Interview mit Martin Vogel, Kläger gegen die VG Wort

"Die Gesetzeslage kennt keine Beteiligung der Verleger"

12. Februar 2015
von Börsenblatt
Die Klage des Urheberrechtlers und wissenschaftlichen Autors Martin Vogel gegen die Beteiligung von Verlagen an Geräteabgaben hat die Verleger alarmiert. Sollte sich der Bundesgerichtshof, der gerade eine ähnlich gelagerte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs abwartet, Vogels Argumenten anschließen, könnte dies nicht nur die Ausschüttungspraxis der VG Wort in Frage stellen, sondern auch die Einnahmen der Verlage schmälern. Boersenblatt.net hat Martin Vogel dazu befragt.
Verdient die historisch gewachsene Mittler- und Verwerterposition von Verlagen und die daraus abgeleitete Verteilungspraxis der VG Wort – selbst wenn sie den ausdrücklichen Bestimmungen des nationalen und EU-Rechts entgegenstehen mag − keine Berücksichtigung bei der Verteilung von Geräteabgaben?
Nein. Verwertungsgesellschaften sind Treuhänder und deshalb strikt an den Treuhandgrundsatz gebunden. An der von Ihnen als Mittlerposition bezeichneten Stellung der Verlage in der VG Wort habe ich Zweifel. Die VG Wort ist 1958 von 19 Mitgliedern gegründet worden, also zu einer Zeit, als es noch gar keine gesetzlichen Vergütungsansprüche gab. Von Beginn an bis heute gelten satzungsgemäß die nun gerichtlich in Frage gestellten Verteilungsquoten, verbunden mit der Vorschrift, dass diese Quoten nur mit Zustimmung aller Berufsgruppen geändert werden können. Diese Unabänderlichkeit kann ich nur schwer als historisch gewachsen verstehen. Aus der Sicht der Autoren handelt es sich dabei eher um eine Zwangsjacke.
Wenn sich die genannten Verwertungsgesellschaften bis heute auf die in deren Satzung und dem Verteilungsplan festgelegten Quoten berufen, so wissen sie genau, dass sich die Verteilung nicht nach diesen Statuten richten darf, sondern nur nach dem Wahrnehmungsvertrag zwischen VG und Berechtigtem. Darauf habe ich die VG Wort zehn Jahre lang erfolglos hingewiesen und sie zur Änderung ihrer Verteilungspraxis aufgefordert. Anstatt sich an das geltende Recht insbesondere den Treuhandgrundsatz zu halten, haben die VG Wort und die im Verwaltungsrat sitzenden Funktionäre der Urheber- und Verlegerverbände es vorgezogen, darauf zu vertrauen, dass niemand diese Statuten gerichtlich angreifen wird. Abgesehen davon kommt eine Beteiligung der Verleger auch nach Unionsrecht nicht in Frage. Denn Verleger sind keine Berechtigten nach der einschlägigen Richtlinie, und außerdem hat der EuGH entschieden, dass die Vergütung für die Privatkopie unbedingt beim Urheber ankommen muss. 

Lässt das Urheberrecht – insbesondere die Bestimmungen zur Vergütungspflicht (Paragrafen 54 ff.) – aus Ihrer Sicht an dieser Stelle keinen Auslegungsspielraum zu, der auch die spezifischen Leistungen der Verlage würdigt?
Nein, einen Auslegungsspielraum bieten die Paragrafen 54 ff. UrhG insoweit nicht. Begünstigte dieser Vorschriften sind bei Schriftwerken nur die Urheber, nicht dagegen die Verleger. Ob die VG Wort nach ihrer Satzung den Verlegern eine Beteiligung gewährt, spielt keine Rolle. Entscheidend ist die Gesetzeslage, die eine Beteiligung der Verleger nicht kennt. Es gibt kein Leistungsschutzrecht der Buchverleger – weder nach europäischem noch nach nationalem Urheberrecht. Die Vergütungsansprüche nach den Schrankenregelungen des Urheberrechtsgesetzes stehen allein dem Urheber zu.

