?
Beginnend ab Ende der 1990er Jahre sind sukzessiv mehrere neue Gesetze in Kraft getreten, die eine bessere Kontrolle und Transparenz von und in Unternehmen sicherstellen. Hinzu kamen einige öffentlichkeitswirksame Gerichtsprozesse und Verurteilungen, die sowohl die Gefahr einer zivilrechtlichen als auch einer strafrechtlichen Haftung von Managern bekannt gemacht haben. Und schließlich schreiben in bestimmten Wirtschaftszweigen Gesetze mittlerweile ein Compliance- bzw. Risikomanagement vor.
Brauchen auch Verlage ein Compliance-Management?
Im Prinzip ja. Die Anforderungen an ein Compliance-Management variieren aber je nach Rechtsform, Größe und Exposition des Unternehmens. Eine Aktiengesellschaft hat schon von Gesetzes wegen ein Überwachungssystem einzurichten, um Risiken für den Fortbestand des Unternehmens frühzeitig zu erkennen. Eine solche Verpflichtung trifft eine Personenhandelsgesellschaft formal nicht. Das Risiko, dass Unternehmen oder Mitarbeiter aufgrund von Compliance-Verstößen zivil- oder strafrechtlich belangt werden, besteht aber unabhängig von der Rechtsform. Insofern ist ein Management der rechtlichen Risiken heute in jedem Verlagsunternehmen angezeigt – unabhängig von der Rechtsform. Ich wage die Prognose, dass in zehn Jahren jedes Unternehmen einen Verantwortlichen für das Thema Compliance hat.
Gilt das denn auch für kleinere und Kleinstverlage, die das Gros der Branche ausmachen? Die verfügen ja häufig nicht mal über eine eigene Rechtsabteilung ...
In einem Haus mit drei Mitarbeitern eine Compliance-Organisation aufzuziehen, wäre sicher maßlos übertrieben. Wenn der Geschäftsführer dafür sorgt, dass die rechtlichen Verpflichtungen in seinem Unternehmen erfüllt werden und die Mitarbeiter über rechtliche Risiken aufgeklärt werden, ist das bereits Compliance. Dazu kann auch das kluge Delegieren von Aufgaben an einen externen Rechtsanwalt oder Steuerberater gehören. Häufig überschätzen sich Leiter von Unternehmen jedoch – und sie unterschätzen die rechtlichen Gefahren für ihr Unternehmen. Die lauern auf ganz verschiedenen Ebenen: Nicht nur im Ordnungswidrigkeiten- und Strafrecht, sondern auch im Wege des Schadenersatzes vor Zivilgerichten. Insgesamt können unter Umständen existenzbedrohende Geldforderungen auf Unternehmen zukommen. Wichtig ist, dass auch in einem kleinen Verlag die Mitarbeiter über rechtliche Risiken informiert werden. Kann das im Fall eines Verstoßes nicht nachgewiesen werden, hilft es nichts, zu beteuern: Wir sind doch ganz klein!
In welchen Bereichen gibt es erfahrungsgemäß die meisten Compliance-Probleme?
Der "Klassiker" ist die Korruption. Wenn sich in den Abteilungen Einkauf und Vertrieb zu Weihnachten teure Geschenke von Geschäftspartnern stapeln, wenn der Abteilungsleiter mit Frau zu einer Tagung mit anschließender Hüttengaudi eingeladen wird oder man als Schulbuchverlag die zuständigen Schuldezernenten zu einem festlichen Essen einlädt, um für die bevorstehende Entscheidung über die Einführung von Schulbüchern gute Stimmung zu machen, müssen zumindest mal die Alarmglocken läuten.
Welche Abteilungen sind typischerweise gefährdet?
Exponiert sind vor allem solche Abteilungen, die mit Beschaffungs- oder Vertriebsvorgängen betraut sind. Darüber hinaus sind aber auch insbesondere diejenigen über Korruptionsrisiken aufzuklären, die häufig Kundenkontakt haben und regelmäßig geschäftliche Einladungen aussprechen oder annehmen müssen.
In welchen Gebieten sollten Verlage noch aufpassen?
