Französische Buchbranche vor Salon du Livre

Die Stärke des unabhängigen Buchhandels

17. März 2015
von Börsenblatt
Der Salon du Livre steht in diesem Jahr unter keinem guten Stern: Große Verlagsgruppen bleiben der Messe fern, und in Paris stehen viele Traditionsbuchhandlungen vor dem Aus. Ein Lichtblick: Der unabhängige Buchhandel konnte 2014 landesweit seine Umsätze nahezu halten. Von Johannes Wetzel

2014 war kein gutes Jahr für Frankreich: Für den Buchmarkt nicht, für die Wirtschaft insgesamt nicht und auch nicht für den Staatspräsidenten. Nur dessen Ex-Freundin dürfte mit 2014 zufrieden sein: Die unter dem Titel "Merci pour le moment" ("Danke für diese Augenblick")  im September bei Hachette erschienene Abrechnung von Valérie Trierweiler mit François Hollande ist mit über 600.000 verkauften Exemplaren Spitzenreiter der französischen Top 50-Liste, die das Branchenblatt "Livres Hebdo" zusammen mit dem Marktforschungsinstitut GfK rechtzeitig zum Pariser Buchsalon vorstellte.

Insgesamt aber ist die Stimmung gedrückt. Das bezeugt in gewisser Weise auch der Erfolg der polemischen Untergangsvision von Eric Zemmour: "Le suicide français" ("Der französische Selbstmord", Hachette) verkaufte sich fast 340.000-mal und steht immerhin auf Platz 12. Kein Wunder, dass die "Feel-Good"-Bücher besonders gut liefen: "Die Leser haben Werke bevorzugt, die ihnen helfen, sich besser zu fühlen, und dabei besonders auf Humor gesetzt", sagt Christine Ferrand, Chefredakteurin von "Livres Hebdo". Sogar ein Malbuch ist darunter. Die obersten Plätze besetzen die üblichen Bestseller: Der Taschenbuch-Band 1 von "Fifty Shades of Grey" steht mit 575.600 Exemplaren auf Platz 2, der französische Starautor Guillaume Musso ist mit zwei Romanen gleich zweimal, auf den Plätzen 3 und 5 vertreten.

Der Buchmarkt schrumpft weiter

Einige Autoren freuen sich – aber insgesamt schrumpft Frankreichs Buchmarkt weiter. Eine noch unveröffentlichte Studie des Marktforschungsinstituts GfK, das alljährlich zum Buchsalon eine empirische Erhebung vorlegt, zeigt einen Rückgang der Zahl verkaufter Bücher auf Papier um 2,3 Prozent auf 343 Millionen Exemplare. Zwar stiegen dagegen die Verkäufe von E-Books um 60 Prozent auf acht Millionen Exemplare. Aber die positive Wirkung ist begrenzt: Unter dem Strich gab die kombinierte Zahl verkaufter Bücher und E-Books um 1,4 Prozent nach. Denn der Marktanteil elektronischer Bücher liegt auch 2014 bei nur 2,4 Prozent, so GfK. Im Vorjahr war der Rückgang insgesamt noch spürbarer und lag bei 2,7 Prozent.

Was überraschenderweise die Bücherschwemme nicht bremst: In den vergangenen zehn Jahren, so rechnete "Livres Hebdo" kürzlich vor, stieg die Produktion von neuen Titeln und Neuausgaben um 28 Prozent und allein 2014 um 2,3 Prozent – auf über 68.000 Titel, publiziert von 4.495 Verlagen, vom Großverlag bis zum Ein-Buch-Verlag.

Die Stimmung auf dem 35. Buchsalon, der vom 20. bis 23. März in Paris stattfindet, dürfte nicht eben fantastisch sein. Vielleicht werden die 48 angereisten brasilianischen Autoren die Gemüter aufhellen, unter ihnen der ausgezeichnete Bernardo Carvalho, der Yanomami-Schamane Davi Kopenawa, der große Befreiungstheologe Leonardo Boff und der Bestsellerautor Paulo Coelho. Brasilien ist Ehrengast in Paris – und das nach 1998 als bisher einziges Land schon zum zweiten Mal. Offenbar haben die Veranstalter ihre Gäste in guter Erinnerung behalten.

Große Verlage bleiben dem Salon fern

Daneben sind die polnischen "Literaturhauptstädte" Krakau und Breslau und mit ihnen der Filmemacher Roman Polanski eingeladen, der an einer Diskussion über "Kino und Literatur" teilnehmen wird. Fehlen werden hingegen viele Franzosen: Einige Schwergewichte der Verlagsbranche, die die "größte Buchhandlung Frankreichs", ja Europas, mit ihren 200.000 Besuchern für ein "überholtes Konzept" halten. So haben die Verlage Odile Jacob sowie die vier großen Verlagshäuser der Hachette-Gruppe – Grasset, Stock, Calmann-Lévy und J C Lattès – ihre Teilnahme abgesagt.

Selbst den Branchenriesen sind die Kosten zu hoch, nur um den Besuchern die Gelegenheit zu einem Selfie mit einem Starautor zu geben. Wie viele kleinere Verlage ziehen sie spezialisierte Buchmessen vor. Der Salon-Veranstalter, der Verlegerverband Syndicat National de l’Edition (SNE), ist schon seit Jahren mit diesem Widerstand konfrontiert. Zu den Verbesserungsvorschlägen gehört, den Buchsalon statt in den unwirtlichen Messehallen am Südrand der Stadt wieder im Herzen von Paris, im historischen Grand Palais, zu veranstalten, wo etwa auch die internationale Kunstmesse FIAC stattfindet. Eine Arbeitsgruppe sollte Lösungen vorschlagen – bislang ohne Ergebnis. 

