Interview mit Peter Schaar

"Die Massenüberwachung ist der eigentliche Skandal"

16. Juli 2015
von Börsenblatt
Nicht nur die Privatsphäre, auch die Demokratie steht bei den Spähaktionen der US-Geheimdienste auf dem Spiel, sagt Peter Schaar. Boersenblatt.net hat mit dem früheren Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit über sein neues Buch gesprochen. Mehr zum Thema lesen Sie im Börsenblatt Spezial Recht, Wirtschaft & Steuern (30 /2014).

Die US-Geheimdienste sammeln offensichtlich alle Daten, die sie bekommen können. Was wollen sie mit diesen riesigen Datenmengen – geht es hier noch um die Verhinderung von Terroranschlägen?
Es hat mit Terrorismusbekämpfung nichts mehr zu tun, wenn Agenten in deutschen Ministerien platziert werden, wenn das Handy der Kanzlerin abgehört wird, wenn Ihre und meine Telefondaten erfasst werden und das, was wir in E-Mails versenden. Es geht um Wissen und damit um Macht: für Institutionen, Unternehmen und Staaten – es geht um wirtschaftliche und politische Interessen. 

Meine E-Mails und die vieler anderer dürften für Geheimdienste nicht viel hergeben. Was wollen sie mit unseren Daten?
Es geht nicht um einzelne E-Mails, sondern um das Gesamtgeflecht einer Gesellschaft. Offensichtlich wollen die US-Geheimdienste die totale Überwachung, um verdächtige oder interessante Informationen aus der Datenmenge herausfiltern zu können.

Was bedeutet es in politischer Hinsicht, wenn die Privatsphäre nicht mehr geschützt ist?
Die Demokratie ist gefährdet, wenn Geheimdienste keiner oder nur einer sehr begrenzten demokratischen Kontrolle unterliegen. Meinungen können manipuliert werden. Denken Sie an das Facebook-Experiment, das pikanterweise vom US-Verteidigungsministerium finanziert worden sein soll. Etwa 300.000 User waren betroffen, die nichts davon wussten, dass ihr Newsfeed, also die Nachrichten ihrer Freunde, verändert worden war: Es ging darum, Stimmungen zu erzeugen oder zu verstärken. Totale Kontrolle kann zu Konformitätsdruck führen. Außerdem können abweichende Ansichten und oppositionelle Bewegungen aufgespürt werden. Dass das sehr gut über elektronische Spuren funktioniert, haben autoritäre Regime schon längst herausgefunden.

Wie können wir unsere Daten schützen?
Das geht über Technik, über Verschlüsselung. Dazu ist aber auch der politische Wille erforderlich, den Einsatz solcher Techniken durchzusetzen. Das wird nicht von allein gehen, auch weil wirtschaftliche Interessen dem entgegenstehen: Viele Unternehmen wollen mit unseren Daten Geschäfte machen. Wir müssen uns auch selbst darum bemühen, nicht Datenobjekte, sondern -subjekte zu sein, die Souveränität über unsere elektronischen Spuren zurückzugewinnen: User sollten sich darüber informieren, was Unternehmen mit ihren Daten tun, und sich sehr genau überlegen, wem sie vertrauen.

Was muss auf politischer Ebene passieren?
Ein US-amerikanischer Diplomat wurde ja gerade aufgefordert, Deutschland zu verlassen – das spricht für ein Umdenken der Bundesregierung. Aber die Maßnahmen dürfen sich nicht auf klassische Spionage beschränken. Es geht auch um die Massenüberwachung: Sie ist der eigentliche Skandal. Die Bundesregierung müsste entschieden dafür eintreten, das zu unterbinden. Aber hier ist bisher wenig Aktivität sichtbar.

Datenschutz ist nur bedingt ein nationales Problem. Was müsste international passieren?
Der wichtigste nächste Schritt ist ein starkes europäisches Datenschutzgesetz. Dazu gehört eine kritische Überprüfung der Verhandlungen zur transatlantischen Freihandelszone, weil die Gefahr besteht, dass ein solches Abkommen den europäischen Datenschutz schwächt. Außerdem sollten das Safe Harbor-Abkommen und weitere Vereinbarungen zur Datenübermittlung in die USA ausgesetzt werden: So sollten etwa nicht mehr massenhaft Finanzdaten in die USA gehen, angeblich zur Terrorismusbekämpfung, und auch nicht Flugpassagierdaten. Die politisch Verantwortlichen in den USA müssen endlich verstehen, dass die Menschen außerhalb der Vereinigten Staaten dieselben Grund- und Menschenechte haben wie US-Bürger. Dazu gehört auch der Anspruch, nicht überwacht, registriert und ausspioniert zu werden.

Interview: Sabine Schmidt

 


Bibliografie
Peter Schaar: Überwachung total. Wie wir in Zukunft unsere Daten schützen. Aufbau Verlag, 301 S., 17,99 Euro