Es kann an diversen Stellen etwas hochploppen, die Aufzählung würde den Rahmen sprengen. Originär verlagsrechtliche Risiken bestehen im Bereich des Vertrags- und Rechtemanagements bei Verlagsverträgen. Hier ist auf wirksame Verträge und saubere Dokumentation der Rechte und Rechteinhaber zu achten. Hilfreich ist ein zentrales Rechtemanagement, bei dem Urheber-, Verlags-, Bild- und Lizenzrechte sauber dokumentiert sind – auch zum eigenen Schutz. Besondere Regelungen gelten im Bereich Presse – etwa in Bezug auf die journalistische Sorgfaltspflicht oder die Einhaltung des Pressekodex. Wie erwähnt, spielen auch Kartell- und Wettbewerbsrecht eine wichtige Rolle, weil hier die drohenden Sanktionen enorm sind.
Oft arbeiten Verlage mit freien Mitarbeitern – hier dürften arbeitsrechtliche Fallstricke lauern?
Ja, denken Sie nur an Schwarzarbeit und Abführung von Sozialabgaben. Beschäftigt etwa ein Verlag eine Reihe von "freien Mitarbeitern", die aber fast ausschließlich fürs eigene Haus arbeiten, liegt die Annahme einer Scheinselbständigkeit nahe. Hinsichtlich des Arbeitsschutzes ist das Sicherstellen der gesetzlichen Vorgaben für jedes Unternehmen ohnehin Pflicht. Interessant ist, dass eine gerade veröffentlichte Umfrage der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zum Ergebnis kommt, dass 52 Prozent der Geschäftsführer kleinerer Betriebe keine einzige Regelung aus der betrieblichen Praxis des Arbeitsschutzes kennen.
Es gibt also noch viel Aufklärungsbedarf. Wie sollte ein Verlag denn mit Compliance anfangen?
Grundvoraussetzung ist das glaubwürdige und nachhaltige Bekenntnis der Unternehmensleitung zu sauberen Geschäften und zur Einhaltung rechtlicher Regeln, im Fachjargon der "Tone from the Top". Mit dem Vorbild der Unternehmensleitung kann und muss sich dann eine Compliance-Kultur im Unternehmen entwickeln. Kern jeder sinnvollen Befassung mit Compliance ist die individuelle Risiko-Analyse im Unternehmen: In welchen Bereichen kann es zu Rechtsverletzungen, Richtlinienverstößen oder auch Verletzungen von Selbstverpflichtungen kommen? Damit steht und fällt alles – ein "one fits all" funktioniert hier nicht.
Einen Verhaltens-Kodex auf Hochglanzpapier drucken und an die Mitarbeiter verteilen reicht wahrscheinlich nicht?
Mit dem einmaligen Aufstellen von Richtlinien ist es nicht getan. Compliance muss gelebt werden! Wichtig sind daher regelmäßige Schulungen für die in Frage kommenden Mitarbeiter. Gute Kommunikation hilft, Compliance nachhaltig im Bewusstsein zu halten. Sie hilft übrigens auch, wenn das Kind einmal in den Brunnen gefallen ist. Auch für diesen Fall sollte man bereits einen Plan in der Schublade haben.
Compliance ist also alles andere als eine hübsche Nebensache, mit der man das eigene Image pflegt?
Es geht um ganz Handfestes. Jeder Verlag sollte sich überlegen: Was ist mein größtes Asset? In den meisten Fällen wird das die Reputation sein – jenes kostbare Gut, dass man, frei nach Warren Buffett, in 20 Jahren aufbauen und in fünf Minuten verspielen kann.
Interview: Nils Kahlefendt
Zur Person
Rechtsanwalt Dr. Klaus Winkler (41) arbeitete nach seiner juristischen Ausbildung in Passau, Mailand, München und Brüssel zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter an einem Strafrechtslehrstuhl der Universität Passau. Nach strafrechtlicher Promotion und Anwaltstätigkeit in einer großen Wirtschaftsrechtskanzlei folgte 2005 der Eintritt in den Verlag C.H.Beck als Lektoratsleiter mit Zuständigkeit unter anderem für den Programmbereich Compliance. 2006 wurde er zum Prokuristen des Verlags bestellt. Neben seiner Verlagstätigkeit ist er seit 2006 auch Lehrbeauftragter für Straf- und Wirtschaftsstrafrecht an der Universität Augsburg.
Literaturtipps (in Auswahl)
Klaus Moosmayer: Compliance. Praxisleitfaden für Unternehmen (2. Auflage). C. H. Beck, 136 Seiten, 34,90 Euro.
Peter Fissenewert (Hrsg.): Compliance für den Mittelstand. C. H. Beck, 245 Seiten, 59 Euro.
Stefan Behringer (Hrsg.): Compliance kompakt. Best-Practice im Compliance-Management. Erich Schmidt Verlag, 410 Seiten, 49,95 Euro.