Vor ein paar Wochen, noch im Urlaub, hatte ich das Vergnügen, bei einer Lesung im Rahmen des "Europäischen Spaziergangs der Literatur" in der Stoa tou vivliu, der Stoa der Bücher, im Zentrum von Athen dabei zu sein. An verschiedenen Plätzen in dieser weitläufigen Anlage, in deren Mitte eine Druckmaschine Made in USSR aus dem Jahr 1974 mit griechischen Lettern steht, lasen jeweils ein Autor aus England, Frankreich, Spanien, Rumänien, Zypern und Österreich. Der immer noch junge Schriftsteller Xaver Bayer vertrat im Namen Österreichs die deutschsprachige Literatur und las aus seinem neuen Buch, aus dem Maro Mariolea für diesen Anlass etliche Seiten ins Griechische übersetzt hatte. 40 sehr interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer waren zur Mittagszeit ins Stadtzentrum gekommen, wohlgemerkt 40 für jeden Autor, also mehr, als zu einer solchen Zeit zu einem solchen Anlass in unseren Städten zu erwarten gewesen wären.
Nach der zweisprachigen Lesung kamen Fragen an den Autor zu seiner Lebensführung, seinen Vorbildern und seiner Kenntnis griechischer Lyriker auf, die sehr bald in ein lebhaftes Gespräch der Zuhörer untereinander mündeten.
Der Autor konnte durchaus das Gefühl haben, etwas bewirkt zu haben, was auch deswegen interessant war, weil er noch am Vorabend in einer Athener Taverne nach einer ausführlichen Diskussion über die griechische Krise auf die der Literatur gekommen war: Sein Eindruck sei, dass sie an gesellschaftlicher Relevanz stark eingebüßt habe und über ihren Unterhaltungswert hinaus kein Bedürfnis nach ihr mehr existiere. Autoren würden kaum ernst genommen, und über Ernährungsfragen würde begeisterter diskutiert als über Fragen der Ästhetik. Es gelang mir an dem Abend nicht, meinen Enthusiasmus für die Literatur und also für die Autoren auf ihn zu übertragen.
Auf der Rückfahrt hörte ich im Taxi am nächsten Tag zufällig "Eleanor Rigby" von den Beatles und geriet ins Nachdenken. Immer schon war mir die Figur des Father McKenzie, mehr noch als die der armen Mrs. Rigby, als die erschienen, um die es in dem Song geht: der Pfarrer, der, wenn er nicht heimlich seine Socken stopft, an seiner nächsten Predigt schreibt, der wieder niemand zuhören wird.
Dabei wäre ja gerade das der Sinn seiner Arbeit: die Armen, die jedenfalls im Geiste wir alle sind, mit dem Wort zu erreichen, nur wie? How to get all the lonely people? (So jedenfalls habe ich es immer gehört.) Ja, wie? Wie die erreichen, die auf das richtige Wort und auf die richtigen Sätze angewiesen sind?
So kam ich mitten in Athen von den Existenzzweifeln Xaver Bayers über die Beatles zu unser aller Gewerbe: Wie kommt der Autor an sein Publikum, wie die Buchhändlerin zu ihren Kunden, wie die letzten Lesewilligen an das richtige Buch? Vor allem, denke ich, durch ungebrochenen Enthusiasmus für die eigene Sache. So ehrenwert alle Selbstzweifel sind: Er ist, noch vor allen Marketingstrategien, die Grundlage unserer Arbeit, die Voraussetzung dafür, andere für uns und unsere Schätze zu gewinnen. In Athen wie überall.