Pariser Traditionsbuchhandlungen schließen

Die französische Öffentlichkeit ist erschrocken über die Schließung emblematischer Buchläden – darunter zu Jahresbeginn die deutsche Buchhandlung Marissal beim Pariser Kulturzentrum Centre Pompidou. An ihrer Stelle ist bereits ein Pralinengeschäft eingezogen: Frankreichs Bedürfnis nach Schokolade steht dem nach Wohlfühlliteratur nicht nach. Auch die letzte verbliebene deutsche Buchhandlung in Paris, Librairie Buchladen, wird bis Jahresende schließen.

Die neueste schlechte Nachricht ist das Aus für die legendäre Buchhandlung La Hune im Herzen des Verlegerviertels Saint Germain. Erst 2012 war das Geschäft, das der Gallimard-Holding Madrigall gehört, einer Luxusboutique gewichen und von seiner angestammten Adresse auf dem Boulevard Saint-Germain hundert Meter weiter in den Hintergrund der Place Saint-Germain umgezogen. Die Folge war, dass die Laufkundschaft ausblieb und die Umsätze einbrachen. Ein Käufer für das Geschäft ist schon gefunden. Er hat versprochen, den Namen La Hune beizubehalten – und auch paar Bücher im Sortiment zu haben. Es lag wohl ein Fluch über diesen Räumen, denn hier war bis 1996 die historische Buchhandlung Le Divan untergebracht, die damals einer "Dior"- Boutique weichen musste.

Die zur Gallimard-Gruppe gehörende Buchhandlung Delamain gegenüber der Pariser Comédie française und dem Kulturministerium ist ebenfalls gefährdet, seit der Eigentümer des Gebäudes – ein Investmentfonds aus Katar – eine Mieterhöhung angedroht hat. Die seit vergangenem Herbst amtierende Kulturministerin Fleur Pellerin kam persönlich, um Kunden und Belegschaft dieser angeblich ältesten Buchhandlung der Stadt ihrer Unterstützung zu versichern. Ein besonders enges Verhältnis zum Buch hat die Ministerin allerdings nicht. Frankreich und das Ausland spotteten über sie, als ihr kein Titel des frisch gekürten französischen Nobelpreisträgers Patrick Modiano einfiel und sie einräumte, seit zwei Jahren kein Buch gelesen zu haben. Der 41-Jährigen werden mehr Affinitäten zur digitalen Welt als zu Bibliotheken nachgesagt. Gerade auf diesem Gebiet aber werden derzeit die entscheidenden Konflikte ausgetragen. Immerhin ist Frankreich Europas Speerspitze im Kampf für den ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf E-Books, den der Europäische Gerichtshof soeben abgelehnt hat.

Guillaume Husson von der Buchhandelsvereinigung Syndicat de la librairie française (SLF) findet die neue Ministerin so gut wie ihre Vorgängerin, die immerhin selbst ein Buch geschrieben hatte. Bei genauerem Hinsehen, so Husson, sind Fälle wie La Hune spektakuläre Ausnahmen. Zwar geben SLF und SNE ihre Umsatzzahlen für 2014 erst im Juni bekannt. Aber Husson verrät schon mal, dass der Umsatz der unabhängigen Buchhandlungen – vor allem dank der Kinder- und Jugendbücher - insgesamt um nur 0,5 Prozent und damit deutlich weniger stark zurückgegangen als in den vergangenen Jahren: 2013 waren es noch 1 Prozent, 2012 sogar 1,5 Prozent.

Der Online-Buchhandel stagniert

43 Prozent der Bücher, so hatte GfK ermittelt, werden von unabhängigen Buchhandlungen verkauft. Damit sind sie nach wie vor das wichtigste Vertriebsnetz vor den Kulturkaufhäusern (wie FNAC) und Internet. Erstmals, so Husson, stagniere der Internet-Handel mit Büchern, was den unabhängigen Buchhändlern zugute kommt. Die schlechten Buch-Verkaufszahlen in den Supermärkten ziehen die Gesamtbilanz nach unten, können aber die unabhängigen Buchhändler eigentlich nur freuen. Auch den Buchhandelsketten sind die Unabhängigen offenbar überlegen: Die größte Katastrophe des Jahres 2014, das Ende von "Chapitre" mit 57 Buchhandlungen – von denen 23 einen neuen Eigentümer fanden – sei, sagt Husson, gerade auf die Anwendung eines rationalisierten Geschäftsmodells mit zentralisiertem Einkauf zurückzuführen. "Die Buchhändler sind wieder da" freut sich "Livres Hebdo".

Schließlich kommen den unabhängigen Buchhandlungen die vor einem Jahr eingeleiteten Fördermaßnahmen des "plan librairie" in Höhe von neun Millionen Euro zugute. Der damals eingesetzte Ombudsman, der Streitfälle zum Buchpreis schlichten soll, eilte der Branche ebenfalls zuhilfe: In einem Gutachten für das Kulturministerium kam er zu der Überzeugung, dass "Kindle Unlimited" – ein Abonnement zum Festpreis, das die unbegrenzte Ausleihe von E-Books erlaubt – die französische Buchpreisbindung unterläuft: Amazon muss sein Angebot korrigieren.

Ein Gesetz vom Sommer 2014 verbietet den Internet-Versandhändlern außerdem den bisher praktizierten Fünf-Prozent-Rabatt und die Gratis-Zustellung: In Frankreich berechnet Amazon nun 1 Euro-Cent Porto. Die Steuervergünstigungen, die mit dem Label LiR für besonders engagierte unabhängige Buchhandlungen verbunden sind, kommen schließlich inzwischen fast 600 Geschäften zugute. Die Kulturministerin vergibt diese Auszeichnung besonders gern: Das Steuergeschenk wird nicht vom Staat, sondern von den Gemeinden bezahlt.