Die ersten 100 Jahre der Philosophischen Bibliothek

Philosophie in Grün

1. Juli 2014
Nils Kahlefendt
Die im Hamburger Meiner Verlag herausgegebene Philosophische Bibliothek wirkt weltweit. Eine Ausstellung in der Leipziger Universitätsbibliothek gibt Einblicke in die ersten 100 Jahre der Reihe.
"Die Philosophie gleicht einem Tempel mit hundert Eingängen", schrieb Julius Hermann von Kirchmann 1877. Um die Werke großer Denker in preiswerten Ausgaben einer breiten Leserschaft zugänglich zu machen, gründete der streitbare Jurist und Politiker 1868 die Philosophische Bibliothek; bis zu seinem Tod 1884 besorgte er als alleiniger Herausgeber mehr als 60 Ausgaben. 1911 erwarb Felix Meiner die Philosophische Bibliothek als "Grundstock" seines Leipziger Verlags. Und hat damit zu einer wirkmächtigen Synästhesie beigetragen: Heute zählt die Reihe, deren grüne Bände von Studierenden rund um den Globus geschätzt werden, fast 500 Nummern.

 

 

Grund genug für die Leipziger Universitätsbibliothek, die ersten 100 Jahre der Philosophischen Bibliothek in einer Ausstellung zu präsentieren. "Philosophie in Grün" heißt die Schau. "Wir wollen in erster Linie die Anstrengungen großer Köpfe um die Vermittlung von Philosophier zeigen", sagt Bibliotheksdirektor Ulrich Johannes Schneider, der die Ausstellung zusammen mit Falk Haman (Philosophie) und Stephanie Müller (Buchgeschichte) von der Uni Leipzig erarbeitet hat – auch Schneider selbst ist ein Herausgeber der grünen Mammut-Bibliothek; seine zweisprachige Ausgabe von Leibnitz’ metaphysischen Schriften erschien gerade in zweiter Auflage.

Wesentlich bereichert wird die Ausstellung durch Dokumente aus dem Archiv des Meiner Verlags, das 2011 von der Universitätsbibliothek Leipzig übernommen wurde und vor allem die Phase von 1943 bis 1968 belegt. So fokussiert "Philosophie in Grün" nicht nur wichtige Autoren von Aristoteles bis Franz Brentano sowie wichtige Herausgeber – sondern beleuchtet exemplarisch ein noch zu schreibendes Stück deutsch-deutscher Verlagsgeschichte.

Beim verheerenden Bombenangriff in der Nacht vom 3. auf den 4. Dezember 1943 wurde der Verlag fast komplett zerstört; Felix Meiner, der bei Null anfangen musste, wollte den Verlag nach Kriegsende zwar in Leipzig halten, politische und wirtschaftliche Gründe zwangen ihn jedoch 1951 schließlich zur Flucht nach Hamburg, wo es zur Neugründung kam. Wie bedrückend die Situation in Leipzig zum Schluss gewesen sein muss, zeigt etwa das Protokoll einer Hausdurchsuchung durch die Kriminalpolizei in der Wohnung des Verlegers. Interessante Streiflichter fallen auch auf ein juristisches Scharmützel mit dem Ost-Berliner Akademieverlag und das Ringen um das Projekt des Ausbaus der Philosophischen Bibliothek zur zweisprachigen Studienausgabe. Ein Ringen, das von Erfolg gekrönt wurde: Seit den 50er Jahren setzt die Reihe neue Qualitätsstandards bei Editionen für den Uni-Betrieb.

Obwohl die Ausstellung überwiegend "Flachware" zeigt, gelingt ihr ein konzentrierter und sehr lebendiger Zugriff auf einen komplexen kulturhistorischen Gegenstand. Natürlich gibt es Erstausgaben hinter Vitrinenglas zu sehen; ihre Anschaulichkeit gewinnt die Exposition jedoch vor allem durch Leuchtkästen, in denen faksimilierte Dokumente ganz nah an den Besucher heranrücken. Überraschende Visualisierungen wie die überdimensionale Tagcloud, die sämtliche Titel und Philosophen-Namen zeigt (unangefochtener Spitzenreiter: Immanuel Kant), machen den Besuch der Schau auch für Nicht-Fachleute lohnenswert. Auf einen Katalog hat man verzichtet – doch wenn Stephanie Müllers Masterarbeit über die frühen Jahre des Meiner Verlags so spannend wird wie die ersten Kostproben in der Ausstellung, sollte sie irgendwann zwischen Buchdeckel kommen.    

 

 

Philosophie in Grün. Die ersten hundert Jahre der Philosophischen Bibliothek (1868-1968)

Bibliotheca Albertina, Beethovenstraße 6, Leipzig, geöffnet bis zum 5. Oktober