Bietet nicht der 2008 novellierte Paragraf 63a Urheberrechtsgesetz − der unter anderem die Abtretung von Vergütungsansprüchen an Verwertungsgesellschaften regelt − der VG Wort und den Verlagen eine Handhabe, die Verteilungspraxis zu legitimieren?
Paragraf 63a in seiner Fassung von 2008 ist im Lichte des vorrangigen Unionsrechts zu lesen. Danach ist der Vergütungsanspruch für die Privatkopie nicht nur unverzichtbar, sondern muss auch uneingeschränkt beim Urheber ankommen. Das schließt eine Abtretung des Vergütungsanspruchs an Verleger aus, es sei denn, der Verleger nimmt die Auszahlungen der VG als Treuhänder des Urhebers entgegen. Abgesehen davon ist zu berücksichtigen, dass eine Ausschüttung an Verlage schon deshalb nicht in Betracht kommt, weil die VG Wort – übrigens gegen den Wortlaut ihrer eigenen Satzung − eine Überprüfung der Abtretung von Vergütungsansprüchen an Verlage gar nicht vornimmt. Wenn Verlage am Vergütungsaufkommen beteiligt werden wollen, müssen sie ihre Berechtigung darlegen und gegebenenfalls beweisen. Das ist nur möglich durch Meldungen in Bezug auf einzelne konkrete Werke, wie sie durch die Einzelmeldepflicht auch von den Urhebern verlangt werden.

Die Fragen stellte Michael Roesler-Graichen.

 

Zum Hintergrund

Der Urheberrechtler und wissenschaftliche Autor Martin Vogel (Mitglied der Beschwerdekammern und der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts) klagt seit 2011 gegen den Verteilungsplan der VG Wort, der vorsieht, Vergütungen zum Beispiel für Privatkopien von Büchern nicht nur an die Urheber, sondern auch an die Verlage auszuzahlen. Die historisch gewachsene Beteiligungsregel bei der VG Wort sieht eine 50:50-Aufteilung der Vergütungen bei wissenschaftlichen Verlagen und eine 70:30-Aufteilung zugunsten der Autoren bei Publikumsverlagen vor. Zuletzt wurde die Klage im Dezember 2014 vor dem Bundesgerichtshof verhandelt, der die Sache zunächst aussetzte, um ein ähnlich gelagertes Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof zwischen Hewlett-Packard und der belgischen Verwertungsgesellschaft Reprobel abzuwarten. Dort wurde am 29. Januar verhandelt, eine Entscheidung wird aber erst für Herbst 2015 erwartet. In den beiden ersten Instanzen des Verfahrens Vogel ./. VG Wort sahen die Richter den Kläger im Recht. Das OLG München äußerte sich im Herbst 2013 in einer Deutlichkeit, die wenig Interpretationsspielraum lässt. Die Beteiligung der Verleger durch die VG Wort verstoße "gegen wesentliche Grundgedanken urheberrechtlicher Bestimmungen", so die schriftliche Urteilsbegründung.

 

Vorschriften

"§ 54 UrhG      Vergütungspflicht

(1) Ist nach der Art eines Werkes zu erwarten, dass es nach § 53 Abs. 1 bis 3 vervielfältigt wird, so hat der Urheber des Werkes gegen den Hersteller von Geräten und von Speichermedien, deren Typ allein oder in Verbindung mit anderen Geräten, Speichermedien oder Zubehör zur Vornahme solcher Vervielfältigungen benutzt wird, Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Vergütung." ...

"§ 63a UrhG      Gesetzliche Vergütungsansprüche

Auf gesetzliche Vergütungsansprüche nach diesem Abschnitt kann der Urheber im Voraus nicht verzichten. Sie können im Voraus nur an eine Verwertungsgesellschaft oder zusammen mit der Einräumung des Verlagsrechts dem Verleger abgetreten werden, wenn dieser sie durch eine Verwertungsgesellschaft wahrnehmen lässt, die Rechte von Verlegern und Urhebern gemeinsam wahrnimmt."

 

Einen ausführlichen Artikel mit Stellungnahmen zum Thema lesen Sie im aktuellen Börsenblatt 7 / 2015 (S. 26−27).